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Erstattung von Sachverständigenkosten bei einem sogenannten Bagatellschaden

1. Grundsätzlich gehören nach einem Verkehrsunfall die Kosten für ein Sachverständigengutachten zu dem zu ersetzenden Schadensaufwand, soweit die Einholung eines Sachverständigengutachtens tatsächlich erforderlich gewesen ist.

2. Im Fall eines sogenannten Bagatellschadens mit Bruttoreparaturkosten von maximal 1.000,00 EUR kann dies allerdings nicht der Fall sein.

3. Dabei kommt es auf die Sicht und Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachtens an, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. (Leitsatz des Verfassers)

LG Lübeck, Urt. v. 21.3.202514 S 79/24

I. Sachverhalt

Bagatellschaden an der Fahrzeugoberfläche

Bei einer grundsätzlichen Eintrittspflicht der beklagten Haftpflichtversicherung verlangte der Kläger Schadensersatz für die Kosten eines Sachverständigengutachtens, welches er nach einem Verkehrsunfall zur Bestimmung des erstattungsfähigen Fahrzeugschadens eingeholt hat. Der Gutachter kam allerdings zu dem Ergebnis, dass zur Beseitigung eines überschaubaren Schadens im Heckbereich lediglich Reparaturkosten in Höhe von 149,55 EUR erforderlich gewesen sind. Dabei war zu beachten, dass die hintere Stoßleiste schon vorher eine schwerwiegende Beschädigung aufgewiesen hat und erkennbar nur der Ersatz einer rechten Stoßschutzleiste und einer kleinen Abdeckung der Abschleppöse einen neuen Schaden dargestellt haben. Hieraus resultiert der geringfügige zu ersetzende neue Fahrzeugschaden und die Parteien stritten außergerichtlich über die Erforderlichkeit einer Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Sachverständigengutachten.

II. Entscheidung

Bagatellgrenze bis 1.000 EUR

Das LG hat in diesem Einzelfall die Sachverständigenkosten nicht als erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung angesehen und für nicht erstattungsfähig erachtet, sondern einen einfachen Kostenvoranschlag für ausreichend erachtet. Dabei wies es darauf hin, dass eine Bagatellgrenze bereits eine erste Einordnung dafür bietet, ob und in welchem Umfang die Kosten für ein Sachverständigengutachten erforderlich sein können und ordnete diese bei 700,00 EUR bis 800,00 EUR, maximal 1.000,00 EUR, an. Entscheidend sind die Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls.

Erkennbar keine erhebliche Schadensvertiefung wegen Altschaden

Hier war der Fall dadurch geprägt, dass gut erkennbar schon vorher ein schwerwiegender Fahrzeugschaden am Heck bestanden hat und daher lediglich geringfügige weitere Schäden, die äußerlich erkennbar waren und sich auch eine Stoßschutzleiste hin rechts und eine kleine Abdeckung der Abschlepphülse beschränkt haben, hinzugetreten sind. Dass diese Positionen unproblematisch und ohne großen Aufwand ersetzt werden können, wäre auch für einen Laien – so die Kammer – gut erkennbar, sodass dieser auch entscheiden konnte, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht wirtschaftlich und notwendig gewesen ist. Gerade unter Berücksichtigung des hier bereits bekannten Vorschadens wäre diese Abgrenzung einfach möglich gewesen.

III. Bedeutung für die Praxis

In diesem Einzelfall kein Gutachten geboten

Die Entscheidung zeigt noch einmal, dass die sogenannte „Bagatellgrenze“ bei der Erstellung von Sachverständigenkosten weiter eine Rolle spielen kann und auch derzeit noch in einer Größenordnung bei 1.000,00 EUR angesetzt wird. Entscheidend ist aber weniger die Höhe des Schadens als vielmehr der Gesichtspunkt, wie gut der Eintritt eines neuen Schadens zu erkennen ist und ob nicht unter Umständen schwer erkennbare weitere Schäden außerhalb des Sichtbereiches vermutet werden können. Wenn wie hier allerdings schon ein schwerwiegender unreparierter Altschaden im Heckbereich bestanden hat und eine Abgrenzung offenkundig auch für einen Laien mit einem geringfügigen neuen Schaden möglich ist, bedarf es in der Tat nicht eines neuen Sachverständigengutachtens.

Der Fall kann aber auch anders liegen, wenn schwierig zu entscheiden ist, in welchem Umfang eine Schadensvertiefung durch einen neuen Anstoß erfolgt ist, d.h. ob ein Abzug neu für alt geboten ist oder aber schon wegen der Vorbeschädigung der Einbau von neuen Ersatzteilen gebotene gewesen ist und damit jetzt als neuer Schaden ausscheidet. Eine Vorbeschädigung kann also einen Umstand darstellen, der sowohl in die eine wie auch die andere Richtung bei der Diskussion über einen „Bagatellschaden und die Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens“ zu berücksichtigen ist.

RA Dr. Michael Nugel, FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Essen

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