1. Begriff
Nicht nur umgangssprachlich wird häufig jede Art des materiellen Ausgleichs immaterieller Beeinträchtigungen als Schmerzensgeld bezeichnet. Besonders glücklich ist das nicht. Denn ein derartiges Verständnis des Begriffs des Schmerzensgeldes verdeckt, dass sich die einzelnen Ansprüche auf Ersatz immaterieller Beeinträchtigungen zum Teil nicht unerheblich voneinander unterscheiden. Der unscharfe Blick vermittelt mitunter den Eindruck von Gerechtigkeitsdefiziten, der sich bei genauerem Hinsehen oft nicht bestätigt. Erinnert sei an dieser Stelle an die immer wieder zu hörende Klage, in Deutschland sei das Schmerzensgeld für Körper- und Gesundheitsschäden im Vergleich zum „Schmerzensgeld“ für Persönlichkeitsrechtsverletzungen unangemessen niedrig.
Im Folgenden soll der Begriff des Schmerzensgeldes deshalb nur für die (Geld-)Leistung verwendet werden, für die der Gesetzgeber den Begriff in der gesetzlichen Überschrift zu § 847 BGB (In der vom 1.1.2002 bis zum 31.7.2002 geltenden Fassung) einst selbst gebraucht hat, nämlich den heute insb. in § 253 Abs. 2 BGB und parallel hierzu in zahlreichen Spezialgesetzen (vgl. nachfolgend unter 3.) geregelten Ersatz von immateriellen Schäden in Fällen der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Andere Fälle des Ausgleichs immaterieller Beeinträchtigungen, allen voran die Entschädigung bei schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder das sog. Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB, haben mit dem Schmerzensgeld in diesem Sinne unmittelbar nichts (mehr) zu tun.
2. Funktion
Die Frage nach der Funktion des Schmerzensgeldes führt direkt zu den beiden großen Leitentscheidungen des BGH aus diesem Bereich: dem Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 6.7.1955 (GSZ 1/55, BGHZ 18, 149) und dem Beschluss der Vereinigten Großen Senate des BGH vom 16.9.2016 (VGS 1/16, BGHZ 212, 48).
a) Der Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 6.7.1955 – GSZ 1/55
Im Jahr 1955 hatte der VI. Zivilsenat des BGH dem Großen Senat für Zivilsachen die Frage vorgelegt, ob bei der Bemessung der Höhe einer billigen Entschädigung in Geld nach § 847 BGB „alle Umstände, also auch die Vermögensverhältnisse und der Grad des Verschuldens des Verpflichteten“ zu berücksichtigen seien. Der Große Senat für Zivilsachen hat dies mit folgendem Tenor bejaht: „Bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 847 BGB können alle Umstände des Falles berücksichtigt werden, darunter auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile. Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit der Verpflichtete durch eine Haftpflichtversicherung oder einen Ausgleichsanspruch Ersatz seiner Leistung findet.“
Für die Funktion des Schmerzensgeldes interessanter als der Tenor ist allerdings der vom Großen Senat für Zivilsachen formulierte erste Leitsatz zu dieser Entscheidung. Er lautet: „Der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB ist kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat.“
Das Schmerzensgeld hat demnach eine Doppelfunktion: Zum einen dient es – und zwar in erster Linie (BGH, Beschl. d. Großen Senats für Zivilsachen v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149 (154)) – der Entschädigung des Verletzten, also dem Ausgleich der vom Verletzten erlittenen Beeinträchtigung. Weil der Schädiger dem Geschädigten das Leben schwer gemacht hat, soll er durch seine Leistung dazu beitragen, es ihm im Rahmen des Möglichen wieder leichter zu machen (So BGH, a.a.O.). Zum anderen soll das Schmerzensgeld aber auch dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung oder – auch diesen Begriff verwendet der Große Senat für Zivilsachen im Jahr 1955 (BGH, a.a.O. (155)) – „Buße“ schuldet. Begründet wird dies mit den rechtsgeschichtlichen Wurzeln des Schmerzensgeldes im Strafrecht, auch wenn den modernen schadensrechtlichen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ein unmittelbarer Strafcharakter natürlich nicht mehr zukommt. Die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes ist – auch das wird im Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen deutlich (BGH, a.a.O. (154 ff.)) – nicht nur dogmatische Spielerei: Sie hat ganz konkrete Auswirkungen auf die bei der Schmerzensgeldbemessung im Einzelfall maßgeblichen Faktoren.
b) Der Beschluss der Vereinigten Großen Senate vom 16.9.2016 – VGS 1/16
Mit ihrer Entscheidung vom 16.9.2016 (BGHZ 212, 48) haben die Vereinigten Großen Senate des BGH diese Grundsätze bestätigt. Angerufen worden waren sie vom 2. Strafsenat, der sich in zwei strafrechtlichen Revisionsverfahren mit Adhäsionsentscheidungen konfrontiert sah und der Auffassung war, es komme bei der Schmerzensgeldbemessung entgegen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung weder auf die Vermögensverhältnisse des Geschädigten an, noch dürften die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers berücksichtigt werden.
Die von ihm deshalb – u.a. – gestellte Vorlagefrage „Dürfen bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden?“ haben die Vereinigten Großen Senate wie folgt beantwortet: „Bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB a.F.) können alle Umstände des Falles berücksichtigt werden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten können dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden.“
Zur Begründung haben sich die Vereinigten Großen Senate auch auf die oben dargestellte Doppelfunktion des Schmerzensgeldes gestützt.
3. Gesetzliche Regelungen
Mehr als 100 Jahre war das Schmerzensgeld in § 847 BGB geregelt. Mit dem Inkrafttreten des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes (BGBl I 2002, 2674) zum 1.8.2002 hat sich das geändert. Nunmehr ist § 253 Abs. 2 BGB die zentrale Norm.
Zudem finden sich in vielen Spezialgesetzen entsprechende Vorschriften, etwa in § 11 S. 2 StVG, § 6 S. 2 HaftPflG, § 36 S. 2 LuftVG, § 32 Abs. 5 S. 2 GenTG, § 8 S. 2 ProdHaftG, § 13 S. 2 UmweltHG oder § 29 Abs. 2 AtomG.
Konkrete Folge dieser Gesetzesänderung ist eine nicht unerhebliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Schmerzensgeldes: Schmerzensgeld gibt es nicht mehr nur im Falle – regelmäßig schuldhafter – unerlaubter Handlungen i.S.d. §§ 823 ff. BGB, sondern auch im Falle von Vertragsverletzungen und im Rahmen der Gefährdungshaftung.
Besondere praktische Auswirkungen hat dies natürlich für den Bereich des Verkehrshaftpflichtrechts (§ 11 S. 2 StVG). Aber etwa auch im Arzthaftungsrecht sind die Konsequenzen der Neuregelung spürbar: Für einen Schmerzensgeldanspruch des Patienten gegen den Krankenhausträger kommt es nun nicht mehr darauf an, dass der schuldhaft handelnde Arzt Organ bzw. Repräsentant des Krankenhausträgers i.S.d. § 31 BGB ist oder jedenfalls die Voraussetzungen des § 831 BGB gegeben sind; der Krankenhausträger haftet dem Patienten nun schon aus §§ 280, 630a ff. BGB auf Schmerzensgeld, wobei ihm das Verschulden des für ihn tätigen Arztes ohne Weiteres gem. § 278 BGB zuzurechnen ist.
Im Jahr 2017 hat die Rechtsprechung den Schmerzensgeldanspruch im Rahmen der Staatshaftung ausgedehnt und darauf erkannt, dass der allgemeine Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nicht auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt ist, sondern auch nichtvermögensrechtliche Nachteile des Betroffenen umfasst (BGH, Urt. v. 7.9.2017 – III ZR 71/17, BGHZ 215, 335).
4. Voraussetzungen
a) Geschützte Rechtsgüter
Nach § 253 Abs. 2 BGB kann Schmerzensgeld (nur) wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung gefordert werden.
aa) Körper und Gesundheit
In erster Linie wird die körperliche Unversehrtheit gegen jedwede unangemessene Einwirkung oder Behandlung geschützt, die zu einer nicht völlig unerheblichen Verletzung führt. Der Begriff der Körperverletzung ist dabei weit auszulegen. Er umfasst jeden unbefugten, nicht von einer Einwilligung des Rechtsträgers gedeckten Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (BGH, Urt. v. 17.9.2013 – VI ZR 95/13, VersR 2013, 1406 Rn 12, m.w.N.).
Geschützt wird weiter vor Gesundheitsbeschädigungen. Darunter fällt jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden, wenn auch nur vorübergehenden Zustands (Vgl. nur BGH, Urt. v. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, VersR 2005, 1238, juris Rn 9; v. 21.6.1960 – 1 StR 186/60, NJW 1960, 2253). Eine Gesundheitsbeschädigung in diesem Sinne kann auch ohne die unmittelbare körperliche Misshandlung, z.B. durch Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit, durch Beibringung von Gift, als Unfallschock in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer anderen psychischen Störung von Krankheitswert (Vgl. nur BGH, Urt. v. 8.12.2020 – VI ZR 19/20, VersR 2021, 328 Rn 8, m.w.N.) wie auch als (pathologische) psychische Beeinträchtigung wegen des Unfalltodes oder schwerster Verletzungen nächster Angehöriger (sog. Schockschaden) (Vgl. etwa BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, DAR 2015, 200; v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, VersR 2015, 590) eintreten.
Die zum Schockschaden entwickelten Grundsätze sind dabei nach Auffassung des BGH auch in dem Fall anzuwenden, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung des Angehörigen (BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125) oder etwa die Kenntniserlangung vom sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes durch einen Dritten (BGH, Urt. v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21, NJW 2023, 983) ist.
Auch der Verlust einer zur Aufbewahrung übergebenen Zahnprothese kann eine Gesundheitsbeschädigung bzw. Körperverletzung zur Folge haben und deshalb einen Schmerzensgeldanspruch begründen, wenn der Verlust zu gesundheitlichen Folgen wie etwa zu Einschränkungen und Schmerzen bei der Nahrungsaufnahme führt oder eine erneute zahnärztliche Behandlung notwendig macht (AG Nürnberg, Urt. v. 23.6.2021 – 19 C 867/21, juris Rn 33).
bb) Freiheit
Freiheit meint allein die körperliche Bewegungsfreiheit. Zu beachten ist, dass § 253 Abs. 2 BGB – anders als früher § 847 BGB a.F. – für den Schmerzensgeldanspruch keine Freiheitsentziehung mehr verlangt, sondern auch unterhalb dieser Schwelle liegende Beeinträchtigungen der körperlichen Bewegungsfreiheit ausreichen lässt (BeckOGK BGB/Brand, 1.3.2022, § 253 Rn 38).
Eine im Rahmen des § 253 Abs. 2 BGB relevante Freiheitsbeeinträchtigung kann sich etwa aus einer rechtswidrigen Inhaftierung (Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 W 67/20, NJW-RR 2021, 535), behördlichen (Vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.11.2015 – 9 U 78/11, VersR 2016, 254 (255 ff.)) oder sonstigen Unterbringung (Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 9.1.2001 – 29 U 56/00, FamRZ 2001, 861 (863)) oder einer zu Unrecht erfolgenden – auch kurzfristigen – Ingewahrsamnahme (Vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 7.3.2018 – 1 U 1025/17, juris) ergeben. Dabei kann es ausreichen, dass sich die Inhaftierung/Unterbringung/Ingewahrsamnahme nur formell als rechtswidrig darstellt (BGH, Beschl. v. 1.8.2007 – III ZR 284/06, juris Rn 4 f.; OLG Bremen, Urt. v. 18.8.2006 – 1 U 34/06, juris Rn 13 ff.).
Auch Fixierungen – etwa eines Patienten am Krankenbett – stellen Beeinträchtigungen der Freiheit i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB dar; auch sie können deshalb zu Schmerzensgeldansprüchen führen (Vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 16.7.2018 – 8 U 59/18, juris, insb. Rn 85 ff.).
Wer vom Kaufhausdetektiv zu Unrecht des Diebstahls verdächtigt und deshalb – wenn auch nur kurz (Sehr weitgehend AG Regensburg, Urt. v. 5.2.1999 – 9 C 2783/98, NJW-RR 1999, 1402) – am Weggehen gehindert wird, wird in seiner Freiheit i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB ebenfalls beeinträchtigt (AG Regensburg, Urt. v. 5.2.1999 – 9 C 2783/98, NJW-RR 1999, 1402; AG Osnabrück, Urt. v. 21.11.1988 – 40 C 269/88, NJW-RR 1989, 476). Auch Verkehrsblockaden wurden im Einzelfall schon als schmerzensgeldbegründende Freiheitsbeschränkungen gewertet (LG Frankfurt/M., Urt. v. 17.9.1984 – 2/24 S 362/82, NJW 1985, 201).
Häufig wird die Freiheitsbeeinträchtigung von der Verletzung anderer von § 253 BGB erfasster Rechtsgüter begleitet, etwa im Falle von Sexualdelikten.
cc) Sexuelle Selbstbestimmung
Schließlich kommt nach § 253 Abs. 2 BGB auch bei der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ein Schmerzensgeldanspruch in Betracht. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gewährleistet das Recht jedes Einzelnen, frei über seine Sexualität zu bestimmen (Vgl. OLG Köln, Urt. v. 22.12.2015 – 5 U 135/15, VersR 2016, 796 (797)). Dementsprechend kann ein Schmerzensgeldanspruch insb. in den Fällen der §§ 174 ff. StGB (einschließlich des sog. „Stealthing“) (Vgl. BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22, NJW 2023, 701: Gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners heimlich ohne Kondom ausgeführter Geschlechtsverkehr) oder des § 825 BGB gegeben sein.
In jüngerer Zeit sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch Fälle des sexuellen Missbrauchs durch Priester der katholischen Kirche in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, wobei neben Ansprüchen gegen die Täter selbst auch Ansprüche gegen die Kirche bzw. das zuständige Bistum – etwa unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens und des Unterlassens – in Betracht kommen (LG Köln, Urt. v. 13.6.2023 – 5 O 197/22, NJW 2023, 2496: Schmerzensgeld von 300.000 € für jahrelangen schweren Missbrauch eines Messdieners).
Keine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung liegt vor, wenn allein die tatsächliche Möglichkeit, die eigene Sexualität auszuleben, beschränkt wird; so hat etwa eine Frau im Falle einer zur Impotenz führenden Verletzung ihres Ehemannes unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch gegen den Schädiger ihres Ehemannes (Vgl. OLG Köln, Urt. v. 22.12.2015 – 5 U 135/15, VersR 2016, 796 (797)).
b) Schaden
Auch das Schmerzensgeld dient dem Ersatz eines – wenn auch immateriellen – Schadens. Voraussetzung ist deshalb auch hier das Vorliegen eines solchen Schadens. In aller Regel ist das völlig unproblematisch: Geht es dem Verletzten infolge des Verhaltens des Schädigers etwa aufgrund von Schmerzen oder psychischen Beeinträchtigungen – wenn auch nur vorübergehend – schlechter als es ihm ohne dieses Verhalten gegangen wäre, liegt ein solcher (immaterieller) Schaden ohne Weiteres vor.
Dass die Frage des Schadens in Ausnahmefällen bei der Prüfung von Schmerzensgeldansprüchen Schwierigkeiten bereiten kann, zeigt das Urteil des BGH vom 2.4.2019 (VI ZR 13/18, „Weiterleben als Schaden“) (BGHZ 221, 352; Verfassungsbeschwerde des unterlegenen Klägers nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG, Beschl. v. 7.4.2022 – 1 BvR 1187/19, NJW 2023, 356). Danach kommt ein Schmerzensgeld i.S.d. § 253 Abs. 2 BGB mangels Schadens nicht in Betracht, wenn die angebliche Schädigungshandlung die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen darstellen und der (immaterielle) Schaden darin liegen soll, dass der Verletzte, anstatt sofort sterben zu dürfen, (auch mit Schmerzen) weiterleben muss.
Allerdings hat der BGH in der genannten Entscheidung – was häufig übersehen wird – einen Geldentschädigungsanspruch des Patienten wegen Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts nicht ausgeschlossen; ein solcher Anspruch setzt freilich die positive Feststellung eines gegen die lebensverlängernden Maßnahmen gerichteten Willens des Patienten voraus (BGH, Urt. v. 2.4.2019 – VI ZR 13/18, BGHZ 221, 352 Rn 23; vgl. hierzu nachfolgend unter II. 2 f)).
c) Voraussetzungen der Haftungsnorm
Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift („Ist wegen […] Schadensersatz zu leisten, kann auch […]“) ergibt sich, dass § 253 Abs. 2 BGB keine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt. Vielmehr bestimmt sie – ebenso wie ihre „kleinen Schwestern“ in den Spezialgesetzen – allein den Umfang des bei gegebener Schadensersatzpflicht zu ersetzenden Schadens. Vor die Prüfung der Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber somit die Prüfung und Bejahung der Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage gesetzt. Folglich schlagen Beschränkungen und Besonderheiten der jeweiligen Anspruchsgrundlage voll auf den Schmerzensgeldanspruch durch. Im für das Schmerzensgeld besonders relevanten Bereich des Straßenverkehrsrechts bedeutet dies etwa:
- Gegenüber verletzten Personen, die nicht nach dem Straßenverkehrsrecht haften (etwa Fußgänger und Radfahrer), kommt ein – auch den Schmerzensgeldanspruch erfassender – Haftungsausschluss für Halter und Haftpflichtversicherer eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers nur dann in Betracht, wenn der Unfall durch „höhere Gewalt“ verursacht worden ist (§ 7 Abs. 2 StVG).
- Haften sowohl Schädiger und Geschädigter für die Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge (oder Anhänger), scheiden Schmerzensgeldansprüche grds. gegenüber demjenigen aus, für den sich der Unfall als unabwendbares Ereignis darstellt (§§ 17 Abs. 3, 19 Abs. 3 StVG).
- Nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB sind Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug haftungsprivilegiert. Werden sie bei einem solchen Unfall verletzt, haben sie sich auch bei der Schmerzensgeldbemessung kein Mitverschulden anrechnen zu lassen. Der sich aus § 828 Abs. 2 S. 1 BGB ergebende Schutz des verunfallten Kindes entfällt allerdings nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, wenn der andere Unfallbeteiligte darlegt und gegebenenfalls beweist, dass sich im Unfall keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat (BGH, Urt. v. 30.6.2009 – VI ZR 310/08, BGHZ 181, 368 Rn 7 ff.).
Ein Auszug aus dem Buch Hacks / Wellner / Klein / Kohake (Hrsg.) SchmerzensgeldBeträge 2025 (Buch mit Online-Zugang) SchmerzensgeldBeträge 2025 (Buch mit Online-Zugang), 43. Auflage, 2024, AI S. 11-13.
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