Beitrag

E-Scooter: bußgeldrechtliches Fahrverbot nach Drogenfahrt

Der Art des geführten Kraftfahrzeugs (hier E-Scooter) kommt für die abstrakte Gefahr, die von einer Trunkenheitsfahrt für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgeht, keine derart bestimmende Bedeutung zu, dass dieser Umstand allein schon die Indizwirkung des Regelbeispiels nach §§ 25 Abs. 1 S. 2, 24a StVG entfallen lässt.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.6.2021 –1 OWi 2 SsBs 40/21

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen des fahrlässigen Führens eines Kfz (hier: E-Scooter) unter der Wirkung des berauschenden Mittels Kokain (190 ng/ml) zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Seine Rechtsbeschwerde wurde als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

§ 25 Abs. 1 S. 2 StVG normiere ein gesetzliches Regelfahrverbot im Falle einer Trunkenheitsfahrt nach § 24a StVG. Zwar sei die Indizwirkung grundsätzlich widerlegbar. Die Möglichkeiten, die Indizwirkung indes zu entkräften, seien wegen der besonderen Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt stark eingeschränkt. Sie komme nur in Betracht, wenn die Tatumstände so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweisen fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten ist. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich vielmehr die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst (Deutscher, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 3618 m.w.N.).

In der jüngeren Rechtsprechung werde teilweise der Umstand, dass ein E-Scooter angesichts des geringeren Gewichts und der bauartbedingten Geschwindigkeit hinsichtlich der Gefährlichkeit eher mit einem Fahrrad als einem einspurigen Kfz gleichzusetzen sei, bei der Frage der Indizwirkung einer Trunkenheitsfahrt als maßgeblicher Faktor berücksichtigt (zu § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB LG Dortmund VRS 138, 20 = VRR 3/2020, 16 = StRR 3/2020, 28 [jew. DeutscherLamberz = DAR 2020, 576 = VRR 10/2020, 15 = StRR 1/2021, 35 [jew. Deutscher] bei einer Strecke von 300 Metern; LG Stuttgart StraFo 2020, 460; LG München I DAR 2020, 111 m. Anm. TimmDeutscher]: nur wenige Meter Fahrtstrecke); AG Dortmund NZV 2020, 270 (Staub: nachts zur verkehrsarmen Zeit auf einer Verkehrsfläche ohne jeden Bezug zum fließenden Straßenverkehr). Für die letztgenannte Ansicht werde zunächst die Wertung des Gesetzgebers und das Fehlen normierter Ausnahmetatbestände im Bereich der Regelbeispiele ins Feld geführt. So seien Elektrofahrräder innerhalb der Vorgaben des § 1 Abs. 3 StVG schon keine Kfz (OLG Karlsruhe DAR 2020, 579 m. Anm. König = VRR 9/2020, 15 = StRR 9/2020, 28 [jew. Deutscher]). E-Scooter, Segways und andere Fahrzeuge i.S.d. § 1 eKFV (ElektrokleinstfahrzeugeVO) unterfielen hingegen dem Kfz-Begriff (BayObLG a.a.O.; Burhoff/Deutscher, a.a.O. Rn 1735 m.w.N). Weiterhin werde in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass auch einem E-Scooter durch die Fahrzeugmasse und die erreichbare Höchstgeschwindigkeit ein erhebliches Gefährdungs- und Verletzungspotential für Dritte zukomme, das noch dadurch verstärkt werde, dass der E-Scooter eine ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors freisetze; insbesondere falle eine Geschwindigkeitsbeschleunigung erheblich leichter als mit einem konventionellen Fahrrad. Diese Kraft müsse von dem Fahrzeugführer auch beherrscht werden können. Die von E-Scootern ausgehende abstrakte Gefahr sei daher nicht deutlich geringer zu beurteilen als im Fall von Motorrollern oder Mofas. Zur Begründung der besonderen Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter wird überdies ins Feld geführt, dass Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzliche Lenkbewegungen angesichts der regelmäßig stehenden Fahrposition und des kleineren Radumfangs deutlich größere Auswirkungen auf die Fahrweise und dadurch hervorgerufene kritische Verkehrssituationen für andere Verkehrsteilnehmer zeitigen können.

Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Zwar sei – verglichen mit der Mehrzahl der am Verkehr regelmäßig teilnehmenden Fahrzeuge – das allein von der Masse und der möglichen Höchstgeschwindigkeit ausgehende Gefahrenpotential eines E-Scooters für einen anderen unmittelbar von einer Kollision betroffenen Verkehrsteilnehmer geringer; dieser Umstand betreffe aber nur einen Teilaspekt der mit dem Führen eines Kfz im öffentlichen Straßenverkehr verbundenen Gefahren. § 24a StVG beinhalte ein abstraktes Gefährdungsdelikt, welches primär die Sicherheit des Straßenverkehrs zum Schutzzweck hat und sekundär durch den hierdurch erreichten Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Verkehrsteilnehmern auch individualschützende Wirkung entfalte. Die Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt beruhe zum einen auf der alkohol- oder drogenbedingten verminderten Kontroll- und Reaktionsfähigkeit, zum anderen auf der damit verbundenen abstrakten Dauergefahr über die gesamte Strecke der Fahrt (Burhoff/Deutscher, a.a.O. Rn 3619). So bezögen sich die Fälle, in denen die Rechtsprechung die Widerlegung der tatbestandlichen Indizwirkung angenommen hat, vornehmlich auf Fälle, in denen die Dauerhaftigkeit der Gefahrenlage oder die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im konkreten Fall deutlich reduziert war. Die Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsraum sei ein in großem Maße geordneter Interaktionsprozess mit einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern. Bei einem alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss agierenden Verkehrsteilnehmer bestehe ein maßgeblicher Aspekt der durch ihn bedingten Gefahrenlage darin, den Anforderungen an die im Straßenverkehr geforderten Handlungsweisen nicht mehr genügen zu können. Dass seine Fahrweise daher in erhöhtem Maße nicht mehr verlässlich und berechenbar ist und andere Verkehrsteilnehmer ihrerseits gezwungen werden, auf unvorhersehbare Fahrmanöver zu reagieren, beeinträchtige die Sicherheit des Straßenverkehrs in erheblichem Umfang. Nach alledem kommt der Art des geführten Kfz für die abstrakte Gefahr, die von einer Trunkenheitsfahrt für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgeht, keine bestimmende Bedeutung zu. Bestimmend bleiben vielmehr die konkreten Umstände der jeweiligen Fahrt.

III. Bedeutung für die Praxis

Nach Einführung der eKfV zum 15.6.2019 ist diskutiert worden, ob es sich bei E-Scootern um Kfz im strafrechtlichen Sinne handelt und ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Regelvermutung für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 69 Abs. 2 S. 2 StGB eingreift. Nachdem das BayObLG a.a.O. Letzteres im dortigen Fall konkret angenommen hat und wohl auch allgemein dazu tendiert, hat sich nunmehr das OLG Zweibrücken zum Fahrverbot nach Trunkenheitsfahrt gem. § 24a StVG klar positioniert und einen Wegfall der Indizwirkung dieses Regelfalls für die Anordnung des Fahrverbots grundsätzlich abgelehnt. Der überzeugenden Begründung des OLG ist nichts hinzuzufügen. Wie bei anderen Kfz auch kommt hier ein Wegfall der Indizwirkung nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei Fahrten auf kurzen Wegstrecken insbesondere zur Nachtzeit (näher m.N. Burhoff/Deutscher, a.a.O. Rn 3620 f.). Es ist zu erwarten, dass der Beschluss auch Auswirkungen auf das Meinungsbild zu § 69 Abs. 2 S. 2 StGB haben wird. Eine Strafbarkeit nach § 316 StGB kam hier nicht in Betracht, da ein Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit bei Drogenfahrten nicht besteht (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 316 Rn 39) und Ausfallerscheinungen nicht festgestellt wurden. Ob und inwieweit die vor dem Aufkommen der Elektrokleinstfahrzeuge ergangene Rechtsprechung zu dem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von Kfz auch auf Nutzer dieser neuen Fahrzeugklasse übertragen werden kann (so BayObLG a.a.O.), ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden (BGH DAR 2021, 397).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…