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Zeugnisverweigerungsrecht des behandelnden Arztes aus dem Maßregelvollzug?

Es besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes hinsichtlich solcher Tatsachen, die er im amtlichen Auftrag anlässlich einer strafprozessual angeordneten Untersuchung wahrgenommen oder ermittelt hat, zu deren Duldung der Untersuchte verpflichtet gewesen ist.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 10.3.20255 StR 682/24

I. Sachverhalt

Verfahrensrüge der Verletzung von § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die er mit Verfahrensrügen begründet hat. Diese hatten keinen Erfolg. U.a. hatte der Angeklagte eine Verletzung von § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO durch Verwertung der zeugenschaftlichen Angaben des den Angeklagten im Maßregelvollzugs behandelnden Arztes gerügt.

Verfahrensgeschehen

Der Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Angeklagte war in dem Verfahren nach § 126a Abs. 1 StPO einstweilig in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Unterbringung wurde im Krankenhaus des Maßregelvollzugs vollzogen. Der den Angeklagten dort behandelnde Arzt wurde für den fünften Hauptverhandlungstag geladen, um – zusätzlich zu einem gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen – von der psychischen Verfassung des Angeklagten und dem Behandlungsverlauf zu berichten. Vor seiner Vernehmung widerrief der Angeklagte eine zuvor von seiner Betreuerin den Behandlern erteilte Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht. Der Vorsitzende wies den zu vernehmenden Arzt nach Erörterung der Sach- und Rechtslage darauf hin, dass er nach Auffassung der Strafkammer keiner Schweigepflicht unterliege; der Zeuge möge prüfen, ob er diese Auffassung teile. Die daraufhin von dem Arzt gemachten Angaben hat das LG gegen den Widerspruch der Verteidigung für seine Urteilsfindung verwertet.

II. Entscheidung

Rüge unbegründet

Die Rüge sei – so der BGH – unbegründet. Der Vorsitzende habe durch seinen Hinweis an den Arzt nicht mittels unzutreffender Belehrung auf dessen Entschlussfreiheit eingewirkt (vgl. BGH, Urt. v. 7.4.2005 – 1 StR 326/04, BGHSt 50, 64, 79; KK-StPO/Bader, 9. Aufl. 2023, § 53 Rn 56 m.w.N.), denn dem Behandler habe kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zugestanden.

Arzt im amtlichen Auftrag anlässlich einer strafprozessual angeordneten Untersuchung

Zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO oder der Gutachtenerstattung nach §§ 76 Abs. 1 S. 1, 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO sei ein Arzt hinsichtlich solcher Tatsachen nicht berechtigt, die er im amtlichen Auftrag anlässlich einer strafprozessual angeordneten Untersuchung (vgl. etwa §§ 81, 81a StPO) wahrgenommen oder ermittelt hat, zu deren Duldung der Untersuchte verpflichtet gewesen sei (vgl. BGH, Beschl. v. 6.12.2001 – 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214, 215; v. 21.10.2008 – 1 StR 536/08, NStZ-RR 2009, 15; MüKo-StPO/Kreicker, 2. Aufl., § 53 Rn 31; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 53 Rn 120 m.w.N.). Eine solche, die erforderliche Zustimmung zur Preisgabe von Geheimnissen nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO ersetzende Duldungspflicht enthalte auch die Anordnung der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 126a Abs. 1 StPO (BGH, Beschl. v. 6.12.2001 – 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214, 215; vgl. auch Kangarani, StraFo 2014, 101), denn sie diene zugleich der Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens und mache deshalb eine zusätzliche Anordnung nach § 81 StPO überflüssig (BGH a.a.O.; LR/Krause, StPO, 27. Aufl., § 81 Rn 5; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl. 2023, § 81 Rn 2 jeweils m.w.N.). Dies gelte – entgegen der Auffassung der Revision – nicht nur in den Fällen, in denen der Behandler im Erkenntnisverfahren zum Sachverständigen bestellt werde, sondern auch, wenn – wie hier – ein externer Sachverständiger bestellt werde. Im Einzelnen:

Vorrang des staatlichen Interesses an einer bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts

Das staatliche Interesse an einer bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts gehe insoweit dem Geheimhaltungsinteresse des nach § 126a Abs. 1 StPO Untergebrachten vor, weil das Gericht für die von ihm zu treffenden Entscheidungen auf vollständige Informationen der Ärzte zum psychischen Zustand und zum Behandlungsverlauf angewiesen sei. Nur auf dieser Grundlage könne es eine Entscheidung über die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB sowie über die Notwendigkeit ihrer Vollstreckung nach § 67b Abs. 1 StGB treffen (vgl. MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn 113 m.w.N.). So sei das Schweigerecht der Ärzte im Maßregelvollzug nach § 463 Abs. 4 S. 1 StPO auch gegenüber der zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67e StGB berufenen Strafvollstreckungskammer eingeschränkt (vgl. BT-Drucks 18/7244, S. 36 f., 51; Kröber, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, Bd. 10, 2016, S. 80 ff.; OLG Hamm, Beschl. v. 10.7.2018 – 3 Ws 272/18; wohl auch Geyer/Haussmann/Steinböck/Tilmann, NStZ 2017, 185, 191; offengelassen, aber das Aufklärungsinteresse betonend, zu § 463 StPO a.F. BVerfG, Beschl. v. 22.1.2015 – 2 BvR 2049/13 u.a., StV 2018, 309 Rn 39; vgl. auch Schöch, in: FS-Kreuzer, 2. Aufl., S. 731, 741). Für die über die Anordnung der Unterbringung initial entscheidende Strafkammer könne kein geringeres Informationsbedürfnis angenommen werden. Hinzu komme, dass die Strafkammer nach Anklageerhebung gemäß §§ 126a Abs. 2 S. 1, 126 Abs. 2 S. 1 StPO zugleich auch die Freiheitsentziehung nach § 126a Abs. 1 StPO zu verantworten habe und nur auf der Grundlage von aktuellen und vollständigen Informationen seitens der Behandler zum psychischen Zustand und zum Behandlungsverlauf das weitere Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen fortlaufend prüfen kann.

Nichtbestellung als weiterer Sachverständiger unerheblich

Habe der Arzt danach gegenüber der Strafkammer hinsichtlich seiner Wahrnehmungen während der einstweiligen Unterbringung keiner Schweigepflicht unterlegen, komme es nicht darauf an, dass diese ihn nicht als weiteren Sachverständigen bestellt (vgl. zur fehlenden Schweigepflicht bei nachträglicher Bestellung des Stationsarztes zum Sachverständigen BGH, Beschl. v. 6.12.2001 – 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214), sondern lediglich als Zeugen hierzu vernommen habe. Das Fehlen der Schweigepflicht in Fällen wie dem vorliegenden ergebe sich – wie dargelegt – aus der Tätigkeit des Arztes im Rahmen der einstweiligen Unterbringung und hänge nicht davon ab, in welcher Form er hierzu innerhalb oder außerhalb einer Hauptverhandlung zu berichten habe.

III. Bedeutung für die Praxis

Der BGH bestätigt seine Rechtsprechung aus früheren Verfahren (vgl. die o.a. Zitate) und erweitert sie: Sie gilt danach nicht nur für die Fälle, in denen der Behandler im Erkenntnisverfahren zum Sachverständigen bestellt wird, sondern auch, wenn – wie hier – ein externer Sachverständiger bestellt worden ist. M.E. überzeugt die Begründung, dass das staatliche Interesse an einer bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts Vorrang habe gegenüber einem etwaigen Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen. Denn auch diesem muss daran gelegen sein, nur aufgrund einer vollständigen und zutreffenden Tatsachenbasis untergebracht zu werden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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