Bereits vor rund drei Jahren hatte das BVerfG die Höhe der Zinsen für Steuernachforderungen des Finanzamts geprüft und für verfassungswidrig erklärt. Der seinerzeit erhobene typisierte Zinssatz von 6 % pro Jahr sei zumindest seit 2014 „evident realitätsfern“, urteilten die Karlsruher Richter. Denn nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 habe sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt (BVerfG, Beschl. v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14). Mit dieser Entscheidung zur sog. Vollverzinsung hatte das Verfassungsgericht aber noch offengelassen, wie es um weitere steuerrechtlich relevante Zinssätze steht, etwa die sog. Aussetzungszinsen.
Diese möchte nun der Bundesfinanzhof ebenfalls auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand sehen und hat die Frage kürzlich in Karlsruhe vorgelegt. Der sog. Aussetzungszinssatz kommt zur Anwendung, wenn das Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Steuerbescheids angeordnet hatte, etwa weil ihm – nach einem Widerspruch oder einer Klage des Steuerpflichtigen – selbst Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuererhebung gekommen sind. Erweist sich der Steuerbescheid später als richtig, werden für den Steuerpflichtigen für die Dauer der Vollziehungsaussetzung Zinsen i.H.v. 0,5 % pro Monat fällig (§ 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO). Die Höhe dieses Zinssatzes hält der Bundesfinanzhof für viel zu hoch und auch aus Gleichheitsgründen für nicht geboten; mit Beschl. v. 8.5.2024 (VIII R 9/23) hat er deshalb das BVerfG angerufen.
Nach Auffassung der obersten Finanzrichter ist ein Zinssatz für die Zinsen bei AdV i.H.v. 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr gem. § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO, auch im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 – darum geht es in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit – mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase sei der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen, argumentieren die Richter.
Zudem würden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt hätten, und Steuerpflichtige, die sog. Nachzahlungszinsen entrichten müssten, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt habe und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssten, ungleich behandelt. Denn Nachzahlungszinsen würden seit dem 1.1.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % für jeden Monat, also 1,8 % p.a., berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das letzte Wort in dieser Sache hat nun das BVerfG.
[Quelle: BFH]