Unterlassung der Wohnnutzung in Teileigentum
BGH, Urt. v. 16.7.2021 – V ZR 284/19
I. Der Fall
Die Parteien, der Eigentümer einer in Wohnungseigentum aufgeteilten Liegenschaft und die Wohnungseigentümergemeinschaft, streiten um die Unterlassung der Wohnnutzung von Teileigentum. Die Liegenschaft besteht aus zwei Gebäuden, einem Wohnhaus mit acht Einheiten und einer fensterlosen Scheune. Die Teilungserklärung bezeichnete diese als Lagerraum. 2013 ließ der Teileigentümer die Scheune abreißen und errichtete an ihrer Stelle ein Wohnhaus. Durch notarielle Urkunde vom 31.5.2017 beantragte und bewilligte er die Nutzungsänderung von Teil- in Wohnungseigentum. Das Beschwerdeverfahren gegen diese Eintragung ist noch anhängig. Die Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt die Unterlassung, das neu errichtete Gebäude als Wohnraum zu nutzen. Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen Erfolg. Hiergegen richtet sich die vom BGH zugelassene Revision.
II. Die Entscheidung
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Die Klage ist zulässig. Zwar setzte die Ausübung von Unterlassungsansprüchen durch die Wohnungseigentümergemeinschaft nach früherem Recht (§ 10 Abs. 6 S. 3 Halbs. 2 WEG a.F.) deren Vergemeinschaftung durch Beschluss voraus, an der es hier fehlen dürfte.
Die Prozessführungsbefugnis der Wohnungseigentümergemeinschaft ergibt sich jetzt aber kraft Gesetzes. Denn diese übt nach § 9a Abs. 2 WEG die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Ansprüche aus. Zudem ist der an die Stelle von § 15 Abs. 3 WEG a.F. getretene Anspruch in seiner Neuregelung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nach seinem eindeutigen Wortlaut alleine der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugewiesen. Diese Regelungen gelten grundsätzlich auch für bereits laufende Prozesse. Denn eine Übergangsvorschrift, wonach die neuen Regelungen der §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG auf Altfälle keine Anwendung finden sollen, enthält das Gesetz nicht. Anderes folgt insbesondere nicht aus § 48 Abs. 5 WEG, wonach „die Vorschriften des dritten Teils dieses Gesetzes in ihrer bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden“ sind. Denn weder § 9a Abs. 2 WEG noch § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG befinden sich im dritten Teil des WEG.
Die Klage ist aber nicht begründet. Zwar liegt in der Nutzung einer Sondereigentumseinheit entgegen ihrer Zweckbestimmung im Grundbuch grundsätzlich eine Verletzung des Eigentums der übrigen Sondereigentümer, die Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB auslöst. Dem steht die vom Beklagten erwirkte Änderung des Grundbuches nicht entgegen. Denn eine solche Änderung bedarf einer Vereinbarung aller Wohnungseigentümer und grundbuchrechtlich ihrer Bewilligungen nach §§ 19, 29 GBO, sofern eine einseitige Änderung nicht in der Gemeinschaftsordnung vorbehalten ist. Eine solche liegt hier nicht in der Berechtigung nach § 4 XIX der Gemeinschaftsordnung, „beliebige bauliche Veränderungen“ vornehmen zu lassen. Denn diese ist bei naheliegender Auslegung nur auf Umbauten im Rahmen des geltenden Nutzungszwecks beschränkt.
Die Wohnnutzung ist hier aber zulässig, da sie bei typisierender Betrachtung nicht stärker stört als die zulässige Nutzung. Dabei ist davon auszugehen, dass Teileigentum ohne einschränkende Zweckbestimmung jede Nutzung erlaubt, die zulässigerweise ausgeübt werden kann. Das ist hier der Fall. Denn die Bezeichnung als Lagerraum nimmt nur auf die zur Zeit der Aufteilung ausgeübte Nutzung Bezug und soll nur verdeutlichen, welche Räume zu welcher Einheit gehören (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.2019 – V ZR 330/17; ZMR 2019, 425 = ZWE 2019, 268 = GE 2019, 605). In der Konsequenz müsste die Wohnnutzung störender sein als alle denkbaren Nutzungen als Teileigentum, soweit (auch öffentlich-rechtlich) zulässig. Dies folgt nicht schon aus der Entscheidung des Senates vom 23.3.2018 (V ZR 307/16; NJW-RR 2018, 1227). Denn dort bestand die Anlage ausschließlich aus Teileigentum, weshalb eine Wohnnutzung den professionellen Charakter der Anlage gestört hätte. Anderes kann gelten, wenn die Anlage nur aus Wohnungen besteht. Hier kommen Nutzungen etwa als Gaststätte oder Beherbergungsbetrieb in Betracht, die stärkere Geruchs- und Lärmimmissionen verursachen. Zieht man diese hier zulässigen Nutzungen als Vergleich heran, kann eine Wohnnutzung bei typisierender Betrachtung nicht als störender angesehen werden.
III. Der Praxistipp
Die Entscheidung argumentiert überzeugend mit Wortlaut und Systematik des Gesetzes, erscheint aber nicht recht mit der wenige Wochen zuvor ergangenen vereinbar, wonach aus dem Fehlen einer Übergangsvorschrift nicht zu folgern sei, dass auch in Altprozessen ohne weiteres neues Recht anzuwenden ist (BGH, Urt. v. 7.5.2021 – V ZR 299/19; ZWE 2021, 325 m. Anm. Abramenko). Zudem wurde dort damit argumentiert, dass nach der Begründung zu § 48 Abs. 5 WEG Änderungen des Verfahrensrechtes bereits anhängige Verfahren unberührt lassen sollen und auch § 9a Abs. 2 WEG verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme. Eine möglicherweise gravierende Neuerung findet sich etwas versteckt in Rn 20 der Entscheidung, wonach Unterlassungsansprüche nach neuem Recht „zwingend“ von der Wohnungseigentümergemeinschaft geltend zu machen sind. Das deutet darauf hin, dass die bislang für zulässig gehaltene Rückermächtigung einzelner Wohnungseigentümer (BGH v. 24.7.2015 – V ZR 167/14, ZMR 2015, 952=ZWE 2015, 358 Rn 7; ebenso zum neuen Recht Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG – Recht 2021 Kap. 3 Rn 148; Zschieschack, IMR 2020, 487; implizit auch Lübke, ZMR 2021, 101, 102) künftig ausscheidet.
In der Sache erscheint die Auslegung der Gemeinschaftsordnung, die allerdings die frühere Rechtsprechung des BGH fortsetzt, wenig überzeugend. Dass die Bezeichnung einer Einheit als „Lagerraum“ auf die Nutzung zur Zeit der Aufteilung Bezug nimmt, schließt nicht aus, dass diese Nutzung für die Zukunft fortgeschrieben werden sollte. Hinsichtlich der Wohnnutzung von Teileigentum vollzieht der BGH einen klaren Schwenk. Der BGH formulierte noch 2011 selbst: „Es entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Nutzung eines in der Teilungserklärung als Teileigentum und Hobbyraum ausgewiesenen Raums zu (nicht nur vorübergehenden) Wohnzwecken unzulässig ist.“ (BGH v. 16.6.2011 – V ZA 1/11; ZMR 2011, 967). Bei der Entscheidung vom 23.3.2018 (V ZR 307/16; NJW-RR 2018, 1227) handelte es sich also gerade nicht um einen Sonderfall. Mit der nunmehr gegebenen Begründung dürfte umgekehrt die Zulässigkeit der Nutzung von Teileigentum zu Wohnzwecken der Regelfall werden.