Darf man noch ein „frohes neues Jahr“ wünschen? Warum nicht! Mit guten Wünschen starten wir deshalb in das neue Jahr und werfen gleichzeitig einen kurzen Blick zurück auf 2024. Dabei überlassen wir das Wort dem BRAK-Präsidenten Dr. Ulrich Wessels, der in seinem Weihnachtsbrief seine ZAP-Kolumne (erschienen am 18.12.2024 in ZAP 24/2024, S. 1161 f.) erwähnt hat. Was in der Kolumne steht? Wir klären auf:
Von Geburtstagskerzen und Brandbeschleunigern
Was gäbe ich dafür, meine traditionelle Kolumne zum Jahresende bzw. -auftakt unter einer Überschrift wie „Stabilität, Sicherheit und Kuchen für alle“ zu verfassen. Doch in die Reihe der letzten Titel „Von Risiken und Nebenwirkungen“ (2022/2023) und „Von Angriffen, Widerstand und Engagement“ (2023/2024) gesellt sich nun eine weitere Überschrift, die – zumindest teilweise – Unbehagen bereitet. Doch das kann ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, leider nicht ersparen.
Lassen Sie uns also gemeinsam einmal tief Luft holen und auf 2024 zurückschauen, bevor wir einen Blick auf 2025 riskieren
Ausgerechnet das Jahr, in dem unser Grundgesetz 75 Jahre alt werden sollte, begann äußerst turbulent. Wobei „turbulent“ sicher nicht ansatzweise der angemessene Begriff sein dürfte, wenn wir uns an die Berichte über ein Treffen in Potsdam erinnern. Was folgte, dürfte keiner von uns vergessen haben: Abertausende Menschen auf den Straßen und eine nicht abreißen wollende Welle von Demonstrationen. Was kümmert das die Anwaltschaft? Das will ich Ihnen verraten!
Als Organe der Rechtspflege sind wir unserem Rechtsstaat in besonderer Weise verpflichtet. Nicht ohne Grund verkündet die Homepage der BRAK u.a. ganz bewusst: „Die Sicherung des Rechtsstaates ist eine unserer Kernkompetenzen!“ Keine leere Phrase, sondern Selbstverpflichtung und Versprechen zugleich.
Für die Bundesrechtsanwaltskammer war es daher eine Selbstverständlichkeit, im März nicht nur die Wiederaufnahme der Gespräche zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts anzumahnen, sondern auch zu fordern, parteipolitische Interessen außen vor zu lassen und sich einer fachlichen und sachlichen Diskussion zuzuwenden. Wenn es um das hohe Gut der Unabhängigkeit unserer Justiz geht, hat Parteigeklüngel schlicht keinen Platz auf der Agenda. Die Resilienz des Rechtsstaates ist ein Thema, das ungeteilte Aufmerksamkeit verdient. Nicht nur, aber auch, um den Geburtstag unseres Grundgesetzes angemessen zu würdigen.
Einmal kurz für das Geburtstagsständchen aufzustehen, um sich dann wieder dem Alltag zuzuwenden, ist in diesen Zeiten schlicht nicht genug. Aus diesem Grunde sind wir, an der Seite nicht nur von Anwältinnen und Anwälten, sondern auch Richterinnen und Richtern, Rechtsanwaltsfachangestellten und Abgeordneten, 75 Mal aufgestanden, um unser „GG“ gebührend zu feiern und unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen: Mit unserer Videokampagne „#Aufstehen“ für den Rechtsstaat.
Tag für Tag stehen wir auch weiterhin auf, durch unser Engagement für den Rechtsstaat; sei es mit unserer tagtäglichen anwaltlichen Arbeit, im Ehrenamt oder auch im privaten Umfeld. Denn wenn extremistische Kräfte zunehmend erstarken, dürfen wir die Verteidigung von Rechtsstaat und Demokratie nicht den anderen überlassen.
Denn was wäre, wenn alle anderen ebenso dächten?
Zurückhaltung scheint mir dieser Tage eine schlechte Wahl. Hass und Hetze verschwinden nicht von alleine. Dies umso weniger, wenn auch noch die Presse ins Horn der Propagandisten stößt und die Berichterstattung zum Brandbeschleuniger mutiert. So geschehen gegenüber einer Kollegin, die den späteren vermeintlichen Attentäter von Solingen – lange vor der Tat – in einem Asylverfahren vertreten hat. In den Medien wurde ihr fast schon eine Mittäterschaft zugeschrieben, was letztlich dazu führte, dass die Identitären vor der Kanzlei ein Friedhofsszenario schufen. Das Feuer war gelegt und loderte hell. Und breitete sich aus! Migrationsrechtlerinnen und Migrationsrechtler in ganz Deutschland erhielten nachfolgend Hass- und Drohbotschaften.
Das, sehr verehrte Leserinnen und Leser, ist die Lage, in der wir uns befinden: Kolleginnen und Kollegen werden allein wegen ihrer Tätigkeit auf einem bestimmten Rechtsgebiet angefeindet und bedroht. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat – gleichsam auf allen verfügbaren Kanälen – auf diese Situation aufmerksam gemacht, um zur Sichtbarkeit beizutragen. Die fragliche Medienberichterstattung haben wir scharf kritisiert. Engagierten Kolleginnen und Kollegen ist zu verdanken, dass die Ereignisse presserechtliche und strafrechtliche Konsequenzen entfalten. Wir alle sind aber auch weiterhin gefragt. Wir müssen gemeinsam und solidarisch für unseren Rechtsstaat eintreten und ihn verteidigen. Bitte stehen auch Sie weiterhin auf und ein für unser Grundgesetz, unsere Demokratie, unsere Verfassung!
Auch in anderer Hinsicht galt und gilt es, sich gegen Widrigkeiten zur Wehr zu setzen
Erneut mussten wir uns für mehr Videoverhandlungen und die Dokumentation der Hauptverhandlung einsetzen und für diese wichtigen Entwicklungen streiten. Vehement wehrten wir uns gegen Gerichtsschließungen in Schleswig-Holstein. Aus Kostengründen wurde dort der Plan ersonnen, sämtliche Arbeits- und Sozialgerichte zu schließen und an einem Standort zu konzentrieren. Alles andere als eine gute Idee und zweifellos am falschen Ende gespart. Auch das faktische „beA-Verbot“ im Rahmen der Kommunikation mit den Finanzbehörden bereitete uns Kopfzerbrechen und veranlasste uns zu stürmischer Intervention an allen erdenklichen Fronten.
Rückblickend bleibt bei mir der Eindruck eines mehr als bewegten Jahres mit vielen, vielen Brandherden, die zu löschen noch nicht vollständig gelungen ist, wie ich meine. Denn die Regierung ist ausgebrannt (um in diesem Bild zu bleiben) – die Vertrauensfrage ggf. noch in diesem Jahr und Neuwahlen bereits Anfang des kommenden Jahres sind bereits seit November in aller Munde. So überraschend, dass dieser Text noch um zwei Zeilen auf der Druckfahne ergänzt werden musste. Von den US-Wahlen fange ich gar nicht erst an! Wir sollten uns mental daher wohl mit ausreichend Löschmitteln bewaffnet ins neue Jahr aufmachen: Mit Solidarität, Engagement und einer gehörigen Portion Hoffnung! Nach den vergangenen Jahren mag ich mir nicht anmaßen, eine Prognose künftiger Ereignisse und Entwicklungen zu erstellen. Ich ahne jedoch, welche Aufgaben auf uns zukommen werden.
Wie schon in den vergangenen Jahren wird sicher die Verteidigung der Kernwerte der Anwaltschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Zunehmend wird in Gesetzentwürfen – in der Vergangenheit vor allem im Bereich der Geldwäschebekämpfung und des Steuerrechts – die anwaltliche Verschwiegenheit angegriffen. Diese zunehmende Aushöhlung gilt es zu verhindern.
Auch für den Zugang zum Recht werden wir uns verstärkt einsetzen müssen. Wie angespannt einige Länderhaushalte auch sein mögen: Gerichtsschließungen und Rückzug aus der Fläche sind keine tauglichen Einsparmöglichkeiten. Ein funktionierender Rechtsstaat hat kein Preisschild!
Dies und mehr werden wir selbstverständlich auch gegenüber unseren neuen „Ansprechpartnern“ vertreten.
Bevor wir uns allerdings an die Aufgaben und Herausforderungen des Jahres 2025 machen, ist es Zeit, durchzuatmen und innezuhalten, die Anstrengungen und Turbulenzen – und Brände – des zurückliegenden Jahres zu vergessen bzw. verglimmen zu lassen und dankbar zu sein. Für das, was zwischen all den Widrigkeiten gut war. Ich bin sicher, auch dazu fällt uns allen etwas Passendes ein.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien von Herzen ein glückliches, erfolgreiches und vor allem gesundes Jahr 2025 ohne Feuerwehreinsätze!
Ihr
Ulrich Wessels