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Dauer der Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren

§ 143 Abs. 1 und Abs. 2 StPO sind im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar, so dass sich die Beendigung der Bestellung eines Pflichtverteidigers danach richtet. Danach endet eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO nicht per se mit dem Einlegen des Einspruchs.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Oldenburg, Beschl. v, 26.10.2021 – 4 Qs 424/21

I. Sachverhalt

Das AG im Strafbefehlsverfahren den Rechtsanwalt gemäß § 408b StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Es hat dann wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einen Strafbefehl erlassen und eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Bei der Zustellung des Strafbefehls hat das AG den Angeklagten darauf hingewiesen, dass es davon ausgehe, dass die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 408b StPO nur die Einspruchseinlegung umfasse. Der Angeklagte hat gegen Strafbefehl Einspruch eingelegt. Später hat er dem AG mitgeteilt, dass er die Ansicht, dass die notwendige Verteidigung nicht für eine mündliche Verhandlung fortwirke nicht teile und hat gegen die Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Verteidigung „Beschwerde“ eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG geht davon aus, dass die sofortige Beschwerde statthaft ist. Das entnimmt es § 304 Abs. 1 StPO. Danach seien auch Verfügungen des Vorsitzenden mit der (sofortigen) Beschwerde angreifbar. Da mit der angefochtenen Verfügung aber gleichsam die Beendigung einer Pflichtverteidigerbestellung ausgesprochen werde, sei allerdings in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 3 StPO die sofortige und nicht die einfache Beschwerde statthaft.

Die sofortige Beschwerde sei auch nicht wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig. Die Beschwerdefrist von einer Woche (§ 311 Abs. 2 StPO) sei zwar nicht eingehalten worden, dem Angeklagten sei jedoch auch ohne einen entsprechenden Antrag eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach §§ 44 Satz 1, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO zu gewähren. Denn die Übermittlung der Verfügung des Vorsitzenden mit der Zustellung des Strafbefehls sei nicht mit der nach § 35a StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen (§§ 44 Satz 2, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO).

Das LG geht davon aus, dass entgegen der Ansicht des AG eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO nicht per se mit dem Einlegen des Einspruchs endet. Die StPO enthalte keine Spezialregelung über die Dauer der Pflichtverteidigerbeiordnung im Strafbefehlsverfahren. Daher seien im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich die allgemeinen Regeln über die notwendige Verteidigung anzuwenden. Dies habe der Gesetzgeber nunmehr auch bewusst dadurch deutlich gemacht, dass er die Verweisung in § 408b Satz 2 StPO a.F., welche lediglich auf § 141 Abs. 3 StPO verwiesen hatte, mit dem „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 (BGBL I. S. 2128) gestrichen habe. Hiermit habe klar zum Ausdruck gebracht werden sollen, dass die gesamten Regelungen der §§ 141 ff. StPO auch im Rahmen der Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO anwendbar sein sollen (vgl. BR-Drucks 364/19, S. 53). Die früher streitige Frage über die Reichweite der notwendigen Verteidigung nach § 408b StPO sei damit durch den Gesetzgeber beantwortet worden. Aus der Neuregelung folge, dass auch § 143 Abs. 1 und Abs. 2 StPO im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar seien und sich die Beendigung der Bestellung nach diesen Normen richte. Danach ende die Bestellung eines Pflichtverteidigers entweder mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens oder mit der Aufhebung der Beiordnung durch das Gericht. Das Gericht könne die Bestellung dann nach § 143 Abs. 2 Satz 1 StPO aufheben, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen. Ein automatisches Ende für den Fall, dass die Voraussetzungen der Beiordnung nicht mehr vorliegen, sehe die StPO dagegen nicht vor.

Diese Auffassung hat für das Strafbefehlsverfahren zur Folge – so das LG – dass die Bestellung des Pflichtverteidigers zweifellos endet, wenn der Strafbefehl in Rechtskraft erwächst. Lege der Angeschuldigte hingegen Einspruch ein, sei zu differenzieren:

Sei eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten, habe die Bestellung schon nach § 140 Abs. 2 StPO fortzudauern. Sei hingegen, wie hier, eine darunterliegende Freiheitsstrafe zu erwarten, so könne die Bestellung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts nach § 143 Abs. 2 Satz 1 StPO aufgehoben werden (vgl. Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 408b Rn 10). § 143 Abs. 2 Satz 1 StPO sei aufgrund der dargestellten Grundsätze ebenfalls im Verfahren nach § 408b StPO anwendbar. Eine besondere Regelung für die Beendigung der Beiordnung nach § 408b StPO existiere nicht, es bleibe daher bei der allgemeinen Regelung. Diese Regelung erscheine auch sachgerecht.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die erste (veröffentlichte) Entscheidung zum neuen Recht der Pflichtverteidigung. Betreffend das Strafbefehlsverfahren war früher umstritten, ob die gem. § 408b StPO erfolgte Bestellung auch für das gerichtliche Verfahren galt (vgl. die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019. Rn 2752 m.w.N.). Der Streit hat sich mit der gesetzlichen Neuregelung in § 408b StPO im Sinne der schon zum alten Recht geltenden h.M. erledigt (zum neuen Recht Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 3304 ff.). Dass das auch sachgerecht und im Interesse des Angeklagten ist, hat das LG ebenfalls zutreffend dargelegt.

2. Zutreffend weist das LG darauf hin, dass es dem AG natürlich unbenommen ist, nun über eine mögliche Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung zu entscheiden. Dem steht der Beschluss des LG nicht entgegen, denn der hat nicht über eine erfolgte Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung entschieden, sondern moniert, dass das AG darüber eben nicht entschieden hat, weil es von einem automatischen Ende der Bestellung ausgegangen ist. Über die Frage der Fortgeltung bzw. Aufhebung muss das AG nun nach pflichtgemäßem Ermessen durch Beschluss entscheiden. Im Rahmen dieser Entscheidung muss es, worauf das LG ebenfalls hinweist, dann insbesondere den Grundsatz des Vertrauensschutzes zugunsten des Angeklagten berücksichtigen. Gegen die Entscheidung steht dem Angeklagten dann erneut das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (§§ 143 Abs. 3, 311 StPO).

3. Die Entscheidung hat ggf. auch gebührenrechtliche Auswirkungen. Geht man nämlich davon aus, dass die Bestellung des Pflichtverteidigers automatisch mit der Einlegung des Einspruchs endet, kann er als gesetzliche Gebühren nur die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, ggf. die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und die Vernehmung Nr. 4106 VV RVG – je nach Fallgestaltung – geltend machen. Endet die Pflichtverteidigerbestellung hingegen nicht automatisch kann der Rechtsanwalt ggf. auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG verlangen, wenn es zur Hauptverhandlung kommt und der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger an ihr teilnimmt. Wird der Einspruch – ggf. nach Beratung mit dem Mandanten zurückgenommen – kann die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 3 VV RVG angefallen sein (zu den Gebühren im Strafbefehlsverfahren Burhoff in. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2047 ff. m.w.N.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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