DNA-Identitätsfeststellung: Straftat von erheblicher Bedeutung
Vielfaches unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt die Voraussetzung „Straftat von erheblicher Bedeutung“ i.S.v. § 81g StPO auch dann, wenn der Angeklagte nicht vorbestraft ist.
OLG Hamm, Beschl. v. 14.4.2021 – 4 Ws 36/21
Durchsuchung: Anfangsverdacht
Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht für den Anfangsverdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184b Abs. 3 StGB, begangen worden ist, nicht aus.
LG Duisburg, Beschl. v. 16.4.2021 – 36 Qs 24/21
Pflichtverteidiger: Auslieferungshaft in anderer Sache
Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegen auch vor, wenn gegen den Beschuldigten Auslieferungshaft in anderer Sache im Ausland zum Zwecke der Überstellung ins Inland vollzogen wird.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 4.5.2021 – 12 Qs 20/21
Pflichtverteidiger: Haft in anderer Sache; Zeitpunkt der Entscheidung
Liegt der Fall einer notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, weil sich der Beschuldigte in anderer Sache in Haft befindet, ist über die Pflichtverteidigerbestellung regelmäßig innerhalb einer Woche ab Antragstellung zu entscheiden. Kommt es bei der Bestellung zu einer vermeidbaren Verzögerung und entfallen bis zur gerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO, so kommt eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung in Betracht.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 4.5.2021 – 12 Qs 22/21
Pflichtverteidiger: unverzügliche Antragsbescheidung
Die Weiterleitung eines Antrags auf Beiordnung als Pflichtverteidiger drei Wochen nach Antragstellung ist auch unter Berücksichtigung einer Prüfungs- und Überlegungsfrist nicht unverzüglich i.S.v. §§ 141 Abs. 1, 142 Abs. 1 S. 2 StPO.
LG Halle, Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Qs 41/12
Prozesskostenhilfe: rückwirkende Bewilligung
Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nur ausnahmsweise in dem Fall in Betracht, dass vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ein Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab beschieden worden ist und der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat.
BGH, Beschl. v. 18.3.2021 – 5 StR 222/20
Entfernung des Angeklagten. Unterrichtung
Die Unterrichtung des Angeklagten nach § 247 Abs. 4 StPO kann auch in Form einer Videosimultanübertragung der Vernehmung in einen Nebenraum erfolgen, in dem sich der Angeklagte aufhält; einer weiteren Information des Angeklagten nach dessen Rückkehr in den Sitzungssaal durch einen Bericht des Vorsitzenden bedarf es dann nicht.
BGH, Beschl. v. 23.3.2021 – 3 StR 60/21
Beweiswürdigung: Zeitpunkt der Einlassung
Ein unbefangener Gebrauch des dem Beschuldigten nach den §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO eingeräumten Schweigerechts ist nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte eine Prüfung und für ihn nachteilige Bewertung der Gründe für die Geltendmachung dieses Rechts befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten nachteilige Schüsse gezogen werden.
BGH, Beschl. v. 23.3.2021 – 3 StR 68/21
Sitzungspolizei: Sicherstellung eines Mobiltelefons
Die Sicherstellung eines Mobiltelefons zum Zwecke der Auswertung mit dem Ziel festzustellen, ob unerlaubte Aufnahmen in der Hauptverhandlung gefertigt worden sind, ist von der Befugnis zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen gem. § 176 GVG nicht gedeckt.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.3.2021 – 1 Ws 81/21
Sitzungspolizei: Tragen einer Maske
Eine auf § 176 GVG gestützte Anordnung, zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist regelmäßig nicht zu beanstanden. Eine grundlose Weigerung des Verteidigers, dieser Anordnung zu folgen, kann eine Aussetzung des Verfahrens und hiernach eine Kostentragungspflicht nach § 145 Abs. 4 StPO zur Folge haben.
OLG Celle, Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Ws 3 Ws 91/21
Unterbrechung der Hauptverhandlung: Berechnung der Unterbrechungsfrist
Die Fristen des § 229 StPO stellen keine Fristen im Sinne der §§ 42, 43 StPO dar. Bei der in § 229 Abs. 1 StPO normierten Unterbrechungsfrist handelt es sich um eine eigenständige „Zwischenfrist“, das heißt um einen zwischen zwei Verhandlungstagen eingeschobenen Unterbrechungszeitraum, in dessen Berechnung weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.4.2021 – 1 Rv 36 Ss 217/21
Rücknahme des Strafantrags: Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung zu Lasten eines Zeugen bei Rücknahme des Strafantrags ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Eine Kostentragungspflicht des § 470 S. 1 StPO setzt voraus, dass das Verfahren durch den Strafantrag bedingt war und wegen dessen Zurücknahme eingestellt werden muss.
LG Kaiserslautern, Beschl. v. 12.4.2021 – 5 Qs 23/21
Teilnahme: Garantenstellung; Entziehung der Fahrerlaubnis
Die Garantenstellung aus Ingerenz ist ein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 Abs. 1 StGB. Fehlen mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nur einmal zu mildern Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gilt nur für den Täter.
BGH, Beschl. v. 24.3.2021 – 4 StR 416/20
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Beisichführen eines Taschenmessers
Das bewusste und gebrauchsbereite Beisichführen eines eingeklappten Taschenmessers mit einer Klingenlänge von 8,5 cm als gefährliches Werkzeug erfüllt die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Eine Verwendungsabsicht wird – mit Wirkung für Taten nach dem 29.5.2017 – nicht mehr vorausgesetzt. Erfolgt die Widerstandshandlung in einem Raum, der für den Angeklagten den Schutz nach Art. 13 GG genießt, kann dies – auch wenn dies die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung unberührt lässt – im Rahmen der Strafzumessung und bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB in Form des bloßen Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs widerlegt ist, zu berücksichtigen sein.
OLG Bremen, Urt. v. 31.3.2021 – 1 Ss 50/20
Kraftfahrzeugrennen: höchstmögliche Geschwindigkeit
Das Merkmal der höchstmöglichen Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB meint nicht die technische Höchstgeschwindigkeit des geführten Fahrzeugs, sondern die in der konkreten Verkehrssituation erzielbare relative Höchstgeschwindigkeit.
OLG Celle, Beschl. v. 28.4.2021 – 3 Ss 25/21
Gesundheitszeugnis: Masken-Attest
Ein durch einen Arzt ausgestelltes Attest, in dem dieser bestätigt, dass das Tragen eines Mundschutzes für die genannte Person aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, kann ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §§ 277–279 StGB darstellen.
LG Frankfurt, Beschl. v. 6.4.2021 – 5/26 Qs 2/21
Geldstrafe: Ersuchen an die BaFin
Ein Ersuchen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über Kontostammdaten ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig. Finanzermittlungen können auch erfolgen, um bei einer Geldstrafe konkrete Schätzungsgrundlagen für die Bemessung des Tagessatzes zu schaffen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.4.2021 – 2 RVs 11/21
Kurzfristige Freiheitsstrafe: Urteilsgründe
Die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen gem. § 47 StGB soll nur ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen, und zwar dann, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Das ist im Urteil darzulegen. Stellt das Gericht dem Angeklagten eine günstige Legalprognose und setzt die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, versteht sich die Unerlässlichkeit der Verhängung nicht von selbst.
OLG Hamm, Beschl. v. 27.4.2021 – 5 RVs 28/21
Mindestlohnzahlung: Beginn der Verjährung
Die Verjährung beginnt auch in den Fällen der Nichtzahlung von Mindestlohn nicht erst dann, wenn der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns erloschen ist, sondern bereits mit der Nichtzahlung im Zeitpunkt der Fälligkeit.
AG Potsdam, Beschl. v. 16.3.2021 – 73 OWi 466 Js Owi 45665/20 (586/20)
Strafrechtsentschädigung: Ersatz von Verteidigerkosten; Feststellungsklage
Auf eine Geltendmachung der durch die telefonische Kontaktierung eines Rechtsanwalts verursachten Verteidigerkosten im Wege der Leistungsklage muss sich der Kläger nur dann verweisen lassen, wenn ihm deren Bezifferung schon zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Feststellungsklage möglich und zumutbar gewesen ist. Verteidigerkosten stellen einen nach § 7 StrEG erstattungsfähigen Vermögensschaden dar, wenn das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wird und die Kostenvorschriften der StPO für diesen Fall die Möglichkeit einer prozessualen Erstattung dieser Auslagen nicht vorsehen. Der ehemalige Beschuldigte kann nach den §§ 2, 7 StrEG für seine Verteidigerkosten nur eine Entschädigung bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren und Auslagen verlangen. Eine etwaig vereinbarte höhere Vergütung ist nach diesen Vorschriften nicht zu entschädigen.
OLG Hamm, Urt. v. 29.1.2021 – I-11 U 41/20