Das haben wir schon immer so gemacht.
Das haben wir noch nie so gemacht.
Da könnte ja jeder kommen!
Das Mantra bürokratischer Strukturen war im deutschen Mittelstand und in der Verwaltung lange Zeit Trumpf. Statt zu überlegen, wie man Prozesse digital optimieren und neue Arbeitsmethoden gewinnbringend implementieren kann, wurde das Haar in der Suppe gesucht; statt Chancen zu erkennen, wurden Risiken betont. Und der exotische Wunsch nach “Homeoffice”? Der wurde von vielen Chefs mit einem müden Lächeln quittiert und mit Verweis auf technische bzw. organisatorische Gegebenheiten weggewischt. Die Skepsis gegenüber der Digitalisierung korrelierte dabei – wenig erstaunlich – mit einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber Themen wie Homeoffice und remote work. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Oh, Homeoffice funktioniert ja!
DANN KAM CORONA, krempelte alles auf links und führte in vielen Firmen zu der Erkenntnis: Homeoffice funktioniert! Natürlich gab und gibt es Reibungspunkte: Führung und Prozesse müssen neu gedacht werden, der Kaffeeküchen-Plausch fehlt ähnlich stark wie eine adäquate technische Ausstattung oder der ergonomische Arbeitsplatz; und hin und wieder laufen Katzen oder Kleinkinder durch den Video-Call. Doch es zeigte, allen Widrigkeiten zum Trotz: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und den Skeptikern fiel die Argumentationsgrundlage weg.
Krise bewältigt? Alle zurück ins Büro!
Nach rund zwei Jahren Pandemie ist Präsenzkultur ohne betriebliche Gründe ein Auslaufmodell, könnte man meinen. Doch es droht der Backlash. Nach der Krise sollen alle mal schön wieder ins Büro kommen, hört man oft. Und die Mitarbeiter fragen sich zu Recht: Warum? Wollen Chefs ihre Mitarbeiter etwa nach bloßer Anwesenheit bewerten? Irritierender Gedanke. Im Büro werde schließlich nicht getrödelt? Naive Vorstellung. Ein Chef ist schließlich kein Feldherr, der regelmäßig durch die Büros wie über seine Ländereien reitet, schaut, dass Alles seine Ordnung hat und die Untertanen brav ihrer Arbeit nachgehen. Viele Vorgesetzte sind jedoch auch nach zwei Jahren noch tief verunsichert und offenbaren ein von Misstrauen geprägtes Menschenbild, sobald sie “ihre” Angestellten nicht kontrollieren können.
Revolutionärer Gedanke: Den eigenen Mitarbeitern einfach mal vertrauen
Ein moderner Ansatz wäre es, seinen Mitarbeitern erstmal zu vertrauen. Man sollte schließlich die produktive Mehrheit nicht einschränken, nur weil Einzelne die Homeoffice-Option (möglicherweise!) ausnutzen oder von vornherein nicht nutzen wollen. Denn: Wie fühlen sich Mitarbeiter, denen kein Gestaltungsspielraum eingeräumt, sondern vielmehr Misstrauen entgegengebracht wird? Schürt das Loyalität? Wohl kaum.
Wenn Chefs ihre Angestellten zurückpfeifen und behaupten, sie würden im Büro effektiver arbeiten, ist das eine top-down-Anordnung. Hierarchisch. Buchstäblich von oben herab. Nicht auf Augenhöhe. Ähnlich verhält es sich mit Betriebsvereinbarungen, die vorschreiben, die Angestellten müssten an bestimmten Tagen ins Büro kommen. Falls das organisatorisch notwendig ist, ok. Doch teils wird aus Prinzipbetont, man könne ja nicht die ganze Zeit im Homeoffice sitzen. Dabei werden dann alle über einen Kamm geschert. Doch de facto ist es so: Viele können durchaus länger von zuhause arbeiten, müssen es aber nicht. Hier bedarf es einer neuen Flexibilität, denn es ist ganz individuell, wer warum wo wann gut arbeitet</strong>; und das ändert sich mit der Zeit auch durchaus mal.
Und wenn einzelne Kollegen partout nur ins Büro wollen, ist das auch legitim. Doch wenn diese kleine Minderheit zugleich lautstark gegen mehr Flexibilität und Homeoffice (und damit gegen die Interessen einer Mehrheit der Kollegen) wettert, sollte man sich deren Agenda näher anschauen: Haben sie vielleicht zuhause keine Ruhe, müssen Kids im Homeschooling betreuen oder wollen ihre Mittagspause ungern allein verbringen? Haben sie Probleme, zuhause auch tatsächlich Feierabend zu machen oder brauchen sie die feste Struktur eines Büros? Das sind jeweils nachvollziehbare Argumente, im Büro zu arbeiten, doch es sind zugleich auch alles individuelle Befindlichkeiten Einzelner und keine Gründe, Anderen das Homeoffice-Konzept abzusprechen.
Ob im Büro oder zuhause: Sie haben die freie Wahl!
Das Schwarz-Weiß-Denken bremst. Es geht doch nicht um nur Büro oder nur Homeoffice, sondern es wird auf einen Mix hinauslaufen. Hinzu kommen langfristig noch “dritte Arbeitsorte” wie z.B. Coworking-Spaces, der Großraumwagen im ICE oder der heimische Garten. Arbeitnehmer sollten dabei – soweit möglich – die Wahl haben. Das bedeutet nicht, dass es keine Strukturen und Prozesse mehr gibt und jede(r) nach Wildwest-Manier kommt, geht und arbeitet, wann und wo er/sie will. Doch sofern es sich technisch und organisatorisch umsetzen lässt, sollte nicht allein der Arbeitgeber entscheiden, wann die Angestellten zuhause und wann im Büro arbeiten. Hier sind Hierarchien abzubauen und Augenhöhe aufzubauen. Für Loyalität und Produktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es wichtig, genauer hinzuschauen und sie nicht als bloße Arbeitskräfte zu sehen. Insbesondere Eltern oder chronisch Kranke werden den Zuwachs an örtlicher und zeitlicher Flexibilität begrüßen, weil die Abkehr von starrem Anwesenheitszwang und einer Nine-to-Five-Mentalität ihnen das Leben erleichtert.
Ein Rezept gegen Fachkräftemangel? Zufriedenheit und Loyalität!
Die Pandemie, der Fachkräftemangel, die seit Jahren durch Umfragen (Gallup Engagement Index) belegte Unzufriedenheit von Angestellten sowie die Ansprüche der Generationen Y und Z machen es notwendig, Arbeit neu zu denken. Es bedarf flexibler Arbeitsmodelle und Arbeitsplätze sowie eines neuen Verständnisses von Führung. Die Zukunft heißt nicht Homeoffice, sondern remote work, also ortsunabhängiges Arbeiten. Homeoffice ist nur ein Zwischenschritt. Wer nicht am ergonomisch eingerichteten Home-Arbeitsplatz, sondern im Schneidersitz und Laptop auf der Couch sitzt, arbeitet ja quasi schon remote.
“Homeoffice” aus dem Garten der Eltern, bei Kaffee und Kuchen unter’m Apfelbaum? Das ist vielen Chefs und einigen Kollegen auch im Jahr 2022 noch suspekt. Arbeit ist doch kein Wohlfühlprogramm! Was ist denn, wenn alle faulenzen?, sagen sie. Gegenfrage: Was wäre denn, wenn plötzlich die Produktivität enorm wächst, weil die Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen, ihr Arbeitsleben mitgestalten können und dadurch zufriedener und gesünder sind?