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© Dusan Petkovic | Adobe Stock

Die fehlende qualifizierte Signatur – der BGH kann auch „anders“ und weist die Gerichte auf ihre prozessuale Fürsorgepflicht hin

Dass es erforderlich ist, einen Schriftsatz qualifiziert zu signieren, um die Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen, wenn er aus einem „fremden“ beA-Postfach heraus versendet, ist hinreichend bekannt: Denn stimmt das Absenderpostfach nicht mit der einfachen Signatur überein, kann der Empfänger nicht erkennen, von wem das Dokument tatsächlich stammt. Passiert solch ein „Lapsus“ bei fristgebundenen Schriftsätzen, ist das in der Regel verheerend: Der Schriftsatz gilt – weil formunwirksam – als nicht eingereicht, eine Verjährung würde nicht gehemmt, Vortrag wäre als verspätet zurückzuweisen oder aber ein Rechtsmittel ginge sogar gänzlich verloren.

Hier ist also (immer) Vorsicht geboten.

 

Wenn der Formfehler passiert

Doch passiert einmal ein solcher Fall, ist nicht zwingend immer „der Ofen aus“: Der BGH hat nämlich nunmehr entschieden (BGH, Beschluss vom 20.08.2025, VII ZB 16/24), dass insoweit auch die Gerichte in die Pflicht genommen werden. Reagieren die Gerichte nicht, obwohl sie (zeitlich) könnten, ist das Verschulden nicht dem Prozessbevollmächtigten zuzurechnen mit der Folge, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch erfolgreich sein wird.

 

Der konkrete Fall vor dem BGH

Was war passiert?

Der Klägervertreter legte einen Tag nach der Zustellung des für ihn ungünstigen Urteils Berufung ein und versandte die Berufungsschrift – allerdings nur mit einfacher Signatur – aus dem beA-Postfach eines Kollegen. Das Gericht bestätigte den Eingang. Nicht mehr und nicht weniger. Nach mehreren Monaten (die Berufungsfrist wurde verlängert), meldete sich der Berufungsbeklagte und rügte die Verfristung wegen Verletzung der gesetzlichen Formvorschriften. Während die Berufungsinstanz die fristgerechte Einlegung der Berufung (nur) wegen Formmangels verneinte und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückwies, schloss der BGH  im Rahmen der Rechtsbeschwerde ein Verschulden des Klägervertreters aus.

Zwar hält der BGH – richtigerweise – an seiner Auffassung fest, dass ein aus einem besonderen elektronischen Postfach versandtes und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument eine Übereinstimmung von der das Dokument signierenden Person und dem tatsächlichen Absender vorweisen muss; allerdings weist er in diesem Beschluss zugleich darauf hin, dass die Partei einen Vertrauensschutz genießt: Denn die Regel sollt sein, dass die bei Gericht eingehenden Schriftsätze „alsbald nach ihrem Eingang“ zur Kenntnis genommen werden, und zwar so, dass offensichtliche äußere formale Mängel entdeckt werden, auf die der Versender hinzuweisen ist. Denn gerade durch den stets beigefügten Transfervermerk und des vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises besteht eine einfache Prüfungsmöglichkeit ohne großen Zeitaufwand. Hierbei spielt natürlich eine Rolle, ob der Hinweis im „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ so rechtzeitig möglich ist, dass die Partei die Frist noch wahren könnte.

 

Die prozessuale Fürsorgepflicht der Gerichte

Der BGH lässt die beA-Nutzer nicht (mehr) ganz allein. Vielmehr nimmt er die Gerichte – speziell: die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – in die Pflicht und legt Ihnen die „Bürde“ auf, stets und zeitnah abzuprüfen, ob die Person, die das elektronische Dokument signiert hat, mit derjenigen identisch ist, die Inhaberin des beA-Postfachs ist. Ist dies nicht der Fall, ist der Versender hierauf hinzuweisen, damit dieser – sofern zeitlich noch möglich – den Fehler beheben kann.

 

Der Zeitrahmen für den ordnungsgemäßen Geschäftsgang

Dabei hat der BGH auch „den ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ mit einem Zeitrahmen definiert, innerhalb dessen die Prüfung und der Hinweis zu erfolgen haben. Hierbei ist auf eine Verhältnismäßigkeit zwischen der begründeten Fürsorgepflicht und der zusätzlichen Belastung der Gerichte abzustellen, sodass eine generelle Pflicht zur sofortigen Prüfung nicht gefordert werden kann, lediglich eine alsbaldige. Aber eine äußerliche Prüfung des Transfervermerks sollte in einem Zeitraum von 10 bis 12 Tagen durchaus möglich sein. Unterlässt das Gericht innerhalb dieses Zeitrahmens den Hinweis zum offensichtlichen (Form-)Fehler, ist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.

 

Die praktische Relevanz

Für die anwaltliche Praxis bedeutet die Entscheidung: Formale Fehler bei der Signatur im beA sind zwar nach wie vor ein Risiko, führen aber nicht automatisch zum Rechtsverlust. Wichtig ist, Wiedereinsetzung zu beantragen, wenn das Gericht einen offensichtlichen Formmangel nicht rechtzeitig gerügt hat. Aber: Es ist immer die sicherste Strategie, Schriftsätze qualifiziert zu signieren bzw. die „Postfachidentität“ mit der einfachen Signatur abzugleichen. Wer diese Sorgfalt beachtet, muss sich auf die Fürsorgepflicht der Gerichte im Ernstfall nicht verlassen.

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