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BAG: Auslegung von AGB in einer Ruhegeldordnung – Unklarheitenregelung

Die Feststellung des Bestehens einer Versorgungsverpflichtung in einem bestimmten Zeitraum betrifft die Feststellung eines Rechtsverhältnisses und kann Gegenstand einer Feststellungsklage im Sinne von § 256 ZPO sein.

Ergeben sich bei der Auslegung einer vom Arbeitgeber einseitig gestellten Ruhegeldordnung Zweifel bei der Auslegung und sind danach zwei Auslegungsergebnisse ernsthaft vertretbar, ohne dass eine der beiden eindeutig vorzugswürdig ist, so folgt aus der Unklarheitenregelung des § 305 c II BGB, dass die für den Versorgungsempfänger günstige Auslegung den Vorzug erhält.

Die Unklarheitenregelung galt bereits bevor das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz den Anwendungsbereich des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf das Arbeitsrecht ausdehnte.

[Orientierungssätze]

BAG, Urt. v. 23.3.2021 – 3 AZR 99/20

I. Der Fall

Die Parteien stritten darüber, ob der Klägerin für den Zeitraum vom 1.7.2015 bis 31.12.2018 eine betriebliche Erwerbsunfähigkeitsrente zu zahlen war. Die Klägerin war bei der Beklagten, der Betreiberin eines Krankenhauses, seit dem 1.4.1985 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis wurden die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritas Verbands (AVR) angewendet.

Die Beklagte hatte im Jahre 1993 eine Ruhegeldordnung erlassen. Diese sah unter anderem vor, dass den Arbeitnehmern eine Erwerbsunfähigkeitsrente geleistet wird. Voraussetzung war jedoch, dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach Eintritt des Versorgungsfalls aus den Diensten des Krankenhauses ausscheidet. Zudem wurde bestimmt, dass der Anspruch auf Zahlung der Leistungen frühestens mit dem Ausscheiden und der Einstellung der Entgeltfortzahlung entsteht.

Die Klägerin erhielt bereits seit dem 1.7.2015 durch die Beklagte keine Entgeltfortzahlung oder sonstige Vergütung mehr. Die Deutsche Rentenversicherung hatte ihr zudem eine zunächst bis zum 30.4.2020 befristete Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit bewilligt.

Zu einer rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses war es jedoch nicht gekommen. Insbesondere war das Arbeitsverhältnis auch nicht gem. § 18 AVR aufgelöst worden, da der Klägerin bislang keine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt worden war.

Zwar zahlte die Beklagte seit dem 1.1.2019 die monatliche Erwerbsminderungsrente, da eine geänderte Fassung der Ruhegeldordnung in Kraft trat. Für die klageweise geltend gemachten Zeiträume lehnte sie die Zahlung allerdings ab. Die Klägerin hatte bereits in den Vorinstanzen vorgetragen, die in der Ruhegeldordnung enthaltenen Klauseln zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses benachteiligten sie unangemessen. Ihr sei es nicht zuzumuten ein langjährig bestehendes Arbeitsverhältnis zu beenden, um die Leistungen aus der Ruhegeldordnung zu beziehen, ob wohl sie bereits seit langem keine Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis mehr erhalte. Zudem seien die Klauseln nicht klar und verständlich formuliert, sodass Zweifel bei der Auslegung zulasten der Beklagten gingen.

Das ArbG Lingen und das LAG Niedersachsen haben die Klage unter Verweis auf das Urteil des BAG vom 5.6.1984 – 3 AZR 376/82, als unbegründet abgewiesen. Das BAG hat die Vorinstanzen aufgehoben und der Revision der Klägerin stattgegeben.

II. Die Entscheidung

Die Klage war als Feststellungsklage gem. § 256 ZPO zulässig. Zwar könnten grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Eine Feststellungsklage müsse sich allerdings nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken, sondern könne sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Die Klägerin begehre insofern zulässig die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr für den Zeitraum vom 1.7.2015 bis zum 31.12.2018 eine betriebliche Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren.

Die Klage sei auch begründet. Die von der Beklagten erlassene Ruhegeldordnung beinhalte als Gesamtzusage allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. §§ 305 ff. BGB. Diese seien nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen verstanden werden. Dabei seien die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen. Blieben nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden nicht behebbarere Zweifel, gehe dies – so das BAG – gem. § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders.

Nach Ansicht des 3. Senats spräche unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze einiges dafür, dass der Anspruch auf Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente nicht die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetze. Der Wortlaut der Ruhegeldordnung sei nicht eindeutig, was sich vorliegend zu Lasten der Arbeitgeberin auswirke.

Voraussetzung für die Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente sei nach der Ruhegeldordnung, dass der Arbeitnehmer aus den Diensten des Krankenhauses ausscheide und nachweisen könne, zu mindestens 50% berufs- oder erwerbsunfähig zu sein. Was unter „Ausscheiden“ aus den Diensten zu verstehen sei, bestimme die Ruhegeldordnung allerdings nicht. Gemeint könne sowohl die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses als auch das faktische tatsächliche Ausscheiden durch Ruhen der Hauptleistungspflichten sein.

Die Einschränkung einer Versorgungszusage durch eine sog. Ausscheidensklausel habe in der Praxis der betrieblichen Altersversorgung auch keinen feststehenden Inhalt. Daher würde in der Literatur stets empfohlen klarzustellen, ob mit dem Ausscheiden die rechtliche Beendigung oder lediglich die Suspendierung der Hauptleistungspflichten gemeint sei. Sinn und Zweck der Klausel sei sicherzustellen, dass nicht gleichzeitig Ansprüche auf Ruhegeld und Vergütung entstehen können. Solche Doppelansprüche seien nach Ansicht des 3. Senats aber bereits ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis während der Dauer des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente ruhe. Einer rechtlichen Beendigung bedürfe es hierzu nicht.

Zu einem zweifelsfreien Auslegungsergebnis könne der Senat vorliegend nicht gelangen, sodass gem. § 305c Abs. 2 BGB von einem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zugunsten der Klägerin auszugehen sei. Zwar spräche für die Fälle „Alter“ und „Tod“ vieles dafür, dass eine rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint sei. Im Falle einer Erwerbsunfähigkeit könne aber davon ausgegangen werden, dass ein faktisches Ausscheiden ausreiche, da im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses Doppelansprüche wirksam ausgeschlossen würden. Eine „Fortsetzung“ des Arbeitsverhältnisses, wie es in § 13 der Ruhegeldordnung vorgesehen war, sei indes nur möglich, wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht rechtlich beendet wurde. In Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB sei der Anspruch der Klägerin daher zuzusprechen.

III. Der Praxistipp

Arbeitgeber sollten nach dieser Entscheidung des BAG ihre eigenen Ruhegeldordnungen auf mögliche Unklarheiten in Bezug auf Ausscheidensklauseln überprüfen. Sofern aus Sicht des Arbeitgebers für die Fälle der Erwerbsunfähigkeit die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung vorgesehen werden soll, muss dies – wie das BAG nunmehr ausgeführt hat – in der Ruhegeldordnung entsprechend eindeutig klargestellt werden.

Der 3. Senat hat jedoch offengelassen, ob eine Ausscheidensklausel im Falle einer Erwerbsunfähigkeitsrente überhaupt noch zulässig ist. Die letzte Entscheidung zu dieser Frage ist das von den Vorinstanzen herangezogene Urteil aus dem Jahre 1984 (vgl. BAG, Urt. v. 5.6.1984 – 3 AZR 376/82). Ob die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze nach der Änderung des § 102 Abs. 2 SGB VI im Jahre 2001 noch anwendbar bleiben, ist daher fraglich. Da die Deutsche Rentenversicherung zwischenzeitlich dazu übergegangen ist, den Anspruchsberechtigten zunächst nur eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung zu bewilligen, sind Arbeitnehmer gehalten, möglicherweise langjährig bestehende Arbeitsverhältnisse zu beenden, obwohl die dauerhafte Bewilligung der Erwerbsminderungsrente durch die Deutsche Rentenversicherung nicht absehbar ist.

Insbesondere wirkt die Begründung des 3. Senats aus dem Jahre 1985 – wie das BAG am Rande ausgeführt hat –, durch eine Beendigungsklausel in einer Versorgungszusage verfolge der Arbeitgeber berechtigterweise den Zweck, Doppelansprüche auszuschließen, aus der Zeit gefallen. Zum einen sind diese bereits durch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses für die Dauer des Bezugs einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente ausgeschlossen. Zum anderen besteht die Gefahr der doppelten Zahlung durch die flächendeckende Verwendung digitaler Lohnbuchhaltungsprogramme kaum noch. Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG zukünftig eine Entscheidung zu der generellen Zulässigkeit von Beendigungsklauseln treffen wird.

Adrian Mrochen, Rechtsanwalt, Köln

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