1. Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht.
2. Ein Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung liegt hingegen nicht vor, wenn ein schon vorher bestehender Reifenschaden, eine fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck alleinige Ursache für das Platzen des Reifens während der Fahrt ist.
3. Macht der Versicherungsnehmer nach dem Platzen eines Reifens Leistungen aus der Vollkaskoversicherung geltend, muss er die Voraussetzungen eines Unfalls beweisen. Dazu gehört der Nachweis, dass ein eingedrungener Fremdkörper für das Platzen des Reifens ursächlich war.
(Leitsätze des Verfassers)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.2020 – 9 U 124/18
I. Sachverhalt
Der Pkw des Klägers war bei der Beklagten kaskoversichert. Bei einer Fahrt auf der Autobahn platzte ein Hinterreifen. Die Seitenwand des Reifens hatte sich gelöst und die abgelösten Reifenteile verursachten erhebliche Schäden an der Seitenwand und dem Radkasten des Fahrzeugs, die der von der Beklagten beauftragte Sachverständige als Totalschaden bewertete. Die Klage blieb vor dem LG erfolglos. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Das OLG führt zunächst aus, es hätte Versicherungsschutz bestanden, wenn das Platzen des Reifens auf einem eingedrungenen Fremdkörper beruht hätte. Dabei sei es unerheblich, ob sich dieser auf der Fahrbahn befunden habe oder ob er schon vorher am oder im Reifen gewesen sei. Bei beiden Alternativen hätte es sich um einen Unfall im Sinne der Bedingungen gehandelt, da der Fremdkörper plötzlich von außen mit mechanischer Gewalt eingewirkt habe. Der Kläger habe einen solchen Hergang aber nicht bewiesen. Es stehe nach der Beweisaufnahme vielmehr fest, dass eine fehlerhafte Montage den Reifen vorgeschädigt habe und Ursache des Platzens gewesen sei.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Die Ausführungen des OLG bleiben – so interessant und zutreffend sie auch sind – weitgehend nicht entscheidungserheblich. Entscheidend ist, dass hier ein „innerer“ Zustand zum Platzen des Reifens führte, wie nach der Beweisaufnahme feststand. Dass die fehlerhafte Montage Schadensersatzansprüche gegen die Werkstatt begründen könnte, war nicht Gegenstand des Prozesses.
2. Weiterführend könnte überlegt werden, wie zu entscheiden ist, wenn der Zustand der Straße (tiefe Schlaglöcher, Fahrbahnkanten) für das Platzen eines Reifens ursächlich oder mitursächlich ist. Auch dann bestehen mechanische Einwirkungen von außen. Versicherungsschutz könnte aber ausgeschlossen sein, wenn es sich um voraussehbare Schäden im Rahmen einer bestimmungsmäßigen Benutzung handeln würde. Die Voraussehbarkeit ist nach Art der Straße unterschiedlich und nicht generell zu beurteilen (Prölss/Martin/Klimke, VVG, 31. Aufl., A.2.2.2 AKB Rn 28). Auf einer Bundesautobahn ist ein solcher Zustand nicht zu erwarten (zumindest nicht ohne einen vorausgehenden Warnhinweis).
VorsRiOLG i. R. Dr. Ulrich Knappmann, Münster