Beitrag

Leichtfertig herbeigeführte Leistungsunfähigkeit durch Immobilienverkauf

1. Zur Frage einer zumindest leichtfertig herbeigeführten Leistungsunfähigkeit, wenn der Unterhaltspflichtige zwei in seinem Eigentum stehende Eigenheime veräußert und hierdurch seine Leistungsfähigkeit vermindert, weil er angesichts der allgemeinen Finanzmarktlage keine nennenswerten Zinserträge erlangen kann.

2. Zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit wäre deshalb der Unterhaltspflichtige gehalten gewesen, lediglich eine Immobilie zu veräußern und mit dem Erlös die bisher bewohnte Immobilie so zu renovieren, dass ihm ein angemessener Wohnvorteil verbleibt.

3. In Höhe dieses danach erzielbaren (fiktiven) Wohnvorteils ist deshalb die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu erhöhen.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.7.2020 – 10 UF 1286/19

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um nachehelichen Unterhalt. Der Antragsteller begehrt Abänderung eines seit 2017 bestehenden Unterhaltstitels.

Die Beteiligten haben 1974 geheiratet. Seit 2007 sind sie geschieden. Bei der Scheidung wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt und der Antragsteller zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von 874 EUR verpflichtet. In einem Vergleich vom 30.12.2014 wurde der seitens des Antragstellers zu zahlende monatliche Unterhalt auf 500 EUR festgelegt. Dieser Vergleich wurde wegen des absehbaren Renteneintritts des Antragstellers befristet bis November 2016. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – wurde der Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin ab 1.12.2016 monatlich 531 EUR nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Auf Seiten des Antragstellers wurden dabei Renten von 932,91 EUR und 217,53 EUR sowie ein – vom Gericht geschätzter – Wohnvorteil von 605,20 EUR berücksichtigt, auf Seiten der Antragsgegnerin ein Einkommen von 693,99 EUR. Das Familiengericht führte weiter aus, dass der durchgeführte Versorgungsausgleich Unterhalt nicht ausschließe, solange die Antragsgegnerin keine Altersrente beziehe und damit in den Genuss des Versorgungsausgleichs komme.

Mit Antrag vom 12.7.2019 begehrt der Antragsteller eine Abänderung des Beschlusses dahin gehend, dass von ihm kein Unterhalt mehr geschuldet werde sowie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschl. v. 13.4.2017. Er macht geltend, dass die Antragstellerin seit 1.2.2019 Regelaltersrente beziehe, die am 1.4.2019 auf 798,28 EUR erhöht worden sei. Zudem besitze er nunmehr keinen Wohnvorteil mehr.

Nach der Scheidung habe er Unterhalt in wechselnder Höhe geleistet. Dabei habe die Antragsgegnerin von dem Wohnwert in erheblichem Umfang profitiert. Nach der Ehe erworbene Versorgungsanwartschaften seien nicht zu berücksichtigen, da der Ausgleich im Versorgungsausgleich erfolgt sei. Die Antragsgegnerin habe stets Barunterhalt gefordert. Hätte sie Vorsorgeunterhalt geltend gemacht, wäre der Barunterhalt zwar niedriger ausgefallen; es würde aber auch keine Versorgungslücke bestehen.

Nach Abzug des geleisteten Unterhalts von 531 EUR seien ihm nur 619,44 EUR verblieben. Er habe davon den Unterhalt und die Nebenkosten des 1976 errichteten und 1995 ihm von seiner Mutter geschenkten Hauses nicht mehr bezahlen können. Zum 1.4.2019 sei er ausgezogen und wolle das Haus verkaufen. Beide Häuser seien alt und erheblich renovierungsbedürftig. Die Wohnfläche betrage 88 qm. Die Veräußerung unterliege zudem seiner freien Disposition. Die Immobilien seien nicht zur gemeinsamen Altersvorsorge gedacht gewesen, sondern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf ihn übertragen worden und dürften daher nicht berücksichtigt werden.

Die Antragsgegnerin beantragte Antragsabweisung und stellte gleichzeitig Widerstufenantrag auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers und Zahlung des sich errechnenden nachehelichen Unterhalts. Hinsichtlich des Abänderungsantrags machte sie geltend, der Umstand, dass sie nun Altersrente in Höhe von 798,28 EUR beziehe, bedeute nicht, dass kein Unterhaltsanspruch mehr gegeben sei. Es werde bestritten, dass ein Anspruch auf Altersvorsorge-Unterhalt bestanden habe und angesichts der Einkommensverhältnisse der Beteiligten und der relativ kurzen Zeit bis zu ihrem Renteneintritt zu einer nennenswerten Altersvorsorge geführt hätte. Sie sei bei Ehescheidung bereits erwerbsunfähig gewesen, so dass ihr lediglich eingeräumt worden sei, eine Tätigkeit für 400 EUR brutto/342 EUR netto zu finden. Nach einem Sachverständigengutachten habe sie ab April 2012 gar nicht mehr arbeiten können. Auch müssten die Renten des Antragstellers inzwischen erhöht worden sein. Ein Verkauf der Häuser werde bestritten. Bei Verkauf eines der Häuser habe mit dem Erlös die Renovierung des anderen Hauses finanziert werden können. Der Antragsteller habe zudem über die Rente seiner Mutter verfügen können. Die Herabsetzung des Unterhalts sei unbillig. Während der Ehe seien sie davon ausgegangen, dass ihre Altersvorsorge durch Immobilien des Antragstellers, nämlich das Grundstück mit zwei Häusern gesichert sei. Diese biete der Antragsteller mittlerweile für 570.000 EUR an. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.10.2019, in der der Antragsteller den Kaufpreis für die Immobilien mit insgesamt 365.000 EUR konkretisierte und angab nun bei seiner Partnerin zu wohnen und monatlich 400 EUR Mitbeteiligung an diese zu zahlen, änderte das Amtsgericht – Familiengericht die Entscheidung wie folgt ab:

„Der Antragsteller wird in Abänderung des Endbeschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht verpflichtet an die Antragsgegnerin ab dem 1.4.2019 einen monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 474,00 EUR zu bezahlen.

Ab dem 1.7.2019 hat der Antragsteller an die Antragsgegnerin eine monatlichen, jeweils monatlich im Voraus fälligen, nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 521,00 EUR zu zahlen.“

Im Übrigen wies es Antrag und Widerantrag ab.

II. Die Entscheidung

Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der Antragsteller seine Renteneinkünfte mit 222,21 EUR Betriebsrente ab 1.7.2019 und gesetzlicher Rente von 981,86 EUR bzw. ab 1.7.2019 1.013,13 EUR belegt habe. Der Wohnwert sei weiter mit 6,80 EUR/qm anzusetzen, mithin mit 605,20 EUR. Der Antragsteller müsse sich daran festhalten lassen, dass ihm mietfreies Wohnen bislang möglich gewesen sei und auch künftig wirtschaftlich sinnvoll möglich gewesen wäre. Der Antragsteller habe das von ihm bewohnte Haus für 350.000 EUR und das seiner Mutter für 250.000 EUR verkauft. Unerheblich sei, ob ein Renovierungsstau den Verkauf erforderlich gemacht habe. Er habe eine der Immobilien verkaufen und mit dem Erlös die andere renovieren können, so dass er sie entweder selbst bewohnen oder daraus Mieteinnahmen in Höhe des bisherigen Wohnwertes hätte erzielen können. Der Widerantrag sei unbegründet, da der Antragsteller Auskunft über seine Renteneinkünfte gegeben und diese belegt habe. Anhaltspunkte für weitere unterhaltsrechtlich relevante Einkünfte gebe es nicht.

Mit Beschl. v. 26.11.2019 berichtigte das Amtsgericht – Familiengericht – Regensburg den Beschl. v. 7.11.2019 im Tenor dahingehend, dass ab 1.4.2019 ein Unterhalt in Höhe von 506 EUR seitens des Antragstellers zu zahlen sei, da bei der Berechnung im Beschluss ein offensichtlicher Rechenfehler vorgelegen habe.

Der 10. Senat des OLG Nürnberg hält die Beschwerde des Antragstellers für teilweise begründet. Insofern führt er aus:

a) Die Antragsgegnerin besitze einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nach §§ 1572 Nr. 1, 1573 Abs. 2 BGB. Unstreitig hätte bei der Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Scheidung eine Erwerbsunfähigkeit bestanden, die nur die Aufnahme einer Tätigkeit im Umfang von 400 EUR erlaubt habe.

b) Das Maß des Unterhalts bestimme sich nach § 1578 Abs. 1 BGB nach dem relevanten Einkommen der Beteiligten.

aa) Einkünfte erziele der Antragsteller seit 1.7.2019 in Höhe seiner beiden Renten von 1.013,13 EUR und 222,21 EUR, mithin insgesamt 1.235,24 EUR. Das Argument, die Teilung seiner Versorgungsanwartschaften im Versorgungsausgleich schließe einen Unterhaltsanspruch aus seinen erst nach Ende der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften aus, treffe nicht zu. Mit dem Versorgungsausgleich würden die während der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften hälftig auf die Ehegatten aufgeteilt. Über die Frage, ob der Ausgleichsberechtigte Unterhalt von dem anderen Teil verlangen könne, weil sein Einkommen trotz der übertragenen Anwartschaften den Lebensbedarf nicht decke, sei damit nicht entschieden. Für sie komme es allein auf das Verhältnis der Gesamteinkommen beider Ehegatten zueinander an. Zu diesem gehörten auch die Einkommensquellen, die später an die Stelle der in der Ehezeit zur Verfügung stehenden Einkünfte getreten seien.

bb) Darüber hinaus sei dem Antragsteller weiterhin fiktiv der Wohnwert für die früher in seinem Eigentum stehende und von ihm bewohnte Immobilie zuzurechnen. Grundsätzlich sei die Verfügung des Antragstellers über sein Eigentum, wie der hier vorliegende Verkauf der Immobilien, zu respektieren. Die Anerkennung der Konsequenzen aus einer solchen Entscheidung sei beim Unterhalt aber eingeschränkt durch die unterhaltsrechtlichen Pflichten des Veräußerers. Dabei sein insbesondere Billigkeitserwägungen, wie sie in der negativen Härteklausel des § 1579 zum Ausdruck kämen, ggf. auch dem Unterhaltspflichtigen entgegenzuhalten. Beim Wohnvorteil komme daher auf beiden Seiten eine Zurechnung fiktiver Einkünfte dann in Betracht, wenn dem Unterhaltspflichtigem oder dem Unterhaltsberechtigtem ein verantwortungsloses oder zumindest leichtfertiges Herbeiführen seiner Leistungsunfähigkeit vorzuwerfen sei. Ein solches Verhalten könne z.B. im Umzug zu einem neuen Lebensgefährten liegen, der zum Verlust des bisherigen Arbeitseinkommens führen und nicht durch Gründe der persönlichen Lebensführung gerechtfertigt sei. Zudem ergebe sich aus § 1577 Abs. 1 BGB für den unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten die Obliegenheit, vorhandenes Vermögen so ertragreich wie möglich anzulegen. Vermögenserträge, die er in zumutbarer Weise erzielen könnte, tatsächlich aber nicht erziele, minderten als fiktives Einkommen seine Bedürftigkeit. Deshalb dürfe der geschiedene Ehegatte beispielsweise den Erlös aus dem Verkauf eines bisher bewohnten Familienheims nicht ohne weiteres zum Erwerb eines Eigenheims verwenden, wenn durch eine verzinsliche Anlage des Kapitals höhere Erträge zu erwirtschaften wären. Er könne gehalten sein, sein Vermögen umzuschichten. Dabei müsse dem Vermögensinhaber ein gewisser Entscheidungsspielraum belassen werden. Die tatsächliche Anlage des Vermögens müsse sich als eindeutig unwirtschaftlich darstellen, ehe der Unterhaltsberechtigte auf eine andere Anlageform und daraus erzielbare Beträge verwiesen werden könne. Diese Obliegenheit treffe spiegelbildlich auch den Unterhaltsverpflichteten.

Dem Antragsteller verblieben vorliegend im Jahr 2019 nach Abzug des Unterhalts etwas über 700 EUR von seinen Renteneinkünften, von denen er auch die laufenden Kosten der Immobilien habe bestreiten müssen. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2018 sei eine etwaige finanzielle Unterstützung durch diese weggefallen. Beide Anwesen seien seit längerer Zeit nicht renoviert worden, so dass unstreitig ein Renovierungsstau von mehr als 100.000 EUR eingetreten wäre. Auf Grund dieser Ausgangslage könne dem Antragsteller nicht grundsätzlich vorgeworfen werden, dass er sich nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus für eine Veräußerung seines Eigentums und den Umzug zu seiner Partnerin entschieden habe, auch wenn er andererseits die laufenden Kosten für die Häuser über mehrere Jahre hinweg trotz Unterhaltszahlung hätte tragen können und nun nach eigenen – bestrittenen – Angaben 400 EUR Mietbeteiligung an seine Partnerin zahle. Dennoch sei der Verkauf beider Häuser nicht als vom unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähigen Ermessensspielraum des Antragstellers gedeckt und im Rahmen des zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit wirtschaftlich Zumutbaren und Obliegenden anzusehen. Der Antragsteller hätte lediglich das elterliche Anwesen verkaufen und mit dem erzielten Erlös das von ihm bewohnte, ehemals eheliche Anwesen sanieren können. Nach seinen eigenen unbestrittenen Angaben habe für dieses Haus ein Renovierungsstau in einer Höhe von 150.000 EUR bestanden. Der mit dem Verkauf des elterlichen Anwesens erzielte Erlös in Höhe von 215.000 EUR hätte mithin nicht nur die anfallenden Sanierungskosten abgedeckt, sondern auch ermöglicht, einen Sockelbetrag in Höhe von ca. 65.000 EUR für zukünftige laufenden Kosten bzw. den zu zahlenden nachehelichen Unterhalt zurückzubehalten. Er hätte das Gebäude dann selbst bewohnen oder zur Erzielung von Einnahmen vermieten können. Auf diese Weise wäre die Kostentragung durch den Antragsteller nachhaltig sichergestellt worden.

Das OLG Nürnberg macht deutlich, dass der Verkauf beider Immobilien, insbesondere des ehemaligen Familienheimes, mithin offenkundig gegen die Obliegenheit des Antragstellers als Unterhaltsverpflichteten verstoße, seine vorhandenen Vermögenswerte so ertragreich wie möglich anzulegen bzw. diese zur Sicherung umzuschichten und Stelle sich als unterhaltsrechtlich unwirtschaftlich dar, so dass dem Antragsteller weiterhin – fiktiv – der Wohnwert für das zuvor tatsächlich bewohnte Haus anzurechnen sei.

Der Wegfall des Wohnwertes werde auch nicht durch die tatsächliche oder fiktive Verzinsung des Verkaufserlöses kompensiert, die nach Veräußerung der während der Ehe mietfrei bewohnten Immobilie an die Stelle des Wohnwertes träte. Insoweit habe der Antragsteller durch entsprechende Bescheinigung der Deutschen Bank nachgewiesen, dass er derartige Zinsen aus dem Erlös des Immobilienverkaufs tatsächlich nicht erziele. Darüber hinaus könne der Antragsteller auch nicht darauf verwiesen werden, dass er sich entsprechend erzielbare Zinsen aus dem Verkaufserlös von 565.000 EUR fiktiv zurechnen lassen müsste. Zwar wäre der Antragsteller auf den Betrag nicht unmittelbar angewiesen und habe ihn auch nicht verzinslich angelegt. Eine positiv verzinste Möglichkeit für die Anlage des Betrags zu einer Verzinsung in Höhe des bisherigen Wohnwertes sei aufgrund der derzeitigen allgemeinen Finanzmarktlage aber konkret nicht feststellbar und damit das Unterlassen dem Antragsteller unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar.

Der Umstand, dass eine verzinsliche Anlage des Verkaufserlöses und damit die Generierung von Surrogaten, die die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten stützen, derzeit nicht möglich sei, zeige aber noch einmal, dass dem Antragsteller vorliegend nur ein eingeschränkter Ermessensspielraum bei der Verfügung über sein unterhaltsrechtlich relevantes Eigentum offen stehe. Quasi spiegelbildlich zu der vom BGH entschiedenen Ausgangslage, wonach bei einer verzinslichen Anlage von Geld eine höhere Rendite zu erzielen wäre als beim Erwerb von Eigentum und daher fiktive Zinseinkünfte zu berücksichtigen wäre, könne der Antragsteller vorliegend nicht ohne unterhaltsrechtliche Relevanz sein Eigentum frei veräußern und den Erlös zinslos anlegen, sondern müsse den Grund- und Immobilienbesitz so weit wie möglich erhalten, wenn er sich nicht entsprechende Vorteile wie den Wohnvorteil zumindest fiktiv anrechnen lassen wollte.

cc) [Ausführungen zur Unterhaltsberechnung]

c) Darüber hinaus besitze die Antragsgegnerin auch ohne Berücksichtigung eines fiktiven Wohnwertes einen Unterhaltsanspruch gegen den Antragsteller, weil dieser aus seinem Vermögen leistungsfähig und die teilweise Verwertung des Verkaufserlöses dem Antragsteller zumutbar und angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten auch billig sei (§ 1581 BGB). Anders als bei der Bedarfsbemessung nach § 1578 Abs. 1 BGB komme es bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des § 1581 BGB nicht darauf an, welche Einkommensverhältnisse in der Ehe angelegt sein, vielmehr seien alle eheprägenden, aber auch nicht prägenden Einkünfte heranzuziehen.

Bei der Frage, ob bzw. wie vorhandenes Vermögen einzusetzen sei, bedeutet dies, dass nicht nur Erträge aus dem Vermögen, wie beispielsweise Zinsen, anzurechnen seien, sondern ggf. auch der Vermögensstamm zur Erfüllung der Unterhaltspflichten heranzuziehen sei. Als Maßstab für einen Einsatz des Vermögensstamms gelten für den Verpflichteten nach § 1581 Satz 2 BGB dieselben Maßstäbe wie gemäß § 1577 Abs. 3 BGB für den Berechtigten. Demnach hänge die Verpflichtung zum Einsatz des Vermögensstamms insbesondere von den bestehenden Möglichkeiten ab, das Vermögen dauerhaft ertragsfähig anzulegen und daraus Erträge zu generieren. Existierten solche Möglichkeiten nicht, sei auch der Vermögensstamm als unterhaltsrechtlich relevant anzusehen und bei der Frage der Leistungsfähigkeit heranzuziehen.

Der Antragsteller habe den Verkaufserlös der Immobilie ohne Verzinsung angelegt. Ihm sei auch aufgrund der allgemeinen Finanzmarktlage eine ertragreiche Anlage des Erlöses von mehr als 560.000 EUR nicht möglich. Dieser sei daher – neben den Renteneinkünften, die aber nur 1.235,34 EUR betragen – als im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen und ein Einsatz dem Antragsteller ohne Verlust erheblicher Erträge auch zumutbar. In einem zweiten Schritt sei auf dieser Grundlage eine Abwägung dahingehend durchzuführen, ob eine Verpflichtung des Unterhaltsschuldners zu Leistungen an den Berechtigten mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie der Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der früheren Ehegatten der Billigkeit entspreche.

Dies sei nach Auffassung des OLG Nürnberg der Fall. Beide früheren Ehegatten verfügten aktuell allein über Renteneinkommen in Höhe von ca. 1.000 EUR, mithin über Einkünfte, die sich auf beiden Seiten im Bereich des eigenen Selbstbehalts bewegten. Der dem Antragssteller zuzurechnende Wohnvorteil sei mit dem Verkauf der Immobilien entfallen. Die beengten tatsächlichen Einkommensverhältnisse des Verpflichteten allein ließen einen Unterhaltsanspruch der bedürftigen Antragsgegnerin daher nicht mehr zu. Gleichzeitig stehe dem Unterhaltsverpflichteten aber aus den Immobilienverkäufen ein Vermögen von mehr als 560.000 EUR zur Verfügung. Dieses stammte aus dem Verkauf gerade der Immobilien, die zuvor einen unterhaltsrechtlich relevanten Wohnvorteil des Antragstellers begründeten. Es wäre unter diesen Umständen unbillig, wenn die Antragsgegnerin auf ergänzende Sozialhilfeleistungen angewiesen wäre, während der Antragsteller sein Vermögen für eigene Belange zurückhalten könnte.

3. [Ausführungen zur fehlenden Begründetheit des Widerantrags]

III. Der Praxistipp

Die dargestellte Entscheidung des 10. Senats des OLG Nürnberg bietet dem Praktiker eine Argumentationshilfe, um den „Gedankenspielen“ des eigenen Mandanten zur Reduzierung seiner Unterhaltsverpflichtung entgegenzutreten.

Kaum überraschend lehnt das OLG Nürnberg die durch den Unterhaltsschuldner herbeigeführte Leistungsunfähigkeit, indem der einkommenserhöhende Wohnvorteil „wegveräußert“ bzw. in eine unterhaltsrechtlich unbeachtliche Zuwendung eines Dritten umgewandelt wird, als leichtfertig ab.

Daneben enthält die dargestellte Entscheidung einen weiteren – hochinteressanten – Aspekt. Das OLG Nürnberg fordert vom Unterhaltsschuldner zumindest bei geringen Einkünften der Beteiligten des Unterhaltsrechtsverhältnisses den Einsatz der Vermögenssubstanz zum Unterhalt. Ausgehend von der Obliegenheit des Unterhaltsschuldners zur verzinslichen Kapitalanlage, um eine höhere Rendite und damit Einkünfte zu erzielen, nimmt das OLG Nürnberg an, dass das Immobilieneigentum zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit herangezogen werden muss, indem dieses als Vermögenssubstanz zur Deckung der Unterhaltsansprüche eingesetzt wird.

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…