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Berechnung der Frist für die Unterbrechung der Hauptverhandlung

Die Berechnung der Dreiwochenfrist bemisst sich aufgrund des eigenständigen Charakters der Regelung originär nach § 229 Abs. 1 StPO. Da die Vorschriften der §§ 42, 43 StPO nicht anwendbar sind, gilt dies erst recht für die allgemeinen Fristenregeln der §§ 186 ff. BGB. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 28.7.2020 – 6 StR 114/20

I. Sachverhalt

Das LG hat die Hauptverhandlung am achten Verhandlungstag, am Montag, den 23.9.2019, unterbrochen. Fortgesetzt worden ist erst nach einer Unterbrechung von 22 Tagen am Mittwoch, den 16.10.2019. Die Verfahrensrüge des Angeklagten, mit der ein Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO geltend gemacht worden ist, hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Der BGH führt aus: Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, die auf eine Entscheidung des Reichsgerichts vom 27.2.1923 (I 112/23, RGSt 57, 266, 267) zurückgeht, handele es sich bei der in § 229 Abs. 1 StPO normierten Unterbrechungsfrist nicht um eine Frist i.S.d. §§ 42, 43 StPO, sondern um eine eigenständige „Zwischenfrist“, d.h. um einen zwischen zwei Verhandlungstage eingeschobenen Unterbrechungszeitraum, in dessen Berechnung weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist (vgl. etwa BGH NStZ 2014, 469; NStZ 2017, 424 = StRR 3/2017, 11; StraFo 2016, 209). Diese Auffassung werde in der Literatur überwiegend geteilt (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 229 Rn 6; SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 229 Rn 3; MüKo-StPO/Arnoldi, § 229 Rn 14; KK-Gmel, 8. Aufl., § 229 Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 229 Rn 9; a.A. SSW-StPO/Grube, 4. Aufl., § 229 Rn 8).

Der eigenständige Charakter der Unterbrechungsfrist ergebe sich insbesondere daraus, dass der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Rspr. des RG durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 9.12.1974 (BGBl I S. 3393) die nunmehr in § 229 Abs. 4 S. 2 StPO enthaltene Regelung eingeführt habe, wonach die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden könne, wenn der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend ist. Dadurch habe für die Unterbrechung der Hauptverhandlung eine dem § 43 Abs. 2 StPO entsprechende Vorschrift geschaffen werden sollen (vgl. BT-Drucks 7/551, S. 81).

Der BGH schließt sich der Auffassung an, dass – von Fällen des § 229 Abs. 4 S. 2 StPO abgesehen – zwischen dem Unterbrechungs- und dem Fortsetzungstermin nicht mehr als 21 Tage liegen dürfen (vgl. BGH StRR 2013, 384; StRR 3/2017, 11; StV 2020, 437; anders noch BGH NStZ 2014, 469; StraFo 2016, 209). Die Berechnung der Dreiwochenfrist bemesse sich aufgrund des eigenständigen Charakters der Regelung originär nach § 229 Abs. 1 StPO. Da die Vorschriften der §§ 42, 43 StPO nicht anwendbar seien, gelte dies erst recht für die allgemeinen Fristenregeln der §§ 186 ff. BGB. Dabei könne dahinstehen, ob eine für die Anwendbarkeit dieser Auffangnormen (vgl. BGH StV 2015, 172) erforderliche Regelungslücke im Strafprozessrecht überhaupt besteht (vgl. OLG Bamberg StRR 2007, 264; von Alten, StV 2020, 437, 438). Sie fehle jedenfalls im Bereich der Unterbrechungsregelung des § 229 StPO. Die Einführung der Regelung des § 229 Abs. 4 S. 2 StPO durch das 1. StVRG belege, dass der Gesetzgeber die Regelungen der §§ 186 ff. BGB, insbesondere die entsprechende Vorschrift des § 193 BGB, nicht für anwendbar erachtete; auch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 7/551, S. 80 f.) lasse sich nichts anderes entnehmen.

Die Auslegung des § 229 Abs. 1 StPO ergebe, dass der Zeitraum von drei Wochen höchstens 21 Tage umfasst. Das folge – so der BGH – schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach die Woche eine gebräuchliche Zeiteinheit von sieben Tagen sei (vgl. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2. Aufl. 1995; Brockhaus – Die Enzyklopädie, 20. Aufl. 1996–1999 Bd. 24; Duden 07. Das Herkunftswörterbuch, 4. Aufl. 2007). Dem entspreche der juristische Sprachgebrauch, der in gesetzlichen Vorschriften über die Dauer der Woche zum Ausdruck komme. So werde gemäß § 339 S. 1 SGB III im Bereich der Arbeitsförderung eine Woche mit sieben Tagen berechnet, und § 21a Abs. 2 ArbZG bestimme für die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Straßentransport, dass eine Woche den Zeitraum von Montag 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr umfasse. Ansonsten werde im Arbeitszeitrecht unter dem Begriff der Woche ein beliebiger Zeitraum von sieben aufeinander folgenden Tagen verstanden (vgl. Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 9. Aufl., § 21a ArbZG Rn 3). Schließlich sei den gesetzlichen Auslegungsregeln in Art. 36 Abs. 4 WG und § 359 Abs. 2 HGB zu entnehmen, dass eine Woche einen Zeitraum von sieben Tagen umfasse. Danach bedeute die Verwendung des Ausdrucks „acht Tage“ nicht eine Woche, sondern volle acht Tage. Diese Auslegungsregeln dienten der Klarstellung in Fällen, in denen die Wendung „acht Tage“ gelegentlich synonym für eine Woche gebraucht werde. Dabei handele es sich um einen altertümlichen Sprachgebrauch, der auf die Zivilkomputation zurückgehe und die in § 187 Abs. 1 BGB sowie § 188 Abs. 2 BGB – ebenso wie letztlich auch in § 43 Abs. 1 und § 229 Abs. 1 StPO – vorgesehene Verlagerung des Fristbeginns auf den dem fristauslösenden Ereignis folgenden Tag antizipiere .

Auch der Normzweck des § 229 Abs. 1 StPO gebiete, unter dem Zeitraum von drei Wochen nur 21 Tage zu verstehen. Die in den Unterbrechungsvorschriften zum Ausdruck kommende Konzentrationsmaxime und das Beschleunigungsgebot stünden einer extensiven Auslegung der Vorschrift entgegen (vgl. LR-StPO/Becker, a.a.O., § 229 Rn 1; Mandla, NStZ 2011, 1 jeweils m.w.N.).

Da die Hauptverhandlung am Montag, den 23.9.2019, unterbrochen worden sei, habe die Unterbrechungsfrist am Dienstag, den 24.9.2019, zu laufen begonnen und endete mit Ablauf des Montags, 14.10.2019. Die Hauptverhandlung hätte deshalb spätestens am Dienstag, den 15.10.2019, fortgesetzt werden müssen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BGH zu dieser Problematik aus der letzten Zeit (vgl. die zitierten Rechtsprechungsnachweise).

2. Der BGH weist zudem darauf hin, dass das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 229 StPO nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden kann (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 26.5.2020 – 5 StR 65/20 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Solche besonderen Umstände waren hier nicht ersichtlich. In Betracht käme insoweit, dass die Fristüberschreitung ersichtlich entweder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt oder die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat (vgl. dazu BGHSt 23, 224).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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