Bei der Beurteilung der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen ist zu beachten, dass dabei auch alle sonstigen Rechtsfolgen, die in dem betreffenden Strafverfahren angeordnet werden können, zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch die Einziehung.
LG Regensburg, Beschl. v. 17.8.2021 – 5 Qs 172/21
Bei Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht in jedem Fall die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich. Indes kann eine schwierige Sachlage vorliegen, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen einen Angeklagten ist.
LG Essen, Beschl. v. 28.7.2021 – 56 Qs 7/21
Die Umstände, dass eine Beschuldigte Analphabetin ist, unter Betreuung steht und bei einem Unterlassungsdelikt (hier: § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, passloser Aufenthalt) wegen psychischer Erkrankung §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen, erfordern jeweils selbstständig eine Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung. Jedenfalls begründet aber ansonsten die erforderliche Gesamtschau der angeführten Umstände die Bestellung.
LG Duisburg, Beschl. v. 24.6.2021 – 31 Qs 31/21
Der Untersuchungszweck ist i.S.d. § 406e Abs. 2 S. 2 StPO gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist.
LG Kiel, Beschl. v. 2.8.2021 – 10 Qs 45/21
Der für die Anordnungen einer Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht kann grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten. Ein solcher Umstand kann u.a. in einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist. Es ist nicht ausreichend, dass bei bestimmten Handlungen nach kriminalistischer Erfahrung lediglich die Möglichkeit besteht, dass das Verhalten des Beschuldigten einen strafbaren Hintergrund hat.
LG Mainz, Beschl. v. 9.8.2021 – 3 Qs 43/21
Wenn ein Verteidiger im Rahmen einer Terminsabsprache dem Gericht freie Termine anbietet und es dann aber mehr als drei Wochen dauert, bis eine Ladung bei dem Verteidiger eingeht, muss dieser nicht mehr damit rechnen, dass einer der angebotenen Termine auch tatsächlich seitens des Gerichts berücksichtigt wird.
LG Magdeburg, Beschl. v. 9.9.2021 – 25 Qs 74/21
Damit ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Angeklagter bei einer öffentlichen Zustellung Kenntnis davon erlangen kann, dass ihm eine Ladung zu einem Termin zugestellt werden soll, er das zuzustellende Schriftstück einsehen kann und ihm bei unentschuldigtem Fernbleiben zum Termin Rechtsnachteile drohen, also auch ein Haftbefehl ergehen kann, muss die Benachrichtigung gemäß §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 1 StPO, § 186 Abs. 2 S. 5 ZPO sowohl in deutscher als auch in der dem Angeklagten verständlichen Sprache an der Gerichtstafel ausgehängt werden.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.8.2021 – Ws 684/21
Macht der Richter in der Hauptverhandlung Äußerungen, dass das in Aussicht gestellte Strafmaß die Möglichkeiten eines Rechtsmittels einschränke, vermittelt der abgelehnte Richter den Eindruck, er wolle in der I. Instanz eine rechtskräftige Verurteilung erwirken, was die Besorgnis der Befangenheit begründet.
AG Stralsund, Beschl. v. 1.7.2021 – 313 Cs 719/19
Im Falle der wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch besteht keine Bindung gemäß § 327 StPO an die amtsgerichtlichen Feststellungen zum gewerbsmäßigen Handeln i.S.v. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 1. Alt. StGB.
BayObLG, Beschl. v. 12.7.2021 – 202 StRR 37/21
Ein Beweisantrag ist unzulässig (§ 244 Abs. 3 S. 2 StPO), wenn die Berufung zuvor auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist und mithin prozessual bindend festgestellt war, dass der Angeklagte schuldfähig war.
KG, Urt. v. 30.6.2021 – 3 Ss 28/21
Divergenzvorlage an den BGH zu den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung mit folgender Fragestellung: Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.9.2021 – 2 RVs 60/21
Der Beschleunigungsgrundsatz für Haftsachen ist verletzt, wenn eine eingetretene Verzögerung allein mit der Überlastung des Gerichts begründet wird. Denn die ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Dies gilt vor allem, wenn der hohe Geschäftsanfall nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nicht nur von vorübergehender Dauer ist und ihm nicht durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz begegnet worden ist.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.8.2021 – 1 Ws 188/21 und 1 Ws 202/21
Die Prognoseentscheidung gem. § 56 StGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dem hierbei zudem ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, so dass das Revisionsgericht im Zweifel die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen muss. Es kann nur in Ausnahmefällen eingreifen, wenn erkennbar unzutreffende Maßstäbe angewandt, naheliegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.8.2021 – 1 Ss 36/21
Da ein Prämienrückstand nicht ipse iure zur Beendigung des Versicherungsvertrags führt, sondern nur zur Kündigung berechtigt, reicht es nicht aus, im Urteil nur den Zahlungsverzug festzustellen. Vielmehr sind i.d.R. auch die Kündigung und ihr Zugang (§ 38 Abs. 3 VVG) festzustellen.
KG, Beschl. v. 22.6.2021 – 3 Ss 30/21
ALG II-Bezug hindert nicht die Möglichkeit einer bestehenden Haupterwerbstätigkeit. Es liegt daher kein Subventionsbetrug vor, wenn ein Angeklagter zur Zeit der Antragstellung Jobcenterleistungen bezog und daneben als uneinbringliche vollschichtige Haupterwerbstätigkeit eine Flüchtlingshilfe betreibt (mit wöchentlicher Arbeit von fünf Tagen bis zu je zehn Stunden täglich). Angaben des Landes in ihren im Internet veröffentlichten FAQ dahin, dass ALG II-Bezug für den Anspruch auf Corona-Soforthilfe unschädlich sei, können von subventionsbeantragenden Bürgern als richtig angenommen werden.
AG Dortmund, Urt. v. 10.6.2021 – 729 Cs-700 Js 1273/20-41/21
Ist die Einstellungsverfügung entgegen § 9 Abs. 1 S. 4 StrEG nicht zugestellt worden, kann der Zustellungsmangel nicht nach § 37 Abs. 1 StPO mit § 189 ZPO dadurch geheilt werden, dass der Verteidiger später Einsicht in die Ermittlungsakte nimmt. Die Monatsfrist läuft daher nicht an.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.8.2021 – 12 Qs 58/21
Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme gem. Art. 17 Abs. Nr. 2 und 3 PAG ist als Ultima-ratio-Maßnahme nur dann zulässig, wenn sie unerlässlich ist, um die Begehung und/oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern.
LG Landshut, Beschl. v. 9.9.2021 – 65 T 2529/21
Leitet der Tatrichter ein Bußgeld- in ein Strafverfahren über, finden ab diesem Zeitpunkt ausschließlich die Verfahrensnormen der Strafprozessordnung Anwendung. Erfüllt der festgestellte Sachverhalt nach durchgeführter Beweisaufnahme keinen Straftatbestand und wird der Angeklagte ausschließlich wegen einer bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeit verurteilt, ist die Berufung und nicht die Rechtsbeschwerde das zulässige Rechtsmittel. Denn die nach materiellem Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgte Verurteilung führt nicht zur Rückkehr in das Bußgeldverfahren.
KG, Beschl. v. 11.8.2021 – (3) 162 Ss 97/21 (43/21)
Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät „Leivtec XV3“ kann jedenfalls gegenwärtig nicht (mehr) von einem die Anerkennung als „standardisiertes Messverfahren“ rechtfertigenden vereinheitlichten (technischen) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind, ausgegangen werden
BayObLG, Beschl. v. 12.8.2021 – 202 ObOWi 880/21
OLG Hamm, Beschl. v. 16.9.2021 – 1 RBs 115/21
Die Tatsache, dass bei einem bisher als „standardisiertes Messverfahren“ der Geschwindigkeit anerkanntem Messverfahren ein besonderer Messaufbau unzutreffende Messergebnisse liefert, spricht nicht gegen die Annahme eines sogenannten standardisierten Messverfahrens, wenn bei gleichem Versuchsaufbau stets gleiche Messergebnisse erzielt werden. Bei dem Messverfahren mit dem Gerät Leivtec XV3 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren auch unter Berücksichtigung des Abschlussberichts der Überprüfungen durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt vom 9.6.2021.
OLG Schleswig, Beschl. v. 17.8.2021 – II OLG 26/21
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers umfasst auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren.
BGH, Beschl. v. 27.7.2021 – 6 StR 307/21
Nach § 5 Abs. 3 S. 2 GKG beginnt die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung von Kosten auch durch die Aufforderung zur Zahlung neu. Zahlungsaufforderungen müssen dem Schuldner jedoch zugegangen sein.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.8.2021 – 2 Ws 2/21 (S)
Im selbstständigen Einziehungsverfahren entstehen für den Rechtsbeistand des Betroffenen anlog zum Verteidiger neben der Einziehungsgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG auch Verfahrens- und Terminsgebühren. Die Grundgebühr steht dem Bevollmächtigten nur dann zu, wenn er nicht bereits in einem zuvor gegen den Betroffenen wegen desselben Sachverhalts geführten Strafverfahren tätig war.
AG Bremen, Beschl. v. 4.3.2021 – 87 Ds 29/18
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