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Finanzermittlungen als Grundlage für die Bemessung des Tagessatzes

1. Ein Ersuchen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über Kontostammdaten ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig.

2. Finanzermittlungen können auch erfolgen, um bei einer Geldstrafe konkrete Schätzungsgrundlagen für die Bemessung des Tagessatzes zu schaffen.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.4.2021 – III-2 RVs 11/21

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Den Tagessatz hat das AG mit 25 EUR bemessen. Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich der Tagessatzhöhe Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG beanstandet, dass das AG eine Tagessatzhöhe von 25 EUR zugrunde gelegt hat, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, der hierzu keine Angaben gemacht hatte, zu treffen. Es könne nicht nachvollzogen werden, wie das AG diesen Betrag ermittelt habe. Zwar könnten die Einkünfte des Angeklagten, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden (§ 40 Abs. 3 StGB). Jedoch setze eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen und deren überprüfbare Darstellung in den Urteilsgründen voraus (vgl. BVerfG NStZ-RR 2015, 335; OLG Hamm StraFo 2001, 19; KG Berlin BeckRS 2016, 2914; OLG Zweibrücken zfs 2017, 649). Daran fehle es. Soweit der Angeklagte im Urteilsrubrum als „Selbstständiger“ bezeichnet worden sei, komme dem schon mangels Angabe des Berufszweiges keine Aussagekraft zu. Auch sei nicht ersichtlich, worauf diese berufliche Einordnung beruht. Abgesehen davon seien Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten in den Urteilsgründen zu treffen.

Für die Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung hat das OLG auf Folgendes hingewiesen: Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben mache, sei es zulässig, in zwei Schritten Finanzermittlungen durchzuführen.

Zunächst könne die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen sei nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2016, 48; BeckOK-StPO/Sackreuther, 39. Edition 2021, § 161 Rn 5; Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 161 Rn 39). Denn der Gesetzgeber habe davon abgesehen, die durch § 24c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KWG eröffnete Auskunftsmöglichkeit auf bestimmte Katalogtaten zu beschränken. Vielmehr würden die allgemeinen Regeln der §§ 152 Abs. 2, 160 StPO gelten. Danach genügen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat (vgl. BT-Drucks 14/8017, S. 123). Das Auskunftsersuchen könne nach Anklageerhebung durch das mit der Sache befasste Gericht gestellt werden (vgl. BGH NJW 1981, 1052; OLG Stuttgart NStZ 2016, 48). Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können – so das OLG – die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden. Dies geschehe in der Praxis in der Weise, dass die Kreditinstitute in dem Auskunftsersuchen darauf hingewiesen werden, dass durch die Erteilung einer schriftlichen Auskunft (nebst Übersendung von Ablichtungen der zugehörigen Unterlagen) die Durchsuchung der Geschäftsräume oder die Zeugenvernehmung von Mitarbeitern abgewendet werden könne. Um einen aussagekräftigen Überblick über die Einkünfte des Angeklagten zu erhalten, sollte sich die Auskunft zu Girokonten auf die Buchungen ca. des letzten Jahres erstrecken.

Die Auskunftsersuchen an die BaFin und die kontoführenden Kreditinstitute wären verhältnismäßig. Andere hinreichenden Erfolg versprechende Ermittlungsmaßnahmen stünden nicht zur Verfügung. So scheide bei einem beruflich Selbstständigen eine Befragung des Arbeitgebers zu Lohn- und Gehaltszahlungen aus. Die Finanzermittlungen wären entbehrlich, wenn der Angeklagte rechtzeitig vor der neuen Hauptverhandlung schriftsätzlich konkrete Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen würde.

III. Bedeutung für die Praxis

Als Verteidiger muss man die „Drohkulisse“, die das OLG aufbaut, im Blick haben, wenn es um die Frage geht, ob der Mandant Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen soll. Aus der Entscheidung wird deutlich, dass ein Rechtsmittel gegen die Anordnung eines Auskunftsersuchens kaum Erfolg haben wird. Die Entscheidung liegt im Übrigen im Trend der Rechtsprechung, zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse ggf. das gesamte Arsenal auszuschöpfen (vgl. z.B. LG Hagen StRR 5/2019, 25 = VRR 10/2019, 19 zur Zulässigkeit der Durchsuchung zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Bußgeldverfahren).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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