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Kein Schadensersatz für Desinfektionskosten bei Reparatur des Kfz

(1) Kosten für die Desinfektion des Fahrzeuges bei dessen Reparatur sind als Schadensersatz nicht zu erstatten, wenn es sich lediglich um sogenannte Allgemeinkosten handelt, die im Wesentlichen dem Schutz der Mitarbeiter der Werkstatt dienen.

(2) Außerdem sind diese Maßnahmen dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen und nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen, so dass aus diesem Grund kein Schadenersatz zu erstatten ist.

(3) Insoweit greifen zugunsten des Geschädigten auch nicht die Grundsätze des Werkstattrisikos ein, da schon aus Rechtsgründen kein Schadensersatzanspruch besteht.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Hannover, Urt. v. 10.2.2021 – 431 C 9575/20

I. Sachverhalt

Der Kläger verlangte Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gegenüber der beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Unfallgegners, beschränkt auf die noch offene Position für die Desinfektion seines Fahrzeuges während der Reparaturarbeiten. Die beklagte Versicherung lehnte die Erstattung der Kosten ab.

II. Entscheidung des Gerichts

Seitens des Amtsgerichtes Hannover wurde ein Schadensersatz zu dieser Position verneint. Insoweit wäre zu bemängeln, dass der Kläger schon gar nicht substantiiert vorgetragen hätte, welche konkreten Aufwendungen sich hinter diesen Reinigungskosten verborgen hätten. Aus Sicht des Gerichts liegt nahe, dass es sich im Wesentlichen um Maßnahmen des Arbeitsschutzes handelt, die alleine den Mitarbeitern des Betriebes zugutekommen und in diesem Fall als sogenannte Allgemeinkosten zu erfassen sind, die keinen gesonderten Aufschlag gegenüber dem Auftraggeber rechtfertigen, sondern typischerweise in dem Stundensatz der Werkstatt schon enthalten sind. Zudem wären diese Schutzmaßnahmen eine Erschwernis, welche üblicherweise zulasten des Auftraggebers gehen würde. Dabei wäre auch zu beachten, dass es in der unternehmerischen Praxis überwiegend so gehandhabt wird, dass die mit den Schutzmaßnahmen bei der COVID-19-Pandemie anfallenden Kosten üblicherweise nicht gesondert in Rechnung gestellt werden.

Unabhängig davon sind aus Sicht des Gerichtes diese Coronamaßnahmen auch dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen und deswegen nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen. Es würde an einem konkreten Bezug zu dem konkreten Unfallereignis fehlen. Allgemein verbreitete Krankheiten und ihre Übertragungsrisiko wären vielmehr der Lebenssphäre der Beteiligten zuzurechnen.

Insoweit würden auch zugunsten der Klägerseite nicht die Grundsätze des so genannten Werkstattrisikos eingreifen, da die verfolgte Position bereits aus Rechtsgründen nicht zu erstatten wäre und es gerade nicht um überzogene Reparaturmaßnahmen gehen würde, die ohne Absprache gesondert geltend gemacht werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Ob und unter welchen Voraussetzungen Kosten für eine Desinfektion des Fahrzeuges, die während der Reparatur anfallen, einen Schadensersatzanspruch begründen, wird in der Rechtsprechung kontrovers erörtert. Einige Gerichte gehen von erforderlichen Maßnahmen aus und sprechen die damit verbundenen Kosten dem Geschädigten insbesondere unter Hinweis auf das Werkstattrisiko zu (AG Heinsberg, Urt. v. 4.9.2020 – 18 C 161/20 = DAR 2020, 695; AG Aichach, Urt. v. 29.9.2020 – 101 C 560/20, AG Düren, Urt. v. 26.2.2021 – 45 C 15/21, AG Ellwangen, Urt. v. 15.10.2020 – 2 C 218/20 und AG Kempten, Urt. v. 12.10.2020 – 6 C 844/20). Andere Gerichte wiederum gehen davon aus, dass diese Kosten entweder nicht erforderlich sind oder aber den nicht erstattungsfähigen Allgemeinkosten zuzuordnen wären und im Übrigen eine adäquate Kausalität bzw. ein Schutzzweckzusammenhang fehlen würde, da allein das allgemeine Lebensrisiko betroffen wäre (LG Stuttgart, Urt. v. 27.11.2020 – 19 O 145/20; AG Düsseldorf, Urt. v. 4.3.2020 – 291c C 25/19; AG Überlingen, Urt. v. 19.9.2019 – 3 C 96/19; AG Tuttlingen, Urt. v. 26.6.2019 – 3 C 683/18; AG Stuttgart, Urt. v. 30.12.2020 – 43 C 4029/20; AG Aachen, Urt. v. 28.1.2021 – 110 C 161/20; AG Marienburg, Urt. v. 16.2.20201 – 3 C 497/20; AG Heilbronn, Urt. v. 10.2.2021 – 8 C 2865/20 – juris; AG Marienburg, Urt. v. 16.2.20201 – 3 C 497/20).

Letzterer Auffassung hat sich auch das Amtsgericht Hannover in diesem Urteil angeschlossen. Die Entscheidung zeigt zugleich, dass es genau auf einen konkreten Sachvortrag ankommt, für welche Maßnahmen im Einzelnen diese Kosten erhoben werden. Denn wenn es um Reinigungskosten geht, die schon vor den durchgeführten Reparaturarbeiten begonnen haben, liegt es auf der Hand, dass es im Wesentlichen um den Schutz der Mitarbeiter des Werkstattbetriebes geht. Dann spricht vieles dafür, dass derartige Aufwendungen üblicherweise schon im Stundensatz enthalten sind und nicht gesondert berechnet werden können. Anders kann dies natürlich beurteilt werden, wenn es um Maßnahmen geht, welche der Rückgabe des Fahrzeuges gegenüber Kunden dienen. In jedem Falle sprechen beachtliche Gesichtspunkte dafür, dass zumindest eine objektive Zurechnung zu dem Unfallereignis kritisch zu sehen ist.

Ob dessen ungeachtet zugunsten des Geschädigten das so genannte Werkstattrisiko eingreifen kann, ist gesondert zu prüfen. Wenn wie hier das Amtsgericht bereits der objektiven Zurechnungszusammenhang bzw. eine adäquate Kausalität abgelehnt wird, kommt es auf das Werkstattrisiko auch nicht mehr an, denn der Schadenersatzanspruch zu dieser Position besteht ja schon aus Rechtsgründen nicht. Die Rechtsprechung des BGH zum Werkstattrisiko (BGH, Urt. v. 15.10.2013 – VI ZR 528/12 = VRR 2014, 144; BGH, Urt. v. 29.10.1974 – VI ZR 42/73) hierzu beruht vielmehr auf dem Gedanken, dass bei der Prüfung der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen ist, dass den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und die Angelegenheit in die Hände von Fachleuten begeben hat, so dass ihm ein unsachgemäßes oder unwirtschaftliches Arbeiten des Betriebs nicht zur Last gelegt werden kann. Diese Rechtsprechung kann aber nur eingreifen, wenn es sich tatsächlich um Positionen handelt, für die ein Schadensersatz zu gewähren ist.

Wer dagegen einen Zurechnungszusammenhang bejaht und nicht von einer Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos ausgeht, der wird konsequent bei einer Klage des Geschädigten, der gutgläubig eine Rechnung ausgeglichen hat, zu dessen Gunsten auch die Grundsätze des Werkstattrisikos bejahen: Denn in diesem Fall hat der Reparaturbetrieb Maßnahmen durchgeführt, deren Umfang gegebenenfalls kritisch betrachtet werden kann – dem Geschädigten, der gutgläubig die Rechnung bereits bezahlt hat, kann dies aber jedenfalls nicht entgegengehalten werden.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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