Es wird viel geschrieben und geredet darüber, was Anwälte und Anwältinnen alles können sollen und müssen. Alleine das Studium, das Referendariat, die Staatsexamina und möglicherweise noch eine Promotion, dann natürlich noch das Fachanwalts-Dasein und die ständigen Fortbildungen dazu. Haufenweise juristische Fachzeitschriften und neue Urteile aus den eigenen Fachgebieten. Und dann noch das neue Buch von XY.
Dann der Einstieg ins Kanzleileben mit Aktenarbeit, Recherchen, Mandantenbesuche bzw. -empfängen und Gerichtsterminen. Ganz schön viel – und das war noch längst nicht alles, denn dann geht es weiter mit Diktaten oder Arbeitsanweisungen an die zuständigen Mitarbeitenden, die Kontrolle der Dinge, die andere für sie bearbeitet haben. Die Korrektur der eigenen Schriftsätze nach Rücksprache mit den Kollegen, das Einpflegen der Stunden, die man für die Aktenarbeit gebraucht hat zwecks Abrechnung der Akten usw.
Und dann kommen die richtigen Brocken, gerade wenn man in einer kleinen oder mittelständischen Kanzlei arbeitet bzw. diese Kanzlei einem auch noch selber gehört. Auf einmal soll man Mitarbeitende führen, einstellen und entlassen, die Buchhaltung und die Finanzen im Blick behalten, sich mit Steuerberatern auseinandersetzen, sich um den Außenauftritt mit kümmern, Entscheidungen über Einrichtung, Computer und -zubehör oder Programme treffen.
Bibliotheken pflegen, Strategien zur Mandantengewinnung mit ausarbeiten, Stundensätze mitbestimmen, Streitigkeiten unter Mitarbeitenden schlichten, entscheiden welche Feiern es gibt, ob der Obstkorb und die kostenlosen Getränke bleiben, wie sich die Arbeitszeiten gestalten sollen, ob Homeoffice gemacht werden darf oder nicht, ob der Standort noch in Ordnung ist, oder ob ein Umzug geplant werden muss oder wie lange der Mietvertrag noch gültig ist. Die Liste können Sie vermutlich ewig fortsetzen.
Doch was bedeutet das für den Kanzleialltag?
Aus der Beschreibung oben lässt sich ablesen, dass Sie als Anwältinnen und Anwälte im Grunde genommen Unternehmer:in, Führungskraft, Personaler:in, Einkäufer:in, IT’ler:in, Marketingleiter:in und BWL’er:in sind und obendrein noch die jeweils passenden Soft Skills dazu besitzen müssen. Ach ja, und natürlich sind Sie – wie oben schon erwähnt – ganz nebenbei natürlich auch noch Anwältinnen und Anwälte, ich vergaß es fast.
Ehrlicherweise stellt sich da im Kanzleialltag die Frage, wie man all diese Aufgabengebiete und Persönlichkeiten unter einen Hut bringen soll. Denn vermutlich hat ihr Tag genau wie meiner nur 24 Stunden und ihre Woche nur 7 Tage. Oder haben Sie ein paar Stunden geschenkt bekommen?
Weswegen ich frage?
Anwälte am Rande ihrer Kräfte
In einigen persönlichen Gesprächen habe ich schon Anwälte und Anwältinnen am Rande ihrer Kräfte und am Rande ihrer Möglichkeiten gesehen. Zumal zu den beruflichen Anforderungen ja auch noch das Privatleben mit all seinen Facetten dazu kommt, denn als Einsiedler leben die meisten von Ihnen ja auch nicht. Und all das spiegelt sich dann häufig auch in der Kanzlei wider.
Da wird die Buchhaltung und die Rechnungstellung vernachlässigt, eine finanzielle Planung gibt es nur ganz grob und die wird meistens auch nur wie vom Steuerberater angeraten gemacht. Die Probleme der Fachangestellten untereinander oder auch mit den Abläufen bleiben häufig unberücksichtigt, auch wenn Sie sich diese immer wieder anhören, denn ihnen fehlt einfach die Zeit und die Energie.
Beim Programm wird einfach das ausgewählt, das für die Anwälte/Anwältinnen am besten passt, am günstigen ist oder von dem ausgewählt, der am besten verkaufen kann, ohne die Fachangestellten mit einzubinden. Auch bei der Computerausstattung und der Büroeinrichtung wird hauptsächlich nach dem Preis statt nach der Funktionalität und Ergonomie geschaut.
Digitalisierung? Alles viel zu langwierig, zu teuer und zu zeitintensiv. Moderne Arbeitsweisen und Veränderungen der Strukturen geht gar nicht, haben wir noch nie gemacht und es funktioniert ja irgendwie so, wie es ist. Ich vermute mal, all das kommt ihnen bekannt vor? Das ist verständlich, denn ganz ehrlich – sie sind nur eine Person und in meinen Augen können sie all das gar nicht können und schon gar nicht in richtig guter Qualität.
Jede der genannten Tätigkeiten ist ein eigener Beruf und ein eigenes Tätigkeitsfeld, für den Menschen in der Regel eine 35 bis 40 h-Woche zur Verfügung haben und sich nur auf diese Tätigkeiten konzentrieren können. Jedem Unternehmer und jeder Führungskraft wird von Trainern und Coaches geraten, die meiste Zeit am statt im Unternehmen zu arbeiten und sie versuchen, die ganze Zeit sowohl am als auch im Unternehmen, nämlich der Kanzlei zu arbeiten – das kann in meinen Augen kaum das gewünschte Ergebnis bringen.
Mehrere Tätigkeiten gleichzeitig auszuüben kann auf Dauer nicht funktionieren
Jeder Einzelunternehmer kauft sich mittlerweile Dienstleistungen ein, um nicht alles selbst können und machen zu müssen und sich auf seine Kernkompetenz zu fokussieren. Deswegen denke ich, dass sie sich als Anwältin oder Anwalt schon längst zusätzlich zu Ihren Fachangestellten entsprechende Fachleute einkaufen sollten. Sicher denken Sie jetzt: und wer soll das bezahlen?
Na ja, wenn Sie sich nicht mehr den ganzen Aufgaben nebenher widmen müssen, ihre Kanzlei effektiver und effizienter läuft und ihre Fachangestellten Ihnen durch Fort- und Weiterbildungen auch noch jede Menge fachliche Arbeit abnehmen können, dann gehe ich davon aus, dass sie auch noch mehr verdienen können, weil sie mehr Zeit und Raum für ihre eigentliche Arbeit haben.
Dadurch haben sie weniger Sorgen um ihr Unternehmen und mit weniger Stress und Sorgen auch mehr Kapazitäten für Weiterentwicklungen, andere Tätigkeiten nebenher und mehr Energie. Und ihre Fachangestellten profitieren auch noch davon und sie werden weniger Personalmangel und weniger Opportunitätskosten durch ständige Neueinstellungen, Einarbeitungen etc. haben.
Das heißt, sie gewinnen so viel mehr, als sie verlieren. Vor allem Zeit und Lebensqualität. Denn auch Sie sind kein Alleskönner und keine Maschine, sondern nur ein Mensch.