Beitrag

Objektive und subjektive Zurechnung der Erfolgsqualifikation (§ 315d Abs. 2 und 5 StGB)

1. Eine objektive Zurechnung des durch einen anderen Rennteilnehmer verursachten Gefahrerfolgs gem. § 315d Abs. 2 StGB ist nur möglich, wenn sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (Anschluss an BGH VRR 1/2022, 14 [Deutscher]).

2. In subjektiver Hinsicht neigt der Senat zu der Annahme, dass der Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen § 315d Abs. 2 und 5 StGB verlangt, dass sich im qualifizierenden Erfolg auch gerade der vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahrerfolg niederschlägt. Das ist in Bezug auf die Erfolgsqualifikation des Todes eines anderen Menschen nur dann der Fall, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB auch im Hinblick auf die Gefährdung des Lebens anderer Menschen vorsätzlich gehandelt hat.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 8.12.2021 – 4 StR 224/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsbeschädigung verurteilt. Der Angeklagte war Eigentümer eines Motorrades mit einer Leistung von 100 kW; der Mitangeklagte verfügte über einen Pkw mit einer Leistung von 400 PS und einem speziellen Sportfahrwerk. Beide trafen sich, um mit ihren Fahrzeugen gemeinsam einen Straßenabschnitt zu befahren, der durch ein abwechslungsreiches Gefälle und einen großen Kurvenreichtum gekennzeichnet ist. Auf der gesamten Strecke existiert nur eine Fahrspur für jede Fahrtrichtung. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 100 km/h, teilweise aber auch auf 60 km/h beschränkt. Beide Angeklagte kamen überein, gemeinsam zwei „Durchgänge“ zu fahren, bei denen dieser Straßenabschnitt jeweils in beide Richtungen (Berg- und Talfahrt) befahren werden sollte. Bei dem ersten „Durchgang“ sollte der Angeklagte mit seinem Motorrad als Führungsfahrzeug vorausfahren und der Mitangeklagte mit seinem Fahrzeug nachfolgen. Der zweite „Durchgang“ sollte in umgekehrter Reihenfolge stattfinden. Ein gegenseitiges Überholen sollte ausgeschlossen sein. Überholungen anderer Verkehrsteilnehmer waren eigenverantwortlich vorzunehmen. Den Angeklagten kam es darauf an, ihre Fahrzeuge auf der anspruchsvollen Strecke zu testen und miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck sollte das nachfolgende Fahrzeug dicht an dem jeweiligen Führungsfahrzeug bleiben, das die Geschwindigkeit vorgeben sollte. Dabei ging es den Angeklagten darum, gemeinsam möglichst hohe Geschwindigkeiten zu erzielen. Bei dem zweiten „Durchgang“ übernahm der Mitangeklagte mit seinem Pkw die Führungsrolle. Bei der Talfahrt fuhr der Mitangeklagte mit überhöhter Geschwindigkeit (125,5 km/h) in die Rechtskurve ein, in der er schon im ersten „Durchgang“ die rechte Fahrspur nicht zu halten vermochte. Es kam zu einer Streifkollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und einer Frontalkollision mit einem weiteren Fahrzeug. Der Fahrer des zweiten Fahrzeugs wurde dadurch getötet; sein mitfahrender Sohn schwer verletzt. Er ist seitdem zu 100 % behindert. Zwei der drei Insassen des ersten Fahrzeugs erlitten ebenfalls Verletzungen. Der Angeklagte erreichte erst wenige Sekunden nach der Kollision die Unfallstelle. Die zuungunsten des Angeklagten mit dem Ziel einer Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikt eingelegten Rechtsmittel der Nebenkläger sind insoweit erfolglos geblieben. Sie haben jedoch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zu einer Änderung des Schuldspruchs geführt.

II. Entscheidung

Die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsbeschädigung gem. § 315d Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 5 Alt. 1 und 2 StGB halte revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Allerdings sei das LG zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte zusammen mit dem Mitangeklagten an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen gem. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnahm (wird ausgeführt). Die Feststellungen ergäben jedoch nicht, dass der Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB verwirklicht hat, sodass es für die Annahme der hieran anknüpfenden Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB bereits an der Grundlage fehle. Nach der Rechtsprechung des Senats erfülle ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB den als eigenhändiges Delikt ausgestalteten Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht. Eine mittäterschaftliche Zurechnung des Rennverhaltens der anderen Rennteilnehmer und sich allein daraus ergebender konkreter Gefahren scheide aus. Allerdings könne eine Nebentäterschaft vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setze aber voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (BGH VRR 1/2022, 14 [Deutscher]). Diese objektiven Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Die Strafkammer, der die neuere Rechtsprechung des Senats noch nicht bekannt sein konnte, hat angenommen, dass der Angeklagte als „mittelbarer Verursacher“ für die eingetretenen objektiven Gefährdungserfolge einstehen müsse, weil er durch die mit dem Mitangeklagten vorab getroffene Rennabrede und deren Umsetzung bei den nachfolgenden Fahrten eine Ursache hierfür gesetzt habe. Da sich der Mitangeklagte als Lenker des Führungsfahrzeugs im zweiten „Durchgang“ an den Tempovorgaben des Angeklagten im ersten „Durchgang“ orientiert habe, habe die von ihm im ersten „Durchgang“ an den Tag gelegte Fahrweise bis zum Eintritt der beiden Kollisionen im zweiten „Durchgang“ fortgewirkt. Mit diesen Erwägungen lasse sich eine Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 315d Abs. 2 StGB nicht begründen. Die Beteiligung an der Rennabrede reiche dafür schon deshalb nicht aus, weil darin noch kein Fahrverhalten i.S.d. Vorschrift liegt. Das dem Angeklagten darüber hinaus angelastete Verhalten als Fahrzeugführer während des ersten „Durchgangs“ habe in einer anderen Rennsituation stattgefunden und komme deshalb als Tathandlung des Qualifikationstatbestands ebenfalls nicht in Betracht. Dass der Angeklagte – worauf es allein ankomme – auch in der konkreten riskanten Rennsituation durch sein eigenes Fahrverhalten einen Verursachungsbeitrag zu der von dem Mitangeklagten herbeigeführten Kollision mit den Fahrzeugen der Geschädigten leistete, könne den Urteilsgründen dagegen nicht entnommen werden. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er den Mitangeklagten vor dessen Einfahrt in die Kurve durch ein bedrängendes Auffahren angetrieben hat. Vielmehr erreichte er die Unfallstelle nach den Feststellungen erst „wenige Sekunden nach der Kollision“.

Bei dieser Sachlage brauche der Senat nicht zu entscheiden, ob die Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB in allen ihren Varianten überhaupt in Betracht kommen kann, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB nur in Bezug auf die Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert, nicht aber hinsichtlich der Gefährdung von Leib und Leben anderer Menschen mit einem entsprechenden Gefährdungsvorsatz gehandelt hat. Der Senat neige zu der Annahme, dass der Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen § 315d Abs. 2 und 5 StGB verlangt, dass sich im qualifizierenden Erfolg auch gerade der vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahrerfolg niederschlägt. Dies sei aber in Bezug auf die Erfolgsqualifikation des Todes eines anderen Menschen gemäß § 315d Abs. 5 Var. 1 StGB nur dann der Fall, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB auch im Hinblick auf die Gefährdung des Lebens anderer Menschen vorsätzlich gehandelt hat. Die Erfolgsqualifikationen der schweren Gesundheitsbeschädigung und der Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen (§ 315d Abs. 5 Alt. 2 und 3 StGB) komme danach nur dann in Betracht, wenn ein Vorsatz wenigstens in Bezug auf die Herbeiführung einer Leibesgefahr im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB festgestellt ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Zu Leitsatz 1 setzt der Senat konsequent seine Vorgaben aus der kurz zuvor ergangenen Entscheidung VRR 1/2022, 14 [Deutscher] um. Für die Praxis bedeutsam ist das obiter dictum in Leitsatz 2 (zum obiter dictum durch die Strafsenate des BGH Bechtel NStZ 2022, 1): Der Senat gibt für die subjektive Zurechnung der Erfolgsqualifikationen in § 315d Abs. 5 StPO deutlich zu verstehen, dass er künftig verlangen wird, dass der qualifizierte Erfolg auf einem vorsätzlich verursachten Gefahrerfolg beruht, also einer vorsätzlichen Lebensgefährdung bei der Folge „Tod“ oder vorsätzlichen Leibesgefahr bei der Folge „Gesundheitsschädigung“. Prima facie deckt sich das mit der Struktur erfolgsqualifizierter Delikte (§ 18 StGB), wie etwa in §§ 226, 227, 251 StGB, bei denen das Grunddelikt vorsätzlich begangen sein muss, Hier wäre das der tatbestandliche Gefahrerfolg in § 315d Abs. 2 StGB, der in Abs. 5 ausdrücklich als Ausgangpunkt genannt wird. Für die Praxis bedeutet der Beschluss, dass in einschlägigen Fällen Feststellungen zur vorsätzlichen Verursachung des Gefahrerfolgs für die Annahme der Erfolgsqualifikation erforderlich sind.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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