Auf eine interessante Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Reichweite des anwaltlichen Schweigerechts hat die Bundesrechtsanwaltskammer aufmerksam gemacht. Danach gibt es keine zeitliche Begrenzung für das Zeugnisverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.7.2025 – 12 W 5/25).
Zugrunde lag der Entscheidung des OLG eine Reihe miteinander in Zusammenhang stehender Insolvenzverfahren. Im Vorfeld dieser Insolvenzverfahren hatte der betroffene Anwalt Vertragsverhandlungen bei der Übernahme einer GmbH durch eine andere GmbH begleitet. Mandatiert wurde er zwar von einer Holding, die die Muttergesellschaft einer dieser Gesellschaften war, tätig wurde er im Rahmen der Übernahmeverhandlungen aber auch für deren GmbH. Nachdem sämtliche beteiligten Unternehmen insolvent gegangen waren und auch die Holdinggesellschaft bereits liquidiert wurde, erhob der Insolvenzverwalter der verkauften Firma Klage gegen den Insolvenzverwalter der Firma, die diese ursprünglich übernommen hatte. Im Rahmen dieses Prozesses sollte der Anwalt jetzt als Zeuge über die Vertragsverhandlungen aussagen. Er berief sich diesbezüglich allerdings auf seine anwaltliche Schweigepflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO) und sein damit einhergehendes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).
Zu Recht, wie das OLG Düsseldorf jetzt feststellte. Das Zeugnisverweigerungsrecht des Berufsgeheimnisträgers bestehe – vorbehaltlich einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht – zeitlich unbegrenzt; es ende insb. nicht durch die Beendigung des Auftrags- oder sonstigen geschützten Vertrauensverhältnisses. Unter die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwaltes falle nach § 43a Abs. 2 BRAO alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekannt geworden sei, ohne dass es darauf ankomme, von wem und auf welche Weise er sein Wissen erworben habe. Umfasst seien alle Tatsachen, die eine Beziehung zur Mandantin hätten, auch wenn die Mandantin sie ihm nicht persönlich anvertraut habe. Aus diesem Grund spiele auch keine Rolle, dass der Anwalt nicht von der in Frage stehenden GmbH, sondern von deren Holding-Gesellschaft mandatiert worden sei: Das Beweisthema – der Inhalt der seinerzeitigen Verträge – sei ohne Weiteres geeignet, die Interessen auch seiner damaligen Mandantin unmittelbar zu beeinträchtigen. Schließlich teile eine Muttergesellschaft die wirtschaftlichen Interessen ihrer Tochtergesellschaft unmittelbar und sei zudem etwaigen Schadensersatzansprüchen von deren Seite ausgesetzt.
Auch auf eine weitere juristische Streitfrage ging der Senat ein: In Rspr. und Lit. ist derzeit umstritten, ob das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten einer juristischen Person fortbesteht, wenn diese bereits vollständig beendet ist. Manche Gerichte haben in der Vergangenheit Konstellationen herausgearbeitet, in denen ein Erlöschen der Schweigepflicht angenommen wird, etwa wenn kein schützenswertes (wirtschaftliches) Interesse an einer Geheimhaltung mehr erkennbar ist. Die Frage mussten die Richter allerdings nicht beantworten, denn auch für solche Ausnahmekonstellationen wird stets vorausgesetzt, dass die betroffene Gesellschaft vollständig vermögenslos und rechtlich endgültig erloschen ist. Dies sei hier, da die Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen und zudem Schadensersatzansprüche gegen die Holding nicht ausgeschlossen seien, nicht der Fall.
Am Ende kam es deshalb auf eine Befreiung des Rechtsanwalts seitens der damaligen Mandantin an. In einem Insolvenz- bzw. Liquidationsverfahren, so führt das OLG Düsseldorf aus, gehe das Recht auf Entbindung des Rechtsanwalts von der Schweigepflicht auf den jeweiligen Verwalter über. Dies wäre im vorliegenden Fall der Nachtragsliquidator der Holding; dieser habe aber keine entsprechende Entbindung erklärt.
[Red.]