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Das Strafbefehlsverfahren: Vertretung durch den Verteidiger

3.a)aa) Eine Ausnahme von der grds. bestehenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten ergibt sich für das StB-Verfahren aus § 411 Abs. 2. Danach kann sich der Angeklagte in der HV durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen (Schmuck/Leipner StraFo 2012, 95, auch zur Frage der Besorgnis der Befangenheit des Amtsrichters, der auf der Anwesenheit des Angeklagten besteht). Die Vollmacht sollte sich ausdrücklich auf die Abwesenheitsvertretung des Angeklagten in der HV beziehen und nicht lediglich zur „Verteidigung und Vertretung“ ermächtigen (u.a. OLG Celle, Beschl. v. 18.1.2021 – 2 Ss 119/20, NStZ 2021, 764 für die Berufungs-HV). Fehlt eine solche Vollmacht, kann der Verteidiger den Angeklagten nicht wirksam vertreten und auch keine Prozesserklärungen wie etwa eine Einspruchsrücknahme für ihn abgeben (AG Regensburg, Beschl. v. 18.8.2023 – 30 Cs 126 Js 27714/19 (2)).

Wenngleich die Rspr. zurecht eine „allgemeine“ Verteidigervollmacht für unzureichend hält, dürfen die Anforderungen an die Ermächtigung zur Vertretung in der HV auch nicht überspannt werden. Es genügt deshalb, wenn der Angeklagten den Verteidiger zur „Verteidigung und Vertretung, auch in meiner Abwesenheit“ bevollmächtigt; die Vorschrift des § 411 Abs. 2 muss in der Vollmacht nicht besonders erwähnt werden (KG, Beschl. v. 28.10.2022 – (4) 161 Ss 134/22 (143/22); für das Berufungsverfahren BGH, Beschl. v. 24.1.2023 – 3 StR 386/21, NJW 2023, 1231).

 

bb) Der Angeklagte ist aber nicht verpflichtet, sich vertreten zu lassen, sodass das AG nicht berechtigt ist, gegen den Willen des nicht eigenmächtig ferngebliebenen Angeklagten in dessen Abwesenheit zu verhandeln (LG Görlitz, Beschl. v. 19.7.2021 – 3 Qs 125/21, StV 2021, 631; LG Potsdam, Urt. v. 25.5.2009 – 27 Ns 3/09). Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten gem. § 236, die auch im StB-Verfahren zulässig ist (und zugleich zu den Voraussetzungen KG NJW 2007, 2345; StraFo 2014, 512; zur ordnungsgemäßen Anordnung LG Berlin, Beschl. v. 15.3.2010 – 533 Qs 33/10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 236 Rn 3 f.), hebt das Recht, sich vertreten zu lassen, nicht auf (Meyer-Goßner/Schmitt, § 411 Rn 4 m.w.N.; Schmuck/Leipner, a.a.O.; s.u.a. OLG Dresden StV 2005, 492 m.w.N.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180; zur anderen Regelung in § 73 Abs. 3 OWiG). Die Vertretungsmöglichkeit besteht aber nur, wenn es sich um ein originäres StB-Verfahren handelt. Sie besteht nicht, wenn der Amtsrichter den von der StA beantragten StB nach § 408 Abs. 3 S. 2 abgelehnt und HV anberaumt hat. Dann handelt es sich um ein normales Strafverfahren (LR-Gössel, § 408 Rn 52).

 

b) Die besondere Vertretungsvollmacht muss „nachgewiesen“ sein. Sie kann schriftlich erteilt werden oder „medienneutral“, also zB durch eine elektronische Signatur (s. BT-Drucks. 18/9416, S. 70). Dagegen genügt die anwaltliche Versicherung, dass die Vollmacht erteilt sei, nicht (vgl. OLG Saarbrücken NStZ 1999, 265). Auch die spätere schriftliche Bestätigung einer zunächst nur mündlich erteilten Vollmacht ist unzureichend (OLG Brandenburg wistra 2012, 43 und OLG Köln StV 2018, 152 [Ls.; Vollmacht muss in der HV vorliegen]). Auch der Pflichtverteidiger muss eine nachgewiesene Vertretungsvollmacht haben (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Hamm StV 1997, 404 [Ls.]; OLG München VRR 2010, 393). Wird ohne eine solche Vollmacht verhandelt, liegt darin ein Verfahrensverstoß (OLG Saarbrücken, a.a.O. [zugleich auch zur i.d.R. zu bejahenden „Beruhensfrage“]).

Die von der früheren Rspr. (BayObLG NStZ 2002, 277; KG StRR 2014, 38; OLG Celle VRR 2014, 83 [Ls.]; OLG Dresden StRR 2013, 261 m. Anm. Reichling) noch für zulässig gehaltene Unterzeichnung einer schriftlichen Vollmacht (in der HV) durch den Verteidiger selbst ist nicht mehr zulässig (KG, Beschl. v. 23.11.2017 – (4) 161 Ss 158/17 (213/17), StV 2019, 181 [Ls.]; OLG Hamburg, Beschl. v. 25.7.2017 – 1 Rev 37/17, StV 2018, 151; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 15a; MüKo-StPO/Arnoldi, § 234 Rn 7). Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 329 ausdrücklich festgehalten, dass es für eine nachgewiesene Vollmacht nicht mehr ausreicht, wenn die Vertretungsvollmacht aufgrund mündlicher Erklärung durch den Angeklagten von dem zu bevollmächtigenden Verteidiger selbst unterzeichnet wird (BT-Drucks. 18/3562, S. 68). Für das StB-Verfahren gilt insoweit nichts anderes, nachdem auch § 411 Abs. 2 explizit eine „nachgewiesene“ Vollmacht des Verteidigers verlangt (auch OLG Köln, Beschl. v. 24.9.2019 – 1 RBs 328/19, StV 2018, 152 [Ls.] für § 73 Abs. 3 OWiG im Bußgeldverfahren). Ist der (Wahl-)Verteidiger vertretungsberechtigt und erteilt er einem anderen Rechtsanwalt Untervollmacht, bedarf diese aber nicht der Schriftform (s. BayObLG VRS 81, 34 m.w.N.; für das Bußgeldverfahren OLG Celle VRR 2011, 116 m. Anm. Burhoff). Auch ist es unschädlich, wenn der Verteidiger eine bereits vorliegende Vollmachtsurkunde selbst (nur) um das gerichtliche Aktenzeichen ergänzt (OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2021 – III-1 RVs 121/21, StV 2022, 143 [Ls.]).

Verteidiger und Angeklagter müssen vor der HV gemeinsam überlegen, ob es notwendig ist, dass der Angeklagte an der HV teilnimmt. Der Verteidiger darf dabei nicht übersehen, dass es für ihn manchmal schwer ist, dem Mandanten später ein ungünstiges Ergebnis der HV zu erklären, wenn der Mandant an der HV nicht selbst teilgenommen hat. Dem kann der Verteidiger nur dadurch vorbeugen, dass vorab alle Eventualitäten besprochen werden und der Mandant sich bereithält, um ggf. doch noch zu erscheinen (was allerdings bei etlichen Gerichten für Irritationen sorgen dürfte). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Möglichkeit der Vertretung durch den Verteidiger dem Erlass eines HB nach § 230 Abs. 2 nicht entgegenstehen soll, wenn das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet ist (§ 236) (s. KG StraFo 2014, 512; aber auch OLG Brandenburg wistra 2012, 43), und zwar auch dann nicht, wenn sich Angeklagte nach § 411 Abs. 2 durch einen Verteidiger vertreten lässt (KG, a.a.O.). Allerdings muss vor Erlass des HB immer auch geprüft werden, ob die HV nicht ggf. ohne den Angeklagten durchgeführt werden kann (KG NJW 2007, 2345 [vertretungsberechtigter Verteidiger war erschienen]; LG Essen StraFo 2010, 28) oder, ob der Einspruch zu verwerfen ist (OLG Brandenburg, a.a.O.).

 


 

Ein Auszug aus dem Buch Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Auflage, 2024, Teil S Rdn. 3079-3082

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