Kennen Sie „Mary Poppins‘ Rückkehr“? Das ist ein Film mit einer Fortsetzung der berühmten Geschichte über ein Kindermädchen mit magischen Fähigkeiten. Sie kann schweben, Gegenstände verändern und in Nullkommanix an einen anderen Ort irgendwo auf der Welt gelangen. Der Film lief vor ein paar Jahren im Kino und es kommen darin auch Anwälte vor – und zwar mit den üblichen und hier zum Thema passenden Schubladen. Der eine Film-Anwalt ist komplett herzlos und klebt außerdem die ganze Zeit stumpf an seinen Unterlagen. Der andere ist zwar recht freundlich, kann sich aber leider überhaupt nicht durchsetzen und regelt am Ende die ganze Sache durch eine Art Parteiverrat. Es ist ein Bild unserer Zunft, das häufig vorkommt und das viele auch immer wieder in den eigenen Gedanken finden: Entweder professionell, arrogant und erfolgreich oder empathisch, freundlich und erfolglos. Und wenn es sich so hartnäckig hält – ist da etwas dran?
Irgendwie sind diese Schubladen schließlich entstanden. Ich persönlich bin aber froh zu sehen, dass sie an vielen Stellen schon aufgebrochen werden. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen können so gar nichts damit anfangen und zeigen, dass es auch sehr anders geht. Empathisch und erfolgreich – und ja, auch arrogant und erfolglos. Die vermeintlichen Gegensätze Empathie und Professionalität jedenfalls sind keine. Dass sie manchmal dennoch dafür gehalten werden, liegt auch an den verbreiteten Irrtümern über Empathie.
Was Empathie ist und was auch nicht
Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, die Perspektive zu wechseln. Die Situation nachzuvollziehen, in der jemand anders steckt und anzuerkennen, dass es hinter allem Verhalten einen Berg von Erfahrungen und Erlebnissen gibt, der zu dem Verhalten führt. Für eine erfolgreiche Lösung von Konflikten stellt dies eine Grundvoraussetzung dar. Denn dass es immer mehrere Versionen einer Geschichte gibt, mehrere Wahrheiten sogar, das dürfte den meisten von uns nach dem Start in das Berufsleben sehr schnell klar geworden sein.
Empathie bedeutet aber nicht, alles gut zu finden, was andere Menschen tun oder sagen. Schreckliche Verhaltensweisen bleiben schrecklich, unangemessene unangemessen. Empathie erfordert auch nicht, sämtliche Gefühlszustände unseres Gegenübers mit zu durchleben – wer sollte das auf Dauer gesund überstehen? Und es heißt schon gar nicht, in der Sache ständig nachzugeben. Klarheit in der Sache und auch unverhandelbare Punkte erfordern es allerdings nicht, die anderen Beteiligten auch persönlich anzugehen.
Empathische Menschen erkennen an, dass andere Menschen andere Perspektiven haben und sind bereit, den Menschen hinter dem Problem zu sehen. Das ist in Konflikten entscheidend für eine tragfähige Auflösung. Die Parteien selbst haben in ihrem Konflikt oft die Fähigkeit zur Empathie irgendwo auf dem Weg etwas verloren. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir da mitmachen müssen. Im Gegenteil können wir damit das Blatt erfolgreich wenden.
Warum wir mit Empathie zu nachhaltigeren Lösungen kommen
Menschen möchten gesehen werden. Sie sind eher bereit, an einer Klärung des Konfliktes mitzuarbeiten, wenn sie sich ernstgenommen fühlen – und es auch sind! Wir sollten es deshalb schon ehrlich meinen mit dem Versuch, die andere Seite nachzuvollziehen. Dabei können wir direkt einen unschätzbaren Vorteil entdecken: Gemeinsame höhere Interessen. Es gibt diese in den verfahrensten Verhandlungssituationen – und wenn keines vorhanden ist, wird der Konflikt ohnehin selten einmal emotional und persönlich unter den Parteien. Das gemeinsame Interesse aber macht den Raum um den Konflikt herum größer. Es ermöglicht mehr Gedankenspielraum für unterschiedliche Varianten einer Einigung und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wirklich eine gefunden wird.
Empathie ist also sicherlich nicht das Gegenteil von Professionalität – es ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil davon und wird erstrecht in Zukunft seine Wichtigkeit behalten als eine Eigenschaft, für die Künstliche Intelligenz jedenfalls noch eine Weile brauchen wird.
Im Grunde ist Empathie also auch eine Art magische Fähigkeit – so wie Mary Poppins welche hatte.