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Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen im Original

1. In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, sind in Papierform aufgefundene (Original-)Unterlagen – insbesondere solche i.S.d. § 257 HGB, §§ 140–148 AO – im Original zu beschlagnahmen.

2. Bei derartigen Unterlagen und der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO ist dieses bereits dann der Fall, wenn nur mittels der (Sach-)Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes überprüft werden kann, ob eine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 S. 2 AO gegeben ist.

3. Dem Betroffenen ist dann die Möglichkeit einzuräumen, Kopien derartiger Unterlagen zu erhalten, wenn er diese für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck benötigt. Er hat nicht das Recht, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen.

4. Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u.U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der §§ 464a Abs. 1 S. 2 StPO; 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i.V.m. Nr. 9000 Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG, erfüllt sind.

(Leitsätze des Gerichts)

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 1.8.202418 Qs 14/24

I. Sachverhalt

Geschäftsunterlagen im Original sichergestellt

Der Beschuldigte ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Ferner fungiert der Beschuldigte als Kommanditist der GmbH & Co. KG, deren Komplementärin die vorgenannte GmbH ist. Schließlich sind die GmbH Komplementärin und der Beschuldigte Kommanditist der GmbH & Co. KG. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle beim Finanzamt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Bei einer gerichtlich angeordneten Durchsuchung wurden zahlreiche Unterlagen und elektronische Datenträger in der Wohnung des Beschuldigten, in den Geschäftsräumen der GmbH, in den Geschäftsräumen der GmbH & Co. KG und der Steuerberaterkanzlei von RA … aufgefunden. Das AG lehnte den Beschlagnahmeantrag der Bußgeld- und Strafsachenstelle ab und verfügte die Herausgabe der Unterlagen an den letzten Gewahrsamsinhaber. Gegen diesen Beschluss legte die Bußgeld- und Strafsachenstelle erfolgreich Beschwerde ein.

II. Entscheidung

Grundlagen zur Beschlagnahme schriftlicher Geschäftsunterlagen

Die Beschlagnahme sei in dem von der Beschwerdeführerin beantragten Umfang anzuordnen. Bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Beschlagnahme von Schriftstücken in Papierform würden allgemein folgende Leitlinien vertreten: Als Wahl des erforderlichen, aber zugleich mildesten Mittels könne in diesen Fällen die dem Betroffenen eingeräumte Möglichkeit angesehen werden, von dringend benötigten Geschäftsunterlagen Kopien anzufertigen (BVerfG, Beschl. v. 18.2.2008 – 2 BvR 2697/07; KG, Beschl. v. 27.9.1999 – 2 AR 38/98 – 4 Ws 203). Ihre Grenze fänden derartige Erwägungen jedoch, wenn die noch nicht abgeschlossene inhaltliche Auswertung der sichergestellten Unterlagen besonders schwierig sei und nach der Sachlage die nicht bloß abstrakte, fernliegende Möglichkeit bestehe, dass sich weitere kriminaltechnische Untersuchungen im weiteren Verfahren als notwendig erweisen würden. Dann reiche es nicht aus, von den beschlagnahmten Gegenständen Fotografien oder Kopien zu fertigen (BGH, Beschl. v. 20.10.1995 – StB 81/95). In Fällen, in denen beglaubigte Fotokopien den Beweiszweck ebenso wie die Originalurkunden erfüllten, seien die Originale nach Herstellung von Fotokopien, die beschlagnahmt würden, an den früheren Inhaber zurückzugeben. Komme es auf das Original an, so könne der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz es gebieten, dem Betroffenen Ablichtungen der beschlagnahmten Schriftstücke zur Verfügung zu stellen. Aus Gründen der Praktikabilität könnten dabei in beiden Fällen die in Frage stehenden Urkunden selbst zunächst mit der Maßgabe beschlagnahmt werden, dass dem früheren Inhaber gestattet werde, Ablichtungen zu fertigen, die dann entweder anstelle der Originale beschlagnahmt oder dem Inhaber zur Verfügung gestellt würden. Teilweise werde sogar die Auffassung vertreten, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete es (stets), dass Unterlagen, die zur Fortführung des Geschäftsbetriebes und insbesondere für die Bearbeitung von Steuererklärungen erforderlich seien, nach der Ausfertigung von Kopien der Schriftstücke und Datenträger im Original dem Betroffenen alsbald – jedenfalls ohne unzumutbare Behinderung des Geschäftsbetriebes – wieder zur Verfügung zu stellen seien (LG München I NStZ-RR 2003, 142). Bei der Prüfung der Angemessenheit einer Beschlagnahme könnten eine Bagatellstraftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Objekte sowie die Vagheit des Anfangsverdachts, der auf konkreten Tatsachen beruhen muss, im Einzelfall der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen. Zu berücksichtigen sei hier auch der Zeitfaktor: Würden umfangreiche Aktenbestände beschlagnahmt, könne der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zeitnahe Durchsicht und die Aussonderung der sichergestellten Akten erfordern, denen offensichtlich keine Beweisbedeutung zukomme. Grundsätze dergestalt, insbesondere bei (Original-) Unterlagen i.S.d. § 257 HGB, §§ 140–148 AO hätten stets nur Kopien bei den Ermittlungsbehörden zu verbleiben, während die Originale herauszugeben seien, oder aber es sei vom umgekehrten Ansatz auszugehen, verböten sich.

Kopien als Ersatz

In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, seien in Papierform aufgefundene (Original-)Unterlagen – insbesondere solche i.S.d. § 257 HGB, §§ 140–148 AO – im Original zu beschlagnahmen. Benötigt der Betroffene allerdings Kopien jeweils von ihm zu bezeichnender Beweismittel für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck, beispielsweise zur Erfüllung der sich aus den §§ 238 ff., 242 ff. HGB ergebenden oder auch steuerlichen Verpflichtungen, ist ihm die Möglichkeit zu eröffnen, solche selbst zu fertigen, oder ihm sind solche zur Verfügung zu stellen. Keinesfalls sei dem Betroffenen das Recht zuzubilligen, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen. Eine damit korrespondierende Verpflichtung der Ermittlungsbehörden würde dem Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz und der Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten, zuwiderlaufen. Die insoweit erforderliche gesonderte Vorhaltung von Personal und Betriebsmitteln für Kopierarbeiten würde die Befassung der Ermittlungsbehörden mit den Beweismitteln und mit der Aufklärung des Tatverdachts als solchem verzögern und behindern, ohne dass damit im Gegenzug für den Betroffenen angesichts kopierter und nicht dringend benötigter Unterlagen eine messbare Verbesserung einherginge.

Kostentragung für die Erstellung der Kopien

Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden könne und dürfe u.U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen erfüllt sind. Überwiegend werde eine entsprechende Kostenpflicht angenommen (LG Magdeburg, Beschl. v. 18.3.1996 – 24 Qs 3/96; LG Aachen MDR 1989,1014; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. 2024, § 94 StPO Rn 18). Teilweise werde insoweit von Kostenneutralität ausgegangen (BVerfG, Beschl. v. 18.2.2008 – 2 BvR 2697/07). Mit der überwiegenden Meinung sei die Kostenpflicht nicht generell abzulehnen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Angesichts der – tatsächlich vorhandenen – gesetzlichen Regelung in § 464a Abs. 1 S. 2 StPO; §§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i.V.m. Nr. 9000 KV der Anlage 1 zum GKG bestehe für die Ermittlungsbehörden kein Spielraum, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit oder des Aufwandes für die Erfassung von einer Kostenerstattung pauschal abzusehen. Vielmehr sei nach den zitierten gesetzlichen Regelungen zu entscheiden, wobei auf § 8 S. 1 GKG hinzuweisen ist und entsprechende Auslagen in den Akten lediglich vorzumerken sein dürften.

III. Bedeutung für die Praxis

Noch im Rahmen der Vorgaben

1. Das LG Nürnberg/Fürth gibt den Strafverfolgungsbehörden in seinem überbordend angelegten Beschluss einen recht großzügigen Rahmen zur Beschlagnahme von schriftlichen Geschäftsunterlagen, zumal gerade in steuer- und wirtschaftsstrafrechtlichen Umfangsverfahren eine zeit- und personalintensive Prüfung erforderlich ist, welche Dokumente im Original bei Herausgabe von Kopien gesichert werden müssen und welche Originale zurückgegeben werden können. Während dieser Zeit ist der ordnungsgemäße Geschäftsbetrieb zumindest stark beeinträchtigt. Gleichwohl bewegt sich diese Linie aber noch innerhalb der Vorgaben der bisherigen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es ein wenig zu apodiktisch, dem Beschuldigten keinen Anspruch auf Kopien von allen nicht herauszugebenden Unterlagen zu geben. Gerade das müsste an sich die Konsequenz des weitreichenden Ansatzes des LG Nürnberg/Fürth sein. Aufgabe des Verteidigers kann es in solchen Situationen nur sein, bei den Verfolgungsbehörden immer wieder auf schnelle Prüfung und Herausgabe zu drängen.

2. Praktisch bedeutsam sind auch die Ausführungen zur Kostentragung für die Anfertigung der Kopien. Das kann in Umfangsverfahren teuer werden.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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