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Vernehmungsterminsgebühr für „Verhandeln“ im Haftprüfungstermin

Unter „Verhandeln“ i.S.d. Nr. 4102 Nr. VV RVG kann auch die Mitwirkung an einem Entscheidungsprozess durch jegliche sachdienliche Handlungen verstanden werden, welche die Herbeiführung einer Entscheidung zu fördern geeignet sind. (Leitsatz des Verfassers)

LG Würzburg, Beschl. v. 25.11.2020 – 8 KLs 981 Js 20829/18

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Nach Anklageerhebung erließ die Strafkammer einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl. Der darauf folgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls fand in Anwesenheit des Pflichtverteidigers statt. Nach Feststellung der Personalien des Angeklagten wurde diesem eine übersetzte Haftbefehlsabschrift überreicht. Sodann wurde die Sitzung für neun Minuten unterbrochen. Nach Fortsetzung der Sitzung erklärte der Angeschuldigte, dass er den Haftbefehl heute in polnischer Sprache erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Zudem bestätigte er, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach entsprechender gerichtlicher Belehrung über seine Rechte erklärte der Verteidiger, dass die Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde, was der Angeschuldigte bestätigte. Im Anschluss verkündete die Strafkammer die Aufrechterhaltung des durch sie erlassenen Haftbefehls unter Aufhebung des zuvor erlassenen amtsgerichtlichen Haftbefehls.

Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag beantragte der Pflichtverteidiger u.a. für die Teilnahme am Termin eine Terminsgebühr gem. Nr. 4102, 4103 VV RVG. Diese ist vom LG nicht festgesetzt worden. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel des Verteidigers hatten Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG ist die Vernehmungsterminsgebühr entstanden. Die Kammer verkenne nicht, dass die Entscheidung der Rechtspflegerin eine Stütze in der Gesetzesbegründung findet und darüber hinaus die durch die Rechtspflegerin vertretene Rechtsauffassung durch mehrere OLG vertreten werde. Das OLG Saarbrücken (StraFo 2014, 350 = RVGreport 2014, 428 = StRR 2014, 517) führe etwa aus, der Gesetzgeber habe mit der Regelung der VV 4102 RVG und dem dort ausdrücklich genannten Erfordernis des „Verhandelns“ erreichen wollen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert werde (vgl. a. BT-Drucks 15/1971, S. 223; KG RVGreport 2009, 227 = StRR 2009, 277 = AGS 2009, 480; OLG Hamm AGS 2007, 240 = JurBüro 2006, 641; OLG Jena RVGreport 2014, 24 = StRR 2014, 239). Das OLG Saarbrücken gehe daher davon aus, dass ein „Verhandeln“ i.S.d. Nr. 4102 VV RVG bereits dem Wortsinn nach erfordere, dass der Verteidiger Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt haben müsse, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden. Dem folgt das LG nicht. Es schließt sich vielmehr der Rechtsauffassung verschiedener LG (LG Traunstein RVGreport 2013, 19 = StRR 2013, 40 = AGS 2013, 16 = RVGprofessionell 2013, 79; LG Bielefeld StV 2006, 198) und auch von Stimmen der Literatur an, wonach der vorliegende Sachverhalt genüge, um die Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG entstehen zu lassen.

Das begründet die Kammer mit dem Wortlaut der Nr. 4102 VV RVG. Ein „Verhandeln“ sei – frei von juristischen Wertungen und Überlegungen – dem eigentlichen Wortsinn nach jedenfalls nicht zwingend dahingehend zu verstehen, dass verschiedenen Interessen durch kontradiktorische Stellungnahmen oder Anträge Ausdruck verliehen werden muss. Unter „Verhandeln“ könne auch die Mitwirkung an einem Entscheidungsprozess durch jegliche sachdienliche Handlungen verstanden werden, welche die Herbeiführung einer Entscheidung zu fördern geeignet seien. Hieraus folge, dass dem Wortsinn nach Parteien auch miteinander verhandeln, wenn sie übereinstimmende Argumente und Sichtweisen teilen und gleichzeitig Handlungen vornehmen, welche auf die Herbeiführung einer – möglicherweise sogar einvernehmlichen – Entscheidung gerichtet sind.

Auch teleologische Gesichtspunkte sprächen – so die Kammer – dafür, in Fällen wie dem vorliegenden von einem „Verhandeln“ i.S.d. Nr. 4102 VV und somit vom Entstehen der Gebühr auszugehen. Würde man nämlich einen Antrag und ggf. eine Begründung verlangen, würde sich eine Reihe weiterer und nicht trennscharf zu beantwortender Fragen auftun, etwa, ob eine solche Begründung beispielsweise von gesteigerter geistiger Substanz sein müsse oder ob sie z.B. mindestens zehn Sekunden dauern muss oder doch etwa fünf Minuten, um das Entstehen der Gebühr auszulösen. Zudem stehe es dem Angeschuldigten im Strafverfahren frei, sich inhaltlich zur Sache zu äußern oder nicht. Würde eine Gebühr für den Verteidiger nur entstehen, wenn sich der Beschuldigte inhaltlich zum Tatvorwurf oder zu den Haftgründen einlässt und die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, bestehe die Gefahr, dass auf dem Umweg des Kostenrechts Druck auf den Beschuldigten ausgeübt und er in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkt werde, weil es ihm wegen der ansonsten kostenrechtlich nachteiligen Folgen für seinen Verteidiger zweckmäßiger erscheinen könnte, sich inhaltlich zur Sache zu äußern, damit sein Verteidiger keinen Gebührennachteil erleidet (so auch LG Traunstein a.a.O.). Gleichzeitig gebe es auch für den Verteidiger einen sachfremden Anreiz, seinem Mandanten möglicherweise zu einer Einlassung zu raten, um den Gebührentatbestand auszulösen, obwohl es in der Sache für seinen Mandanten objektiv vorzugswürdiger sein könnte, sich nicht zur Sache einzulassen. Auch wenn der sicherlich weit überwiegende Teil der Anwaltschaft sich bereits aus berufsrechtlichen und berufsethischen Gründen eines solchen Anreizes widersetzen kann, besteht kein nachvollziehbarer Grund dafür, ebendiese lauteren Rechtsanwälte gegenüber ihren unlauteren Berufskollegen gebührenrechtlich zu benachteiligen.

Auf der Grundlage hat die Strafkammer ein „Verhandeln“ bejaht: Der Angeklagte habe nach entsprechender Belehrung über seine Rechte im Termin nicht lediglich geschwiegen. Er habe vielmehr über seinen Verteidiger die ausdrückliche Erklärung abgegeben, dass eine Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werden solle und somit derzeit keine weiteren Angaben gemacht werden. Damit habe er von einer ihm zuvor eröffneten Möglichkeit, nämlich sich inhaltlich nicht zur Sache äußern zu müssen, Gebrauch gemacht. Diese bewusste Entscheidung erfordere einen vorherigen Abwägungsprozess, welcher – nicht ausschließbar, jedoch einer Prüfung des Gerichts entzogen – auch zwischen dem Verteidiger und dem damaligen Angeschuldigten in der Sitzungsunterbrechung kommuniziert wurde. Wenn am Ende dieses Abwägungsprozesses die bewusste Entscheidung stehe, von dem strafprozessualen Recht Gebrauch zu machen, sich inhaltlich (vorerst) nicht zur Sache zu äußern, und dies dem Gericht ausdrücklich erklärt werde, sei diese Erklärung nicht als bloßes Schweigen zu interpretieren, sondern vielmehr als die Abgabe einer sachdienlichen prozessualen Erklärung, die geeignet sei, die Herbeiführung einer vom Gericht zu treffenden Entscheidung, die gerade Gegenstand des stattfindenden Termins ist, zu fördern (in diese Richtung auch LG Traunstein a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

1. Ich schließe mich der Auffassung des LG an. Mir erschließt sich allerdings nicht, warum das LG es so kompliziert macht. In der Gesetzesbegründung zur Nr. 4102 Nr. VV RVG heißt es, dass die „häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht erfasst werden“ sollen (vgl. dazu BT-Drucks 19/1571, S. 223). Damit ist m.E. klar, dass die Gebühr immer anfällt, wenn in dem Hafttermin mehr geschieht als die bloße Verkündung des Haftbefehls. Alles andere ist mit der Intention des Gesetzgebers nicht vereinbar. Daher ist m.E. die Rechtsprechung der OLG, die einen Antrag fordert oder die Erklärung, schweigen zu wollen, nicht ausreichen lässt usw. (vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 VV Rn 24 ff.), abzulehnen.

2. Das LG hat im Übrigen gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG die Beschwerde zugelassen, da ihm die Zulassung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage geboten erscheint. Eine Entscheidung des für den Gerichtsbezirk zuständigen OLG Bamberg zu der streitgegenständlichen Frage sei nicht bekannt. Wir werden dazu dann also alsbald etwas aus Bamberg hören.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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