1. §§ 72, 79 Abs. 1 OWiG regeln keine Fälle einer bestimmten Beschwer des Rechtsmittelführers, sondern enthalten Regelungen der Unanfechtbarkeit im Sinne des § 464 Abs. 3 S. 1 StPO.
2. Eine nachteilige Kostenentscheidung in einem Beschluss nach § 72 OWiG ist für den Betroffenen jedenfalls dann nicht anfechtbar, wenn ihm gegen die Hauptentscheidung kein Rechtsmittel zusteht und er lediglich rügt, dass die Nebenentscheidung gesetzwidrig ergangen sei. In diesem Fall kann die Kostenentscheidung nur mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.
3. Es ist auch dann nicht unbillig, einem Betroffenen die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich der darin enthaltenen Sachverständigenkosten aufzuerlegen, wenn dieser sich gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit unbeschränkt verteidigt hat und ein im Bußgeldbescheid verhängtes Fahrverbot aufgrund der Erkenntnisse eines Sachverständigengutachtens in Wegfall gerät, er aber dennoch wegen einer verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVG [Anm.: gemeint ist wohl StVO] verurteilt wird.
(Leitsätze des Gerichts)
AG Landstuhl, Beschl. v. 31.1.2022 – 2 OWi 4211 Js 3063/21
I. Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen durch Beschluss gem. § 72 OWiG wegen eines Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße unter Absehung des noch im Bußgeldbescheid vorgesehenen Fahrverbots nach Einholung eines Sachverständigengutachtens verurteilt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger außerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist beantragt und gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss, hilfsweise gegen den Beschluss insgesamt, sofortige Beschwerde, hilfsweise Rechtsmittel, eingelegt. Weiter hilfsweise hat er „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs gem. § 33a StPO“ sowie die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Entscheidung beantragt. Es wird gerügt, das Gericht hätte ihn den Fall, dass es beabsichtigt, dem Betroffenen die Sachverständigenkosten aufzuerlegen, vor Beschlusserlass hierauf hinweisen müssen. Das AG hat die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen.
II. Entscheidung
Das Begehren des Betroffenen sei dahin auszulegen, dass eine Entscheidung über die Anhörungsrüge auf den Hilfsantrag nur ergehen soll, wenn ihm andere Rechtsbehelfe gegen die angegriffene Kostenentscheidung nicht zur Verfügung stehen. Diese Bedingung sei erfüllt. Gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO sei eine Anfechtung der Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen mit der sofortigen Beschwerde unzulässig, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Beschlüsse nach § 72 OWiG unterlägen der Rechtsbeschwerde nur unter bestimmten Voraussetzungen, die in § 79 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 OWiG abschließend geregelt sind. In Fällen, in denen die Hauptentscheidung nach §§ 72, 79, 80 OWiG einer Anfechtung entzogen ist, führe aufgrund des Gleichlaufs der Anfechtbarkeit von Haupt- und Nebenentscheidung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung auch zur Unanfechtbarkeit der Nebenentscheidung, da diese anderenfalls in weiterem Umfang anfechtbar wäre als die Hauptentscheidung, was vom Gesetzgeber gerade ausgeschlossen werden sollte. Da der Betroffene der Entscheidung im Beschlussverfahren nicht widersprochen, sondern vielmehr ausdrücklich zugestimmt hat und das Gericht die vom Verteidiger dabei gesetzte innerprozessuale Bedingung (Verurteilung zu einer Geldbuße von 180 EUR, Nichtanordnung eines Fahrverbots) nicht verletzt hat, scheide eine Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung nach § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO aus. Seiner Auffassung nach hätte ihm vor Erlass einer ihn in vollem Umfang belastenden Kostenentscheidung ein entsprechender Hinweis erteilt werden müssen. Selbst ein unterstellter Gehörsverstoß würde im Hinblick auf die Nebenentscheidung nicht zu deren Anfechtbarkeit führen, sondern lediglich das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 33a StPO eröffnen. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG regele nur die Anfechtbarkeit der Hauptentscheidung ‒ diesbezüglich werde aber kein Gehörsverstoß gerügt.
Die Anhörungsrüge sei bereits unzulässig. Das Gericht sei nicht gehalten, vor Erlass jeder einen Betroffenen benachteiligenden Entscheidung einen Hinweis zu erteilen, zumal der Betroffene im Fall einer Verurteilung, der er im vorliegenden Fall ausdrücklich zugestimmt hat, aufgrund der Grundregel in § 465 Abs. 1 StPO stets mit einer ihm nachteiligen Kosten- und Auslagenentscheidung rechnen muss. Der Anspruch auf rechtliches Gehör werde im Verfahren nach § 72 OWiG durch die Möglichkeit zum Widerspruch (§ 72 Abs. 1 OWiG) realisiert. Hierbei habe der Betroffene auch die Gelegenheit, seine Rechtsansicht zur Kosten- und Auslagenentscheidung vorzutragen und seine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegebenenfalls an entsprechende Bedingungen zu knüpfen.
Die Anhörungsrüge wäre zudem auch unbegründet, weil die getroffene Kostenentscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht. Gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO habe der Betroffene die Kosten des Verfahrens insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt wird. Dabei komme es nicht darauf an, welche Rechtsfolge letztendlich gegen den Betroffenen festgesetzt wird; maßgeblich sei allein, dass das Gericht wegen der Tat i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO im Beschluss eine Schuldfeststellung trifft und daran gesetzlich vorgesehene Rechtsfolgen knüpft. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 2 StPO sei vorliegend nicht gegeben. Dies sei dann der Fall, wenn es sich um Kosten handelt, die zwar im Verfahren gegen ihn begründet wurden, die sich jedoch im Ergebnis nicht in einem Schuldvorwurf niedergeschlagen haben bzw. sich gerade nicht auf ein delinquentes Verhalten des Betroffenen zurückführen lassen, aus Rechtsgründen jedoch nicht durch § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 465 Abs. 1, 467 StPO ausscheidbar sind, so dass es unbillig wäre, den Betroffenen mit ihnen zu belasten (OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 359 (360). Die Vorschrift sei als Ausnahmebestimmung zu dem das Kostenrecht durchziehenden Veranlasserprinzip ausgestaltet, die aus diesem Grund eng auszulegen ist. Entscheidend dafür, ob besondere Kosten, die eigentlich der Veranlasser zu tragen hätte, der Staatskasse überbürdet werden, sei die Frage, ob die tatsächlich erfolgten Untersuchungen auch dann notwendig gewesen wären, wenn der Bußgeldbescheid von vornherein dem späteren Urteil, hier Beschluss, entsprochen hätten. Dies sei vorliegend der Fall. Bei dem von der Polizei zur Anwendung gebrachten Messverfahren handele es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Die sachverständige Begutachtung wäre also auch dann erforderlich geworden, wenn schon in dem Bußgeldbescheid die Rechtsfolgen festgesetzt worden wären, auf die das Gericht später in dem Beschluss erkannt hat. Es liege insbesondere auch kein Fall des sog. „fiktiven Teilfreispruchs“ vor, bei dem einem Betroffenen, mehrere idealkonkurrierende Taten zur Last gelegt worden sind, von denen jedoch gerade diejenige, auf die sich die Beweiserhebung bezog, keine Bestätigung erfahren hat, ein Teilfreispruch aber aus Rechtsgründen zu unterbleiben hatte. Ebenso bleibe der Rechtsfolgenausspruch auch nicht bedeutend hinter demjenigen im Bußgeldbescheid zurück, sondern hat lediglich zu einer moderaten Reduzierung der Hauptsanktion und zu einem Wegfall der Nebenfolge geführt. Anlass zu einer anderweitigen Beurteilung würde im Übrigen auch dann nicht bestehen, wenn der Betroffene geltend machen würde, dass er einen Bußgeldbescheid in der Höhe akzeptiert hätte, in der er letztlich vom Gericht verurteilt worden ist. Würde man derartige hypothetische Erwägungen, die einer objektiven Nachprüfbarkeit schlechterdings entzogen sind, zulassen, hätte es ein Betroffener stets in der Hand, in jedem Fall, in dem die vom Gericht ausgeworfenen Rechtsfolgen hinter denen des Bußgeldbescheids zurückbleiben, zu behaupten, dass er einen entsprechenden Schuldspruch von vornherein akzeptiert hätte und damit auf die Kostenentscheidung Einfluss zu nehmen. Dies würde jedoch der grundsätzlichen Wertung in § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO sowie dem Veranlasserprinzip widersprechen
III. Bedeutung für die Praxis
Die subsidiäre Anhörungsrüge in § 33a StPO dient der Nachholung des rechtlichen Gehörs, wenn es in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Sondervorschriften sind § 311a StPO für die Beschwerde und § 356a StPO für die Revision, wobei deren Erfolgsaussicht beim BGH bei Studium der Entscheidung auf der Homepage gegen Null geht. Das AG Landstuhl behandelt in einem außergewöhnlich detailliert und gut begründeten Beschluss den Anwendungsbereich einer Anhörungsrüge nach einer nachteiligen Kostenentscheidung in einem Beschluss nach § 72 OWiG. Sicher keine alltägliche Fallgestaltung. Für Verteidiger bedeutet die Entscheidung, dass in solcher Konstellation auch die Frage der Kostentragung zum Gegenstand der Zustimmung zum Beschlussverfahren nach § 72 OWiG gemacht werden sollte.
RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum