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Fahrverbot: Atypischer Rotlichtverstoß an Baustellenampel

1. Nicht jede Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase stellt eine typische, die Verhängung der erhöhten Geldbuße sowie eines Fahrverbotes nach Nr. 132.3 BKat indizierende Pflichtverletzung dar. Insbesondere im Falle einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel kann die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein.

2. In einem solchen Fall sind im tatrichterlichen Urteil nähere Darlegungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation erforderlich, die die Beurteilung erlauben, ob das Gewicht der Pflichtverletzung dem Typus des Regelfalles entspricht.

(Leitsätze des Gerichts9

BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1543/21

I. Sachverhalt

Das AG den Betroffenen wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Tatörtlichkeit war eine Straße, welche aufgrund von Bauarbeiten nur auf einem Fahrstreifen für beide Richtungen befahrbar war. Der Verkehr wurde mit einer Baustellenampelanlage mit dazugehöriger „Countdown-Uhr“ geregelt. Der Betroffene hielt zunächst als erstes Fahrzeug in der Warteschlange an der rot zeigenden Ampel an. Sodann fuhr der Betroffene über die Ampel, obwohl die Uhr noch 6 Sekunden Rotlicht anzeigte. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs bei Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen und entsprechende Zurückverweisung geführt.

II. Entscheidung

Die Feststellungen rechtfertigten nicht die Annahme eines Regelfalles für die Anordnung eines Fahrverbots nach lfd.Nr. 132.3 BKat. Der Verordnungsgeber habe eine schärfere Ahndung der Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase im Hinblick darauf für geboten erachtet, dass dieses Verhalten als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann. Indes beschränke sich der Anwendungsbereich der Bestimmung nicht auf den Schutz des Querverkehrs; auch wenn das Wechsellichtzeichen allein dem Schutz des Gegen- oder Diagonalverkehrs dient, seien Verkehrssituationen denkbar, in denen es durch die Missachtung des Rotlichts zur zumindest abstrakten Gefährdung bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer kommen kann, die auf das eigene Grünlicht vertrauen (BayObLG NZV 1997, 242; OLG Zweibrücken zfs 2018, 290 = VRR 11/2018, 21 [Deutscher]). Ein Regelfall sei nur dann gegeben, wenn die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist. Daher seien im Urteil Feststellungen zu treffen, die die Beurteilung ermöglichen, ob das Gewicht des Rotlichtverstoßes durch die von dem Verordnungsgeber gesehenen gewöhnlichen Tatumstände bestimmt wird, er also dem Typus des Regelfalles entspricht, was etwa dann nicht der Fall wäre, wenn aufgrund konkreter Gegebenheiten eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden kann (BayObLG a.a.O.). In einem solchen Fall könne, wenn nicht andere gewichtige Aspekte vorliegen, die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein. Ein solcher Umstand, der nähere Feststellungen zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie zu sonstigen verkehrsrelevanten Umständen gebietet, sei nach einhelliger Rechtsprechung das Vorliegen einer – wie hier – einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel (OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Brandenburg zfs 2003, 471; OLG Hamm NZV 1994, 369; OLG Düsseldorf NZV 2000, 89). Gemessen hieran erwiesen sich die knappen Feststellungen des AG, die sich auf den Umstand der einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel beschränken, als unzureichend, denn sie ermöglichten dem Senat nicht die Nachprüfung, ob das AG ohne Rechtsfehler vom Vorliegen eines Regelfalles ausgegangen ist. Es hätte vielmehr Feststellungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation bedurft, etwa zur Länge und Übersichtlichkeit der Baustelle, zur Breite der befahrbaren Spur, zu Ausweichmöglichkeiten, zu einer etwaigen Geschwindigkeitsbeschränkung (BayObLG a.a.O.), aber auch zur Frage, ob Querverkehr in die Baustelle einfahren konnte und ob sich Gegenverkehr in der Baustelle befand oder vor dieser gewartet hat (OLG Hamm a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Nichts grundlegend Neues. Der Beschluss zeigt aber anschaulich die Grundsätze zum Fahrverbot bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß an einer Baustellenampel auf (näher Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1722 m. N.). Allerdings hält die Rechtsprechung in solchen Fällen das Vorliegen eines Regelfalls für möglich, wenn der Betroffene an einem vor der Rotlicht zeigenden Baustellenampel anhaltenden Fahrzeug vorbeifährt (OLG Zweibrücken und OLG Düsseldorf a.a.O.). Auch wenn das BayObLG nicht darauf eingeht, ändert sich am Fehlen eines Regelfalls nichts dadurch, dass der Betroffene hier an einer Rotlicht zeigenden Baustellenampel mit Countdown-Uhr vorbeigefahren ist. Dabei handelt es um ein Digitaldisplay, das die verbleibenden Sekunden der aktuellen Phase bis zum Umspringen auf die nächste Phase anzeigt. Eine solche häufig an innerstädtischen Fußgängerampeln angebrachte Anzeige stellt lediglich einen Hinweis auf die noch verbleibende Dauer der Rotphase dar, wobei sich die Gefahr entgegenkommender Fahrzeuge bei nur gering verbleibender Restdauer der Phase (hier sechs Sekunden) eher vermindert.

RiAG Dr.Axel Deutscher, Bochum

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