In den letzten Monaten ist insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie der in § 128a ZPO erlaubte Einsatz von Video-Verhandlungen bei den Gerichten erheblich gesteigert worden ist, um den Verfahrensbeteiligten vor allem auch das persönliche Erscheinen in beengten Gerichtssälen zu ersparen und alle Bestrebungen dahin gehen, die noch vorhandenen technischen und rechtlichen Restriktionen zu beseitigen und diesen Einsatz weiter auszubauen (vgl. die Beiträge in Ausgabe 1/2021 und 3/2021), kommt jetzt plötzlich unnötiges Störfeuer durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Dies befremdet insbesondere deshalb, weil gerade die Finanzgerichtsbarkeit schon sehr früh und erfolgreich mit dem Einsatz von Videoverhandlungen begonnen hat, um den Verfahrensbeteiligten die oft weite Anreise zu den wenigen Finanzgerichten im Lande zu ersparen.
In seinem in Juris nachzulesenden Beschl. v. 12.5.2021 – IV R 31/18 – hat der Bundesfinanzhof einen Antrag dem Verfahrensvertreter des beklagten Finanzamtes zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung in den Räumen des Finanzamts A aufzuhalten und per Videokonferenz an der Verhandlung teilzunehmen, abgelehnt.
Nach § 121 Satz 1, § 91a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann der BFH den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung ist dann zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer zu übertragen.
Die Entscheidung, ob eine mündliche Verhandlung mittels Videokonferenz durchgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. Hierbei ist insbesondere die Zumutbarkeit des Erscheinens vor Gericht für die Beteiligten zu berücksichtigen, ebenso das Vorliegen der technischen Voraussetzungen für die Durchführung einer Videokonferenz, und es ist zu würdigen, ob wesentliche Belange gegen die Durchführung der Videokonferenz sprechen.
Für die Gestattung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Wege einer Videokonferenz spreche zwar unter den derzeit herrschenden Umständen der Corona-Pandemie zwar das Risiko einer Infektion der Prozessbeteiligten und ihrer Bevollmächtigten und Vertreter während der Reise an den Gerichtsort. Auch könne das Risiko einer Infektion während der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht vollständig ausgeschlossen werden, obwohl der BFH zahlreiche Vorkehrungen zur Vermeidung einer Infektion getroffen hat.
Gleichwohl müsse der Antrag abgelehnt werden, da derzeit die von § 91a Abs. 1 FGO geforderten technischen Voraussetzungen im BFH nicht gegeben seien, um die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an einen anderen Ort und in das Sitzungszimmer zu übertragen und einem Beteiligten im Rahmen der Übertragung die Vornahme von Verfahrenshandlungen zu ermöglichen. Ein Anspruch auf Schaffung der technischen Voraussetzungen ergebe sich aus § 91a FGO nicht.
Zu Unrecht berufe sich das antragstellende Finanzamt auf das BFH-Urt. v. 10.2.2021 – IV R 35/19. Dort wurde die Zulässigkeit einer Beratung und Abstimmung durch die Mitglieder des Senats unter bestimmten Voraussetzungen bejaht. Voraussetzung für dieses gerichtsinterne Abstimmungs- und Entscheidungsverfahren auf Grundlage von § 121 Satz 1, § 52 Abs. 1 FGO, §§ 193 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes ist, dass es technisch auf Grundlage einer gesicherten Datenverbindung erfolgt. Die technischen Voraussetzungen dafür sind im internen Datennetz des BFH durch Übertragungen mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gegeben, so dass dem erforderlichen Geheimnisschutz genügt werden kann.
Im Verhältnis zu externen Teilnehmern einer Übertragung lasse sich eine derart gesicherte Ton- und Bildverbindungen mit den zurzeit vorhandenen technischen Mitteln hingegen nicht herstellen. Dies wäre aber für eine mündliche Verhandlung erforderlich, um insbesondere die unzulässige Teilnahme von Dritten außerhalb des die Öffentlichkeit herstellenden Sitzungsraums zu verhindern.
Bemerkenswert ist, dass es sich – soweit es dem Tatbestand zu entnehmen ist – nicht um ein Verfahren handelte, bei dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen war. Auch stützt der BFH seine Argumentation nicht auf das Steuergeheimnis, aus dem sich besondere Anforderungen gerade für finanzgerichtliche Verfahren herleiten ließen.
Dann aber hätte sich angesichts der Vielzahl von Beschlüssen oberster Bundesgerichte, die eine Videoverhandlung zulassen (und für rechtskonform durchführbar erachten, auch wenn die je eingesetzten Systemen keine Ende zu Ende-Verschlüsselung erlauben), zumindest eine Begründung aufgedrängt, aus welchen Gründen der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe nicht anzurufen war. Denn für die vom BFH aufgestellten technischen Hürden gibt es keinerlei Stütze im Gesetz.
Zudem ist die Entscheidung sehr problematisch, weil sie die Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips für das gerichtliche Verfahren missachtet. Letztlich trifft die Prämisse des BFH nicht zu, dass es keine Videokonferenzsysteme mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebe. Es gibt neben dem US-Anbieter Zoom auch Anbieter aus der EU.