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BAG: Anspruch auf Urlaubsabgeltung, Mutterschutz, Beschäftigungsverbot

§ 24 Satz 2 MuSchG, dem zufolge eine Frau den vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nicht (vollständig) erhaltenen Urlaub nach Ende des Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr nehmen kann, steht auch einem Verfall solcher Urlaubsansprüche entgegen, die während mehrerer unmittelbar aufeinanderfolgender mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote entstanden sind.

[Amtlicher Leitsatz]

Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 20.8.20249 AZR 226/23

I. Der Fall

Beschäftigungsverbote

Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsvertrag vom 6.12.2016, der der Klägerin einen kalenderjährlichen Urlaub von 28 Tagen gewährte. Die Klägerin, die bei dem Beklagten als Zahnärztin tätig war, befand sich seit dem 1.12.2017 nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft in einem Beschäftigungsverbot. An dieses Beschäftigungsverbot schloss sich die Mutterschutzfrist sowie ein Beschäftigungsverbot während der Stillzeit an. Aufgrund einer weiteren Schwangerschaft erfolgten weitere Beschäftigungsverbote, die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.3.2020 fortbestanden.

Urlaubsabgeltungsanspruch

Nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses machte die Klägerin Urlaubsabgeltung für insgesamt 68 Arbeitstage geltend. Zur Berechnung trug die Klägerin vor, dass ihr aus dem Jahr 2017 fünf restliche Urlaubstage, für die Jahre 2018 und 2019 jeweils der volle Urlaubsanspruch von 28 Arbeitstagen sowie für das Jahr 2020 einen Teilurlaubsanspruch im Umfang von sieben Arbeitstagen zustünden.

Ablehnung des Arbeitgebers

Der beklagte Arbeitgeber hat die Ansprüche mit der Begründung zurückgewiesen, dass für die Zeiten ineinandergreifender Beschäftigungsverbote keine Urlaubsansprüche entstünden. Jedenfalls seien etwaige Urlaubsansprüche allerdings gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Monats März des jeweiligen Folgejahres erloschen.

Verfahrensgang

Die Klage der Klägerin war sowohl vor dem Arbeitsgericht (ArbG Leipzig, Urt. v. 3.3.2021 – 4 Ca 1674/20) als auch vor dem Landesarbeitsgericht (LAG Sachsen, Urt. v. 27.4.2023 – 9 Sa 157/21) erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision des Beklagten gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes im Wesentlichen zurückgewiesen. Lediglich bezüglich der geltend gemachten Zinsen ist eine geringfügige Änderung veranlasst gewesen.

II. Die Entscheidung

Urlaubsanspruch trotz Beschäftigungsverbot

Das Bundesarbeitsgericht hält in seiner Entscheidung fest, dass die Urlaubsansprüche der Klägerin entstanden sind, obwohl diese ihre Tätigkeit als Zahnärztin seit dem 1.12.2017 nach Maßgabe der Beschäftigungsverbote nicht ausüben konnte. Zur Begründung führt es aus, dass § 24 Satz 1 MuSchG anordnet, dass die Zeiten eines Beschäftigungsverbotes als Zeiten einer Beschäftigung zu behandeln sind. Demnach sind diese Zeiträume, auch wenn in dieser Zeit die Verpflichtung zur Arbeitsleistung suspendiert ist, bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs zu berücksichtigen.

Anspruch auf gesetzlichen und vertraglichen Urlaub

Obwohl der Arbeitsvertrag der Klägerin zwischen dem zu gewährenden gesetzlichen Urlaub und dem vertraglichen Urlaub nicht differenziert, hält das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung darüber hinaus im Rahmen eines obiter dictum fest, dass generell das Entstehen des Urlaubsanspruchs nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch beschränkt ist. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 18.3.2004 (vgl. EuGH, Urt. v. 18.3.2004 – C-342/01 [Merino Gómez] Rn 44) ergebe sich aus einer unionsrechtskonformen Auslegung der gesetzlichen Regelung, dass diese den gesetzlichen Mindesturlaub wie auch den übersteigenden, vertraglich vereinbarten Mehrurlaub umfasse.

kein Verfall gem. § 7 Abs. 3 BUrlG

Die Urlaubsansprüche der Klägerin sind nach der Entscheidung des BAG auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Ein Verfall zum Ende des Jahres oder gegebenenfalls zum 31.3. des Folgejahres widerspräche § 24 Satz 2 MuSchG, der festhält, dass Urlaubsansprüche die vor dem Beginn des Beschäftigungsverbotes entstanden sind, nach Ende des Beschäftigungsverbotes und in dem darauf folgenden Jahr beansprucht werden können. Auch für Urlaubsansprüche, die während aufeinanderfolgender Beschäftigungsverboten entstanden sind, gelte danach, dass diese jedenfalls vor dem letzten Beschäftigungsverbot entstanden sind, sodass die Ausnahmeregelung auch für diese Ansprüche gelte.

Zinsbeginn

Unter Abänderung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils hält das BAG fest, dass die auf den Urlaubsabgeltungsbetrag zu verlangenden Zinsen nicht ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses verlangt werden können. Zwar bestimme § 7 Abs. 4 BUrlG, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig werde. Damit sei jedoch keine Leistungszeit i.S.v. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmt.

III. Der Praxistipp

Kosten des Beschäftigungsverbots

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes bestätigt, was in der Praxis ganz überwiegend bereits angewandt wurde. Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz stellen keine Freistellung dar, die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin vermindern oder auf diese angerechnet werden könnten. Da der zu gewährende Urlaub oder die Urlaubsabgeltung von dem Anspruch auf Erstattung des Mutterschutzlohns nicht umfasst ist, trägt der Arbeitgeber diese Kosten alleine. Die häufig anzutreffende Auffassung, das Beschäftigungsverbot für Schwangere und Mütter in Stillzeit „koste den Arbeitgeber nichts“, ist danach nicht zutreffend.

Hinweis auf bestehende Urlaubsansprüche gem. § 24 S. 2 MuSchG

Wird das Arbeitsverhältnis nach Ende des Beschäftigungsverbotes fortgesetzt, ist Arbeitgebern anzuraten, bei dem Hinweis an die Arbeitnehmerin auf verbleibende Urlaubstage und deren möglichen Verfall die Besonderheiten für den Urlaubsanspruch, der aus der Zeit vor dem Beschäftigungsverbot resultiert, zu beachten.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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