Dieselfälle: Ersatzfähigkeit von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Deliktszinsen
Deliktszinsen nach § 849 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. Für die Höhe des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruches ist der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Tätigkeit maßgeblich. Danach gezogene Nutzungen bleiben bei der Bestimmung des Gegenstandswerts auch im Außenverhältnis außer Betracht.
BGH, Urt. v. 2.11.2021 – VI ZR 731/20
Verbrieftes Rückgaberecht: Sittenwidrigkeit
Zur Annahme der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB bei einem EU 6 3.0l Motor in einem Audi A 5 wegen der verwendeten Aufheizstrategie „A“. Die Einräumung eines „verbriefen Rückgaberechts“ mit der von Anfang an vereinbarten Möglichkeit, im Rahmen der Finanzierung („Vario Kredit“) anstelle der Zahlung der Schlussrate das Fahrzeug zurückzugeben, steht einem Schaden nicht entgegen.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.1.2022 – 8 U 85/20
Wiedereinsetzung: Windows-Update und beA
Einem Prozessbevollmächtigten ist es nicht als Verschulden vorzuwerfen, dass er nicht mit dem automatischen Windows-Update rechnet und es deshalb nicht rechtzeitig verhindert, was zur Folge hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht mehr fristgemäß über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandt werden kann.
OLG Schleswig, Urt. v. 20.1.2022 – 11 U 19/21
Benutzung eines Mobiltelefons: Ablegen auf Oberschenkel
Die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons durch ein Halten i.S.v. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO liegt nicht nur dann vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird, sondern auch dann, wenn es auf dem Oberschenkel abgelegt wird.
BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21
Atypischer Rotlichtverstoß: Baustellenampel
Nicht jede Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase stellt eine typische, die Verhängung der erhöhten Geldbuße sowie eines Fahrverbotes nach Nr. 132.3 BKat indizierende Pflichtverletzung dar. Insbesondere im Falle einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel kann die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein. In einem solchen Fall sind im tatrichterlichen Urteil nähere Darlegungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation erforderlich, die die Beurteilung erlauben, ob das Gewicht der Pflichtverletzung dem Typus des Regelfalles entspricht.
BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1543/21
Geschwindigkeitsüberschreitung: Messung durch Nachfahren
Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10 % zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).
OLG Köln, Beschl. v. 3.12.2021 – III-1 RBs 254/21
Drogenfahrt: Bestimmungsgemäße Einnahme als Medikament
Eine „bestimmungsgemäße“ Einnahme i.S.d. § 24a Abs. 2 StVG liegt nicht vor, wenn das Medikament (Cannabis) in Kombination mit einer der nach dem BtMG verbotenen Substanz eingenommen wird.
AG Trier, Urt. v. 15.12.2021 – 36 OWi 8041 Js 35254/21
Rohmessdaten bei ES 3.0: Vorlage an den BGH
Darf ein in einem standardisierten Messverfahren (hier: ESO-Einseitensensor ES 3.0 – Softwareversion 1.007.2) ermitteltes Messergebnis den Urteilsfeststellungen zu einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zugrunde gelegt werden, wenn zuvor dem Antrag des Betroffenen, ihm die vorhandenen Rohmessdaten der Tagesmessreihe, die nicht zur Bußgeldakte gelangt sind, zur Einsicht zu überlassen, nicht stattgegeben worden ist, oder beinhaltet dies eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) bzw. eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung des Betroffenen (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO)?
OLG Koblenz, Beschl. v. 1.2.2022 – 3 OWi 32 SsBs 99/21
Berufungsverwerfung: Schuldhaftes Ausbleiben des bevollmächtigten Verteidigers
Das Vertrauen eines Angeklagten darauf, sein Verteidiger werde absprachegemäß von der ihm erteilten Vertretungsvollmacht Gebrauch machen, entschuldigt die eigene Abwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht. Nimmt der Verteidiger den Termin in solchen Fällen schuldhaft nicht wahr, ist die Berufung des Angeklagten zu verwerfen. Ein Wiedereinsetzungsantrag, der lediglich damit begründet wird, dass der Angeklagte seinen Verteidiger pflichtbewusst und sorgfältig mit der Vertretung beauftragt und sich auf dessen Erscheinen verlassen hat, ist unbegründet. Alle Tatsachen, auf die der Antragsteller sein Wiedereinsetzungsgesuch stützen möchte, müssen innerhalb der Frist des § 329 Abs. 7 Satz 1 StPO dargelegt werden.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.12.2021 – 1 Ws 276/21
Verwerfungsurteil: Begründung, Rechtsbeschwerde
Sind bei Erlass des Verwerfungsurteils Entschuldigungsgründe weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich, genügt eine an dem Gesetzestext des § 74 Abs. 2 OWiG orientierte Kurzbegründung. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung kann der Betroffene im Rechtsbeschwerdeverfahren nur mit der Verfahrensrüge geltend machen, wobei sämtliche hierfür maßgeblichen Umstände gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgetragen werden müssen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3.1.2022 – 2 RBs 215/21
Rechtsanwalt: Ordnungsgeld
Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt ist zulässig.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 3.1.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21
Fahrerlaubnis auf Probe: Verzicht
§ 2a Abs. 5 Satz 4 StVG gilt nicht nur in den Fällen der vorangegangenen Entziehung einer Fahrerlaubnis, sondern (analog) auch dann, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe zuvor auf diese verzichtet hat.
VG Mainz, Beschl. v. 18.1.2022 – 3 L 5/22.MZ
Beratungshilfe: Original des Berechtigungsscheins
Der Antragsteller muss bei einem elektronisch eingereichten Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfevergütung, dem der Berechtigungsschein als eingescanntes Dokument beigefügt ist, das Original des Berechtigungsscheins grundsätzlich nicht vorlegen.
LG Osnabrück, Beschl. v. 24.1.2022 – 9 T 466/21