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Zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge

Die Verwertung von in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben eines Zeugen ist vom Zeugen nur dann wirksam gestattet, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht ausdrücklich belehrt worden ist. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 25.8.2020 – 2 StR 202/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslange Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte eine Verletzung von § 252 StPO. Dem liegt zu Grunde, dass das LG am ersten Hauptverhandlungstag die Mutter des Angeklagten als Zeugin vernommen hat. Sie wurde gemäß § 52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerte sodann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage. „Auf Befragen“ erklärte sie sich damit einverstanden, dass ihre Angaben aus dem Ermittlungsverfahren verwertet und die Polizeibeamten hierzu befragt werden dürfen. Hierauf gestützt hat die Strafkammer die Angaben der Zeugin sodann ausweislich der Urteilsgründe durch Vernehmung eines Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Revision hatte beim BGH Erfolg.

II. Entscheidung

Der BGH führt aus: § 252 StPO sei – über den Wortlaut hinaus – nicht nur als Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot aufzufassen, das auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt. Zwar könne ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist (sog. „qualifizierte Belehrung“; st. Rspr.; vgl. BGHSt 45, 203; BGH NStZ 2007, 352, 353; NStZ 2015, 232). Indes sei durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls bewiesen, dass eine qualifizierte Belehrung der Mutter des Angeklagten nicht erfolgt sei. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergebe sich, dass die Einverständniserklärung der Zeugin weder auf deren Initiative zurückging (hierzu vgl. BGH NStZ 2007, 352 f.) noch „nach Belehrung“ erfolgte (vgl. BGH NStZ 2020, 432), sie sich vielmehr „auf Befragen“ erklärte. Damit lasse sich dem Protokoll nicht entnehmen, dass die Zeugin hinreichend belehrt worden oder ihr die Tragweite ihrer Erklärung bewusst war. Da die Belehrung eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens darstelle (§ 273 Abs. 1 StPO), beweise das Schweigen des Protokolls, dass sie nicht stattgefunden habe (vgl. BGH StRR 2012, 420).

Dies führte nach Auffassung des BGH zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen. Der Senat konnte nämlich letztlich nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht. Zwar begründe die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ganz wesentlich – und insoweit rechtsfehlerfrei – mit den erhobenen rechtsmedizinischen Befunden und den Angaben des Angeklagten gegenüber polizeilichen Vernehmungsbeamten und dem Sachverständigen. Sie stütze sich aber auch darauf, dass seine Mutter sich nicht bereit erklärt habe, ihn bei seiner geplanten Flucht finanziell zu unterstützen, was sich allein aus deren Angaben gegenüber dem sie befragenden Polizeibeamten ergeben habe. Hierauf sowie auf die Angaben der Mutter zur Entwicklung des Angeklagten (dessen Gewaltausbrüche, dessen übersteigertes Ego etc.) hätten die Urteilsgründe schließlich auch zur Bejahung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rekurriert sowie für die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, so dass es schon ein wenig verwundert, dass einem Schwurgericht – immerhin mit drei Berufsrichtern besetzt – ein solcher Lapsus passiert.

2. Als Verteidiger muss man auf die „richtige“ Belehrung achten bzw. die Frage kann dann später (auch) eine Rolle spielen. Zum Inhalt der „richtigen“ Belehrung gehört nämlich nicht, dass die Angaben des Zeugen vor dem Ermittlungsrichter auch ohne seine Zustimmung in der Hauptverhandlung verwertet werden können (vgl. dazu BGH StRR 2104, 435 = NStZ 2014, 596; anders BGH NStZ-RR 2015, 48). Vielmehr reicht es aus, wenn in der Hauptverhandlung der dann das Zeugnis verweigernde Zeuge lediglich ausdrücklich darauf hingewiesen wird, welche Konsequenzen die Gestattung der Verwertung seiner früheren vor der Polizei getätigten Angaben hat (vgl. auch BGH StRR 2104, 435 = NStZ 2014, 596, 598).

3. So richtig „gefallen“ hat dem BGH das LG-Urteil auch im Übrigen wohl nicht. Das merkt man an der „Segelanweisung“. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der BGH nämlich darauf hin, dass der neue Tatrichter (neue) umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen und sich ggf. zu den subjektiven Voraussetzungen bei der Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gründlicher als bislang geschehen zu verhalten hat (zu Sprache und Darstellung in Urteilsgründen vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn 207 ff., 228 ff.). Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat „niedrig“ seien, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stünden, mithin in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, habe – was das LG nicht verkannt habe – aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 2006, 1008, 1011; NStZ 2006, 284, 285). In subjektiver Hinsicht müsse hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 2020, 86). Verstehe sich nicht von selbst, dass der Angeklagte zu einer zutreffenden Wertung in der Lage war, weil etwa die Fähigkeit dazu aufgrund eines – wie hier festgestellten – Persönlichkeitsmangels zusammen mit einem – hier ebenfalls festgestellten – langjährigen Alkohol- und Betäubungsmittelabusus beeinträchtigt gewesen sein könnte (vgl. BGH NJW 2004, 1466), bedürfe es einer nicht nur floskelhaften Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch der Tat selbst und des Nachtatgeschehens (vgl. BGH NStZ 2007, 525). Hierbei könne freilich in den Blick genommen werden, dass die Schwelle für die Annahme, der Täter habe seine Antriebe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können, umso niedriger sei, je schwerwiegender die Tötungstat sei (vgl. BGH NJW 2002, 382, 384).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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