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StRR-Kompakt 2021-02

Telefonüberwachung: Zugriff auf E-Mails

§ 100a Abs. 1 S. 1 StPO erlaubt den Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails

BGH, Beschl. v. 14.10.2020 – 5 StR 229/19

Durchsuchung: Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse

Bei einer Wohnungsdurchsuchung, die ausschließlich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten im Rahmen der Festsetzung der Tagessatzhöhe dient, sind besonders strenge Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen. Eine solche Durchsuchung ist allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen verhältnismäßig, wenn anhand anderer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich ist.

LG Bonn, Beschl. v. 28.10.2020 – 50 Qs-857 Js 721/20-36/20

Pflichtverteidiger: rückwirkende Bestellung

Nach der gesetzlichen Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung kommt eine rückwirkende Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat einen Beiordnungsantrag gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu, vielmehr ist sie unverzüglich zur Vorlage verpflichtet. Insbesondere spielt es dabei keine Rolle, ob eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hätte.

LG Regensburg, Beschl. v. 30.12.2020 – 5 Qs 188/20

Pflichtverteidiger: Kraftfahrzeugrennen

Eine besondere Schwierigkeit der Rechtslage kann im Hinblick auf den Tatvorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, da bei der Anwendung dieser Norm sich ggf. verschiedene Rechtsfragen stellen, die bislang nicht (eindeutig) höchstrichterlich geklärt wurden.

LG Aachen, Beschl. v. 11.1.2021 – 62 Qs 83/20

Pflichtverteidiger: Auswechselung des Pflichtverteidigers

Wird dem Beschuldigten innerhalb der ihm nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO bestimmten Frist ein anderer als der von ihm bezeichnete Verteidiger beigeordnet, kommt eine Auswechselung des Pflichtverteidigers in Betracht. Bei der Fristsetzung gemäß § 142 Abs. 5 S. 1 StPO handelt es sich um eine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 35 Abs. 2 StPO. Voraussetzung für den Beginn der Frist ist die Bekanntgabe der gerichtlichen Entscheidung. Erfolgt demnach die Anhörung schriftlich, so muss sie gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 StPO förmlich zugestellt werden.

LG Berlin, Beschl. v. 13.1.2021 – 538 Qs 101/20

Grundsatz der Öffentlichkeit: Corona-Pandemie

Die Teilnahme als Zuhörer an einer öffentlichen Hauptverhandlung stellt einen unbenannten triftigen Grund im Sinne von Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt dar (vgl. a. OLG München, Beschl. v. 30.3.2020 – 2 Ws 387 u. 388/20).

BGH, Beschl. v. 17.11.2020 – 4 StR 390/02

Urteilsanforderungen: allgemeinkundige Tatsachen

Allgemeinkundige Tatsachen stehen der Kenntnisnahme durch das Rechtsbeschwerdegericht offen, ohne dass es ihrer Darlegung im tatrichterlichen Urteil bedarf. Die im Internet bei Google Maps oder Google Earth abrufbaren Luftbildaufnahmen können als Quelle für allgemeinkundige Erkenntnisse zu örtlichen Gegebenheiten herangezogen werden

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.1.2021 – IV-2 RBs 191/20

Empfangsbekenntnis: Erklärung des Rechtsanwalts

Bei dem als Organ der Rechtspflege unter erhöhter Wahrheitspflicht stehenden Rechtsanwalt sind hohe Anforderungen an die Annahme eines von ihm unzutreffend datierten Empfangsbekenntnisses zu stellen.

LG Hanau, Beschl. v. 12.10.2020 – 5 Kls 1136 Js 14486/17

Strafbefehl: Verzicht auf Einspruch

Ein Verzicht auf den Einspruch gegen einen Strafbefehl liegt nicht schon darin, dass der Angeklagte die in dem Strafbefehl festgesetzte Strafe bezahlt oder ein Ratenzahlungsgesuch stellt.

LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.10.2020 – 5/30 Qs 42/20

Ausbleiben in der Hauptverhandlung: Quarantänepflicht

Ist beim Angeklagten aufgrund von Symptomen ein „Coronaabstrich“ entnommen worden, besteht bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht, die sein Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigt.

LG München I, Beschl. v. 4.1.2021 – 15 Qs 46/20

Wiedereinsetzung: Verfahrensrüge

Entscheidend für den Fristbeginn (§ 45 Abs. 1 StPO) i.S.v. § 44 Abs. 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten. Auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Verteidigers kommt es hingegen nicht an. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einzelner Revisionsrügen ist in der Regel jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung anwesend waren. Ist die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint. Ist Gegenstand der Verfahrensrüge und Anlass für das Wiedereinsetzungsgesuch die Nichtgewährung von Akteneinsicht, muss der Beschwerdeführer zur Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsbegehrens für jede Rüge ausreichend darlegen, dass er gerade durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war. Die §§ 44 ff. StPO dienen nicht dazu, etwaige (vom Angeklagten unverschuldete) handwerkliche Mängel in der Rechtsmittelbegründung seines Verteidigers nachträglich zu beheben, sondern nur dazu, über eine (vom Angeklagten nicht verschuldete) Fristversäumnis hinwegzuhelfen.

OLG Hamm, Beschl. v. 6.1.2021 – 4 RVs 131/20

Unerlaubtes Entfernen: bedeutender Schaden

Ein bei einem Verkehrsunfall verursachter Nettoschaden für Reparaturkosten in Höhe von 1.500 EUR stellt keinen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB dar. Bei der Schadensbewertung sind die fortschreitende Entwicklung der Verbraucherpreise für Wartung und Reparatur sowie die allgemeine Einkommensentwicklung zu berücksichtigen. Die Wertgrenze des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist daher bei zumindest 1.800 EUR anzusetzen.

AG Duisburg, Beschl. v. 27.10.2020 – 204 Gs 146/20

Tötungsdelikte: Anwendungsbereich

Bei einer operativen Entbindung (Kaiserschnitt, sectio caesarea) beginnt die Geburt und damit der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB regelmäßig mit der Eröffnung des Uterus zum Zweck der dauerhaften Trennung des Kindes vom Mutterleib; dies gilt auch bei einer Mehrlingsgeburt.

BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 5 StR 256/20

Corona-Soforthilfe: Subventionen

Staatliche Leistungen, die als „Corona-Soforthilfe“ aufgrund der „geänderten Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“ bzw. der „Förderrichtlinie Hamburger Corona-Soforthilfe“ gewährt wurden, stellen Subventionen im Sinne des § 264 StGB dar. Für die nach § 264 Abs. 9 Nr. 1 Var. 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen genügt es grundsätzlich, hinsichtlich der einzelnen subventionserheblichen Tatsachen auf konkret bezeichnete Textziffern des Antragsformulars zu verweisen. Jedenfalls bei einer überschaubaren Gesamtanzahl an Textziffern im Antragsformular steht dem grundsätzlich nicht entgegen, dass auf nahezu alle vom Antragsteller zu tätigenden Angaben verwiesen wird.

LG Hamburg, Beschl. v. 18.1.2021 – 608 Qs 18/20

Straßenverkehrsgefährdung: Sekundenschlaf

Für die zumindest fahrlässige Verkennung eines körperlichen Mangels gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB genügt allein die Tatsache, dass der Fahrer am Steuer eingeschlafen ist, nicht. Vielmehr bedarf es der Feststellung, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit derart übermüdet war, dass er jederzeit mit dem Eintritt eines Sekundenschlafs rechnen musste.

AG Düsseldorf, Beschl. v. 16.11.2020 – 150 Gs 2091/20

Elektronisches Gerät: Digitalkamera

Eine Digitalkamera ist ein der Organisation dienendes elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO.

KG, Beschl. v. 9.11.2020 – 3 Ws (B) 262/20

Fahrverbot: Anrechnung von vorläufiger Entziehung

§ 25 Abs. 6 S. 1 StVG gebietet nur die Anrechnung der Dauer einer in demselben Verfahren angeordneten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.11.2020 – 1 OWi 2 SsBs 146/20

Corona-Pandemie: Kontaktverbot

Ein Verstoß gegen § 1 der Nds. Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus in der Fassung vom 24.4.2020: „Jede Person hat physische Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehören, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren“, kann mangels Bestimmtheit der Norm nicht mit einem Bußgeld sanktioniert werden.

OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.12.2020 – 2 Ss (OWi) 286/20

Auslagen des Verteidigers: Bahncard

Unterlässt es der Verteidiger, die Erforderlichkeit seiner Auslagen vor Entstehen derselben durch das Gericht feststellen zu lassen, steht dies einer Anerkennung der Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren als notwendig nicht entgegen (§ 46 RVG). Die Kosten für den Erwerb einer BahnCard50 können jedenfalls in lang andauernden Verfahren notwendige Auslagen darstellen, wenn sich der Erwerb der BahnCard50 bereits nach wenigen Fahrten des Verteidigers amortisiert (Nr. 7003 VV RVG).

OLG Celle, Beschl. v. 21.12.2020 – 4 StE 1/17

Längenzuschlag: Stunde; Beendigung

Eine Stunde endet mit Ablauf der Sekunde 59:59 Uhr. Danach beginnt die nächste Stunde.

LG Karlsruhe, Beschl. v. 29.12.2020 – 3 KLs 220 Js 16158/10

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO; Mitwirkung

Auch im Fall einer Einstellung nach § 154 StPO kann die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entstehen. Eine teilweise bestreitende Einlassung erfordert erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache des Verteidigers mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reicht aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen.

AG Aschaffenburg, Beschl. v. 15.12.2020 – 390 AR 81/20

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