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Selbstständiges Einziehungsverfahren gegen Dritten nach Rechtskraft eines Strafbefehls

Eine Verurteilung ist dann keine im selbstständige Einziehungsverfahren bindende Hauptsacheentscheidung gemäß §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 S. 2 StPO, wenn der Einziehungsbeteiligte an dem ihr zugrunde liegenden Verfahren nicht beteiligt war.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 2.11.2021 – 2 Ss 121/21

I. Sachverhalt

Das AG hat mit dem angefochtenen Urteil im selbstständigen Einziehungsverfahren bei der Einziehungsbeteiligten die Einziehung des Wertes „des Taterlangten“ in Höhe von 5.200 EUR angeordnet. Die Einziehungsbeteiligte wurde damit beauftragt, auf einem Grundstück Dacharbeiten vorzunehmen. Der Betriebsleiter der Einziehungsbeteiligten ließ ohne behördliche Erlaubnis und ohne über den vorgeschriebenen Sachkundenachweis zu verfügen von Arbeitnehmern der Einziehungsbeteiligten die asbesthaltigen Platten abmontieren. Für die Arbeiten erhielt die Einziehungsbeteiligte eine Vergütung von insgesamt 5.600 EUR, davon entfielen 910,80 EUR auf das Abnehmen und Entsorgen der Asbestplatten. Die Revision der Einziehungsbeteiligten war erfolgreich.

II. Entscheidung

Der Senat sei zu einer Sachentscheidung über die Revision berufen. Die Voraussetzungen für die (weitere) Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens gem. § 76a Abs. 1 StGB lägen vor. Zwar sei wegen der vom AG festgestellten Tat auch eine Strafverfolgung des Betriebsleiters der Einziehungsbeteiligten möglich und ein solches Strafverfahren sei auch durchgeführt und mit einem mittlerweile rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossen worden. Infolge der Rechtskraft des Strafbefehls sei nunmehr aber eine Strafverfolgung des Betriebsleiters aus rechtlichen Gründen unmöglich. Auch für die Fälle der rechtlichen Unmöglichkeit eröffne § 76a StGB n.F. die Möglichkeit eines selbstständigen Einziehungsverfahrens (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 76a Rn 2). Die Durchführung des selbstständigen Einziehungsverfahrens sei damit nach dem Willen des Gesetzgebers immer dann möglich, wenn eine Entscheidung über die Einziehung im subjektiven Verfahren nicht getroffen worden ist, ohne dass es auf die – möglicherweise fehlerhaften – Gründe dafür ankommt (vgl. BT-Drucks 18/9525, S. 72). In der Gesetzesbegründung würden insoweit die Fälle des Strafklageverbrauchs ausdrücklich erwähnt.

Die vom AG getroffenen Feststellungen belegten nicht, dass die Voraussetzungen einer selbstständigen Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73 Abs. 1, 73b Abs. 1 Nr. 1, 76a Abs. 1 StGB vorliegen. Denn aus ihnen ergebe sich nicht, dass der Betriebsleiter der Einziehungsbeteiligten den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und damit eine rechtswidrige Tat gem. §§ 73 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat. Feststellungen zum Vorliegen einer rechtswidrigen Tat des Betriebsleiters seien hier nicht deshalb entbehrlich, weil gegen ihn bereits ein Strafbefehl ergangen ist und das Gericht im selbstständigen Einziehungsverfahren gem. §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 S. 2 StPO an die Entscheidung „in der Hauptsache“ und die tatsächlichen Feststellungen, auf denen diese beruht, gebunden ist. Denn der gesetzlich nicht definierte Begriff der Hauptsache sei unter Berücksichtigung von Art. 103 Abs. 1 GG auszulegen (Emmert, NStZ 2020, 587). Es wäre mit dem Anspruch des Einbeziehungsbeteiligten auf rechtliches Gehör nicht vereinbar, wenn dieser an Feststellungen aus einem Verfahren gebunden wäre, auf dessen Entscheidung er selbst keinen Einfluss nehmen konnte (OLG Bamberg StraFo 2019, 210). Im selbstständigen Einziehungsverfahren könne es sich deshalb nicht um eine bindende Hauptsacheentscheidung gem. §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 S. 2 StPO handeln, wenn der Einziehungsbeteiligte an dem ihr zugrunde liegenden Verfahren nicht beteiligt war. Diese Auslegung der §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 S. 2 StPO stehe auch mit der grundsätzlichen gesetzgeberischen Konzeption des Einziehungsverfahrens in Einklang, das eine Beteiligung der Einziehungsbetroffenen bereits im Strafverfahren gegen den Beschuldigten vorsieht. Denn danach wäre das Verfahren gegen einen Drittbeteiligten ohnehin nicht – wie im vorliegenden Fall – im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft abzutrennen, um es nach Rechtskraft des gegen den Beschuldigten erlassenen Strafbefehls im selbstständigen Einziehungsverfahren fortzuführen. Vielmehr wäre die Einziehungsbeteiligte gem. § 424 StPO zu beteiligen und allenfalls die Entscheidung über die Einziehung könnte gem. § 422 StPO durch Gerichtsbeschluss abgetrennt werden, wobei dadurch die Beteiligung der Einziehungsbeteiligten gem. § 424 Abs. 1 StPO ebenso wenig entfallen würde wie die Bindungswirkung der unter ihrer Beteiligung ergangenen Hauptsacheentscheidung gem. § 423 Abs. 1 S. 2 StPO (OLG Bamberg a.a.O.). Unabhängig von der Frage, ob abweichend von dieser gesetzlichen Systematik eine Abtrennung durch die Staatsanwaltschaft zulässig bleibt, könne diese Abtrennung jedenfalls nicht den Anspruch der Einziehungsbeteiligten auf rechtliches Gehör aufheben.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung überzeugt sowohl zur Zulässigkeit der selbstständigen Einziehung nach rechtskräftiger Verurteilung des Haupttäters als auch zur mangelnden Bindungswirkung einer Entscheidung, wenn sie wie etwa im Strafbefehlsverfahren ohne Beteiligung des einziehungsbeteiligten Dritten (§ 424 StPO) erfolgt ist.

Von Bedeutung sind auch die Hinweise des OLG für die neue Hauptverhandlung zum Umfang der Bereicherung: Sofern bereits die Demontage der Asbestplatten Teil der strafbaren Handlung sein sollte, würde der dafür gezahlte Werklohn gem. §§ 73 Abs. 1, 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB der Einziehung unterliegen. Es läge dann keine Konstellation vor, in der der Betroffene lediglich die ersparten Aufwendungen für eine legale Entsorgung erlangt hätte. Ein solcher Fall wäre nur dann gegeben, wenn die Durchführung der Asbestarbeiten an sich straflos gewesen wäre und der Betriebsleiter erst durch eine spätere Beseitigung der Asbestplatten eine Straftat begangen hätte. Außerdem habe die Einziehungsbeteiligte durch eine etwaige Straftat nicht den gesamten Werklohn für die Dacharbeiten, sondern nur die Vergütung für die Asbestarbeiten in Höhe von 910,80 EUR erlangt. Die Vergütung für die übrigen, rechtmäßigen Arbeiten wären der Einbeziehungsbeteiligten hingegen erst durch weitere, nicht tatbestandsmäßige Handlungen – namentlich das Neueindecken des Daches – zugekommen. Insoweit würde es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Tat und dem Erlangen fehlen (BGH NJW 2021, 1252 = STRR 4/20201, 12 [DeutscherDeutscher, StRR 12/2020, 6.).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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