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In Sachen Osterwunder

Ostern naht und damit die Feier des größten aller Wunder. Der Duden sagt, ein Wunder sei ein „den Naturgesetzen oder aller Erfahrung widersprechendes und deshalb der unmittelbaren Einwirkung einer göttlichen Macht oder übernatürlichen Kräften zugeschriebenes Geschehen.“ So etwas begegnet uns in der Juristerei eher nicht so häufig.

Die Recherche nach dem Wort „Wunder“ in meinem Modul der von mir genutzten juristischen Datenbank ergab 412 Treffer, immerhin, allerdings ist in den Dokumenten dann eher die Rede von Dingen, die doch nicht so richtige Wunder sind. Es zeigt, dass es ich um eine seltene Sache handelt, das Wort „Arbeitsvertrag“ hat jedenfalls mehr als 100.000 Treffer. Und dabei könnten wir alle in unserem Alltag sehr gut das eine oder andere Wunder gebrauchen, dafür scheint nur niemand zuständig zu sein.

Auch, wenn Sie eine sehr sachliche Juristen-Seele sind und Wunder für Sie nicht stattfinden – das geht vielen so – vielleicht haben Sie trotzdem Lust auf ein kleines Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, in diesem Jahr wird nicht nur das Osterwunder gefeiert, sondern es passiert auch für Sie ganz persönlich ein Wunder.

Welches Problem würden Sie gern einfach mal wie durch ein Wunder verschwinden lassen?

So viele Dinge können den Alltag schwierig machen oder nervig und damit dazu beitragen, dass Sie sich nicht so wohlfühlen, wie Sie es sich wünschen würden. Durch permanente Sachstandsanfragen herausfordernde Mandanten, griesgrämige Kolleginnen ohne jede soziale Kompetenz, das beA, Konflikte im Team. Und vielleicht haben Sie auch schon richtig viel probiert, um das Problem zu lösen. Klar kommuniziert, mit Humor gekontert, auf Durchzug geschaltet. Sich daran abgearbeitet, Ihre Mitmenschen zu verändern, was meistens nicht klappt. Denken Sie für das Gedankenexperiment mal konkret an eine dieser Widrigkeiten.

Und dann stellen Sie sich vor, dass Sie heute noch alles erledigen, was noch so auf Ihrer Liste steht. Heute Abend sind die Fristen verschickt, die Telefonate erledigt, die Besprechungen absolviert, vielleicht haben Sie sogar Ihre Wiedervorlagen bearbeitet und nicht einfach nur weitergeschoben. Jedenfalls gehen sie dann heute Abend nach Hause und starten in das Osterwochenende. Und dann kommen diese vier Tage, vielleicht nutzen Sie sogar welche, um endlich mal in Ruhe zu arbeiten oder Sie sind unterwegs mit ihren Lieben, vielleicht haben Sie Zeit für sich eingeplant. Sie machen einfach das, was für Sie an diesen Ostertagen ansteht. Und dann legen Sie sich am Ostermontag abends schlafen, hoffentlich schlafen Sie so richtig gut.

Irgendwann während dieser Ostertage geschieht das Wunder. Ihr Problem, an das Sie eingangs gedacht haben, das Sie schon so lange nervt, bei dem Sie nicht so richtig wissen, wie es aus der Welt zu schaffen ist: Es ist nicht mehr da! Allerdings wissen Sie das noch nicht, sie haben ja die Ostertage genossen und geschlafen.

Wie würde Ihr Tag aussehen nach so einem Wunder?

Stellen Sie sich vor, wie Sie aufwachen. Das Problem ist nicht mehr da, aber Sie wissen es nicht.

  • Woran werden Sie merken, dass Ihr Leben sich verändert hat?
  • Was fällt Ihnen als allererstes auf?
  • Wie werden Sie sich fühlen, in welcher Stimmung werden Sie durch Ihren Tag gehen?
  • Verhalten Sie sich anders?
  • Was bemerken auch Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Kanzlei, Ihre Familie, Ihre Freunde, was werden Ihre Mandanten oder die gegnerischen Kolleginnen zu spüren bekommen?

Nehmen Sie sich ruhig Zeit für ein paar Notizen hierzu. Wenn Sie sich so richtig in die neue Situation hineindenken, werden Sie vielleicht merken: Es sind doch nicht nur die anderen Menschen, die sich anders verhalten werden, wenn das Problem verschwunden ist. Sie selbst werden anders durch Ihren Tag gehen, sich vermutlich anders fühlen. Wenn Sie sich das einmal sehr genau vorstellen und diese Fragen in Ruhe in ein paar Minuten für sich beantworten, werden Sie auch Ihrem eigentlichen Wunsch näherkommen. Denn das Problem, dass Ihnen zuerst eingefallen ist, das ist ja nur das, was sichtbar ist. Das, was über der Oberfläche liegt wie bei der Spitze des Eisberges. Und darunter ist all das verborgen, was Ihr eigentliches Bedürfnis ist, der wirkliche wirkliche Wunsch. Vielleicht der Wunsch, sich leichter zu fühlen oder freier, vielleicht auch ruhiger und gelassener oder mehr in Verbindung zu sich selbst und der Welt. Vielleicht wünschen Sie sich mehr Humor oder mehr Sicherheit in ihrem Leben. Sie haben auf diese Weise die Chance, das Thema hinter dem Thema zu entdecken.

Das wunderbare auch ohne Wunder

Wenn Sie sich vorstellen, dass das Wunder geschehen ist und wie Sie sich dann anders fühlen und verhalten würden, kommen Ihnen ganz bestimmt auch für die wirkliche Situation ein paar mehr Handlungsoptionen in den Sinn als üblicherweise. Vielleicht würden Sie Ihre Kollegen morgens schon anders begrüßen, in Konflikten auf eine andere Art und Weise das Gespräch suchen als bisher, vielleicht einen anderen Weg ausprobieren. Und wenn Sie sehr ehrlich mit sich sind, gibt es ganz sicher die ein oder andere Kleinigkeit, die Sie einfach direkt so schon mal ausprobieren können. Vielleicht passiert also gar kein „richtiges“ Wunder, vielleicht aber bringen Sie selbst auf diese Art und Weise Bewegung in verfahrene Situationen, stoßen Veränderungen an, verblüffen Ihre Mitmenschen und machen damit das Problem kleiner und sich selbst das Leben noch wieder ein Stück mehr so, wie sie es haben möchten. Das wäre wunderbar und auch ein gutes Stück realistischer.

Steve de Shazer (1940-2005) gilt international als die zentrale Figur der lösungsfokussierten Kurztherapie. Er ist Begründer des 2007 geschlossenen Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee, Wisconsin. Die Wunderfrage wird in Therapien und Coachings genutzt, um Gedankenspiralen um das Problem zu durchbrechen und mit neuer Perspektive auf Lösungsmöglichkeiten zu schauen. Beschrieben wird die Arbeit mit der Wunderfrage unter anderem in dem Buch „Mehr als ein Wunder“ von Steve de Shazer und Yvonne Dolan.

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