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EuGH stärkt anwaltliches Berufsgeheimnis

In einer aktuellen Entscheidung hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut zum Spannungsverhältnis von steuerrechtlichen Meldepflichten nach der sog. DAC-6-Richtlinie und anwaltlicher Verschwiegenheit geäußert. Mit Urt. v. 29.7.2024 (C-623/22) bekräftigte er die Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie, betonte aber zugleich die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwälten und Mandanten.

Mit der Richtlinie zur Änderung der EU-Amtshilferichtlinie von 2018 (Richtlinie [EU] 2018/22 – kurz: DAC-6) wurden Meldepflichten für potenziell aggressive grenzüberschreitende Steuergestaltungen für sog. Intermediäre eingeführt. Solche Intermediäre können auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sein. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass diese von ihrer Meldepflicht befreit werden können, wenn sie gegen eine nach nationalem Recht bestehende Verschwiegenheitsverpflichtung verstoßen würden. In diesem Fall müssen sie jedoch die Steuerpflichtigen sowie etwaige andere Intermediäre über ihre Meldepflicht unterrichten. Bereits vor rund zwei Jahren hatte der EuGH die letztgenannte Verpflichtung, soweit sie sich auch auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstreckte, für rechtswidrig erklärt (C-694/20).

Obwohl die Entscheidung des Gerichtshofs aus 2022 einige Klarheit zur DAC-6-Richtlinie gebracht hatte, herrscht – europaweit – immer noch Uneinigkeit über die Auslegung und Reichweite der Vorschrift. So riefen vor einiger Zeit in Belgien die dortigen Vereinigungen von Rechtsanwälten, Steueranwälten und Steuerberatern den belgischen Verfassungsgerichtshof an, weil sie die Gültigkeit des belgischen Umsetzungsgesetzes der DAC-6-Richtlinie bezweifelten. Der Verfassungsgerichtshof setzte das Verfahren zunächst aus und wandte sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Die Luxemburger Richter befanden nun erneut, dass die zur Bekämpfung von Steuergestaltungen vorgesehenen Meldepflichten für bestimmte Verbraucher und Berater in der EU-Amtshilferichtlinie grds. unionsrechtskonform sind. Sie seien auch hinreichend bestimmt und genügten den Anforderungen an Rechtssicherheit und Gesetzmäßigkeit in Strafsachen. Interessante Konkretisierungen machte der Gerichtshof aktuell zum Adressatenkreis der EU-Vorgabe. Er konkretisierte seine Entscheidung von 2022 dahin gehend, dass dieses Urteil lediglich für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gelte, die ihre berufliche Tätigkeit unter einer der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der einschlägigen Richtlinie 98/5/EG aufgeführten Berufsbezeichnung führen. Nicht privilegiert seien demnach andere Berufsgruppen, die ebenfalls zur Vertretung vor bestimmten Gerichten ermächtigt sind und Verschwiegenheitspflichten unterlägen, wie etwa Steuerberater. Die Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses genieße nämlich einen besonderen Schutz, der sich aus der singulären Stellung des Rechtsanwalts innerhalb der Gerichtsorganisation der Mitgliedsstaaten sowie der ihm übertragenen grundlegenden Aufgabe ergebe, die von allen Mitgliedsstaaten anerkannt werde.

Die aktuelle Entscheidung des EuGH bezieht sich zwar nur auf die belgische Adaption der DAC-6-Richtlinie. Die deutsche Umsetzung in nationales Recht ist diesbezüglich noch nicht ins Visier von Berufsrechtlern geraten. Allerdings wird auch hierzulande seitens der anwaltlichen Berufsverbände vermehrt über Übergriffe des Gesetzgebers in das Berufsgeheimnis geklagt. Letzterer wird bei der zukünftigen Rechtssetzung die aktuelle Stärkung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht durch den EuGH berücksichtigen müssen.

[Quelle: EuGH]

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