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BVerfG zur Verwertung von „EncroChat“-Daten

1. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stellt eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist.

2. Die Verwertung von Informationen, deren Erhebung im Ausland (hier: in Frankreich erhobene Daten des Kommunikationsdienstes „EncroChat“) den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen i.S.d. deutschen und europäischen ordre public nicht widerspricht, darf aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig gemacht werden, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – §§ 100e Abs. 6, 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b StPO vorliegen. Hierbei darf auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abgestellt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschl. v. 1.11.20242 BvR 684/22

I. Sachverhalt

„EncroChat“-Daten verwertet

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung der von den französischen Behörden in Frankreich erhobenen und aufgrund einer Europäischen Ermittlungsanordnung (nachfolgend: EEA) nach Deutschland übermittelten sogenannten EncroChat-Daten im Urteil des LG sowie gegen die Verwerfung seiner Revision durch den BGH (BGHSt 67, 29 = NJW 2022, 1539 = StRR 4/2022, 2 [Burhoff]). Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

II. Entscheidung

Unzulässig wegen unzureichenden Vortrags

Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Sie genüge den Darlegungs- und Substantiierungsvoraussetzungen nicht. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung sowie eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters werde nicht schlüssig aufgezeigt. Auch das Unterlassen einer Vorlage an den EuGH durch LG und BGH nach Art. 267 AEUV sei nicht schlüssig dargelegt worden (wird ausgeführt). Der Beschwerdeführer sei zudem seiner Obliegenheit nicht nachgekommen, die Verfassungsbeschwerde bei entscheidungserheblicher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwerdebegründung gegebenenfalls nachträglich zu ergänzen. Der EuGH hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des LG Berlin mit Urteil vom 30.4.2024 (NJW 2024, 1723 = StRR 8/2024, 14 [Deutscher]) über Fragen der Auslegung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.4.2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABL EU Nr. L 130/1; nachfolgend RL EEA) im Zusammenhang mit der auch diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren zugrunde liegenden EEA der Generalstaatsanwaltschaft und den hierauf übermittelten EncroChat-Daten entschieden. Daher wäre vom Beschwerdeführer darzulegen gewesen, dass auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidung eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter vorliegt, auf der die angegriffene Entscheidung des BGH beruht. Dieser Darlegungsobliegenheit ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen.

Auch unbegründet

Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass auf der Grundlage der vom BGH festgestellten, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren maßgeblichen Verfahrenstatsachen eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist; insbesondere sei keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erkennbar. Die Frage der Verwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismitteln sei nach nationalem Recht zu beurteilen. Das gelte auch für Erkenntnisse, die mittels einer EEA gewonnen wurden. Maßstab für die Prüfung seien damit in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes. Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greife in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. Dieses Recht gewährleiste die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seien – soweit nicht Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verwertet werden – zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, erfolgen. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess sei § 261 StPO. Für die Verwertung von Beweisen, die aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführt wurden, würden insoweit grundsätzlich keine Besonderheiten gelten. Wurden Informationen rechtswidrig erlangt, bestehe von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre. Die strafgerichtliche Praxis gehe in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass die Frage nach dem Vorliegen eines Verwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden ist. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stelle dabei eine Ausnahme dar. Hiergegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern. Die Würdigung des BGH im angegriffenen Beschluss, wonach die EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, sei nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung seien im Urteil des LG nicht verwertet worden. Dass der BGH die Verwertung der hier erlangten Informationen davon abhängig macht, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – §§ 100e Abs. 6, 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO vorliegen, und dabei auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abstellt, begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch gegen die Annahme des BGH, die durch französische Behörden durchgeführte Beweiserhebung habe nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und europäischen ordre public verstoßen, sei auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.

III. Bedeutung für die Praxis

Deckel drauf gemacht

Bereits der BGH hat in dem hier angefochtenen Beschluss (ebenso in NStZ-RR 2022, 286; NStZ 2023, 443) die grundsätzliche Verwertbarkeit von EncroChat-Daten angenommen. Auch der EuGH (NJW 2024, 1723 = StRR 8/2024, 14 [Deutscher]) hat dies aus europarechtlicher Sicht weitgehend zugelassen. Das BVerfG macht mit dem vorliegenden Beschluss endgültig den Deckel auf die Behandlung dieses Themenkreises. In konkreten Fällen kann es daher nur noch um die Abwägung gehen, die bei schweren Straftaten in aller Regel zugunsten der Verwertbarkeit ausfallen wird (zur Verwertbarkeit von EncroChat-Erkenntnissen beim Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nach dem neuen KCanG KG NStZ 2024, 548 = StRR 6/2024, 19 [Hillenbrand]; OLG Hamburg NStZ 2024, 549 = StRR 7/2024, 22 [Hillenbrand]).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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