Beitrag

Bemessung der Rahmengebühren in einem Verfahren wegen Unfallflucht

1. Zur Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

2. Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG fällt in Höhe der jeweiligen Mittelgebühr an.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Heilbronn, Beschl. v. 7.1.20251 Qs 11/23

I. Sachverhalt

Verteidiger erreicht Einstellung

Das AG hat am 27.12.2021 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erlassen. Gegen diesen legte der als Wahlverteidiger tätige Verteidiger Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Anschließend nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 22.2.2022 zu dem Tatvorwurf Stellung und regte eine Einstellung des Verfahrens an. Darauf erwiderte die Staatsanwaltschaft am 28.2.2022. Bis zum 8.3.2022 führte der Verteidiger dann weitere Telefonate mit dem zuständigen Strafrichter. Sodann übersandte er am 8.3.2022 eine weitere schriftliche Stellungnahme und regte darin abermals eine Verfahrenseinstellung an, wobei er den Sachverhalt nach Aktenlage würdigte. Nach telefonischer Rücksprache des Strafrichters mit der zuständigen Amtsanwältin der Staatsanwaltschaft Heilbronn stimmte diese einer Einstellung des Verfahrens zu, woraufhin das Verfahren am 9.3.2022 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Mit Schriftsatz vom 18.3.2022 beantragte der Verteidiger die Festsetzung seiner Gebühren, jeweils in Höhe der Mittelgebühr. Das AG setzte die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten nur gekürzt, und zwar um 30 % unterhalb der Mittelgebühren fest. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte nur teilweise Erfolg.

II. Entscheidung

Nr. 4106 VV RVG

Das Rechtsmittel habe lediglich mit seinen Einwendungen gegen die Absetzungen Erfolg, die im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG vorgenommen worden seien. In Anbetracht der anwaltlichen Tätigkeiten, die im Beschwerdeverfahren vorgetragen worden seien und die in den Abgeltungsbereich dieser Gebühren fallen, erscheine in der Gesamtschau mit den für die Bestimmung der Gebührenhöhe maßgeblichen Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG der geltend gemachte Ansatz der sog. Mittelgebühr in Höhe von jeweils 181,50 EUR als angemessen und nicht als unbillig erhöht i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Der Verteidiger habe im Vorfeld der Hauptverhandlung zweimal zur Sache Stellung genommen und mehrere Telefonate geführt. Da die Staatsanwaltschaft der ersten Einstellungsanregung zunächst entgegengetreten sei, habe es eines zweiten Schriftsatzes mit einer ergänzenden Stellungnahme bedurft, um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO einzuholen. Zusätzlich sei eine Besprechung mit dem Angeklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers erforderlich.

Nr. 4141 VV RVG

Die Höhe der Gebühr Nr. 4141 VV RVG für die anwaltliche Mitwirkung zur Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung richte sich nach der Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG.

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG

Demgegenüber hatte die sofortige Beschwerde keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Absetzung bei der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG gerichtet hat. Die vom AG insoweit getroffene Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen sei nicht zu beanstanden. Die Mittelgebühr, die im Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht worden sei, sei ausgehend von der nach § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmenden Gesamtwürdigung, die anhand der vergütungsrelevanten Umstände zu erfolgen habe, als unbillig erhöht anzusehen und damit unverbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Die Absetzung des AG in Höhe von 30 %, wodurch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG im Ergebnis auf 154 EUR festgesetzt wurde, sei angemessen.

Unterdurchschnittliche Einordnung

Denn es sei zu sehen, dass die maßgeblichen Bemessungskriterien nahezu allesamt für eine deutlich unterdurchschnittliche Einordnung sprechen. Im Bereich der allgemein für alle Gebühren zu berücksichtigenden Aspekte spreche lediglich der Gesichtspunkt der Bedeutung, den die Angelegenheit für den Angeklagten hatte, für eine durchschnittliche, aber eben auch keine überdurchschnittliche Einordnung. Denn vorliegend standen eine nicht unerhebliche Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot im Raum. Es drohten zudem Schadensersatzpflichten auf zivilrechtlicher Ebene. Andererseits war aber weder mit einer Freiheitsstrafe noch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Zudem habe es sich bei dem Angeklagten auch nicht um eine bislang noch nicht vorbestrafte Person gehandelt, sondern gegen ihn seien bereits früher Geldstrafen wegen nicht einschlägiger Delikte verhängt worden. Auch die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit der Sache sei in der Gesamtschau als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen, da es maßgeblich auf die Fahrereigenschaft des Angeklagten angekommen sei. Die maßgebliche Frage des Tatnachweises habe sich nur auf ein einziges Beweismittel stützen lassen. Ferner sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Einkommensverhältnisse des Angeklagten als unterdurchschnittlich einzustufen seien. Zudem sei auch der Umfang der Sache, den diese allgemein und insbesondere zum Zeitpunkt der Einarbeitung gehabt habe, als unterdurchschnittlich einzuordnen. Denn die Akte habe zum Zeitpunkt der Akteneinsicht lediglich 38 Blatt umfasst und damit einen sehr geringen Umfang gehabt. Sie enthalte nur wenige Beweismittel. Soweit in der Beschwerdebegründung eine durchschnittliche Einarbeitung geltend gemacht werde, sei dies aus den oben genannten Gründen und insbesondere auch im Hinblick auf die geringe Schwierigkeit der Sache nicht nachvollziehbar.

III. Bedeutung für die Praxis

Zeitablauf macht sprachlos

1. Vorab: Wenn man die oben dargestellten Daten zur Kenntnis genommen hat, ist man sprachlos. Man mag den Zeitablauf nicht glauben: Die Rechtspflegerin braucht zehn Monate (sic!), um über den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers zu entscheiden, und die große Strafkammer dann vom 30.1.2023 bis zum 7.1.2025 – ja, fast zwei Jahre (sic!), um über die sofortige Beschwerde zu entscheiden. Man fragt sich, warum man für die paar Sätze zur Begründung in einer durchschnittlichen Sache so lange braucht. Will man nicht oder kann man nicht? Letztlich hat es eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Verteidigers, wie dieser auf Anfrage mitgeteilt hat, gebraucht, um die Strafkammer dann endlich zur Erledigung des Verfahrens zu bringen. Ich frage mich, warum der Verteidiger nicht mit der Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG, die auch im Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar ist, vorgegangen ist. Die hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt, denn das OLG Karlsruhe (Urt. v. 16.10.2018 – 16 EK 10/18, AGS 2019, 556) hat ein Kostenfestsetzungsverfahren von sieben Monaten nur aufgrund der besonderen Umstände, die ich hier nicht sehe, als angemessen angesehen. Für das OLG Oldenburg (Urt. v. 27.5.2020 – 15 EK 3/19, MDR 2020, 1250) und das OLG Zweibrücken (Urt. v. 26.1.2017 – 6 SchH 1/16 EntV, NJW 2017, 1328) waren hingegen sieben Monate für ein Kostenfestsetzungsverfahren zu lang (zur mit 18 Monaten unangemessenen Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens a. noch BVerfG, Beschl. v. 11.12.2023 – 2 BvR 739/17 – Vz 5/23, NJW 2024, 1331). Man kann Verteidigern nur raten, in vergleichbaren Fällen nicht lange zu fackeln, sondern Verfahrensrüge zu erheben und dann später klageweise eine Entschädigung geltend zu machen. Vielleicht hält das die Gerichte zu einer zeitlich angemessenen Erledigung von (Kostenfestsetzungs-)Verfahren an.

2. Man könnte mit der Trödelei des LG ja noch leben, wenn dann die getroffene Entscheidung wenigstens zutreffend wäre. Aber das ist leider teilweise nicht der Fall.

Nrn. 4106, 4141 VV RVG

a) Zutreffend ist die Festsetzung der Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr der Nr. 4104 VV RVG. Zu Letzterem verwundert es dann, dass die Rechtspflegerin diese Gebühr offenbar unterhalb der Mittelgebühr festgesetzt hatte. Das widerspricht dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift und der darauf hinweisenden h.M. in der Rechtsprechung (u.a. KG JurBüro 2012, 466; LG Dresden RVGreport 2010, 454; LG Köln, Beschl. v. 24.9.2020 – 120 Qs 60/20; LG Saarbrücken AGS 2015, 511; AG Hamburg AGS 2006, 439; AG Stuttgart VRR 2008, 400 = AGS 2008, 547; AG Viechtach AGS 2007, 84; AG Waldbröl RVGreport 2016, 371; AG Weilburg AGS 2007, 561). Zu der Frage gibt es zwar auch andere Entscheidungen, allerdings ohne nähere Begründung für die abweichende Ansicht (OLG Stuttgart AGS 2010, 292; LG Berlin, Beschl. v. 22.3.2012 – 517 Qs 5/12; LG Leipzig AGS 2010, 19; LG Oldenburg AGS 2011, 598; AG Viechtach/LG Deggendorf AGS 2005, 504; AG Heidelberg AGS 2016, 273; AG Neustadt an der Weinstraße JurBüro 2014, 531).

Nr. 4100 VV RVG

b) Unzutreffend ist die Entscheidung der Strafkammer allerdings hinsichtlich der Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG um 30 % unter der Mittelgebühr. Das ist nicht nachvollziehbar und wird durch die Begründung der Strafkammer nicht getragen. Die Begründung spricht vielmehr eindeutig für die vom Verteidiger (nur) angesetzte Mittelgebühr, wenn nicht sogar für deren Überschreitung. An gebührenmindernden Umständen verweist die Strafkammer auf den geringen Umfang der Akten zum Zeitpunkt der Einarbeitung, die Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die einfache rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit, wobei ich bei den mitgeteilten Verfahrensumständen aber erhebliche Zweifel habe. Alle anderen Umstände sind zumindest durchschnittlich, sodass der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen wäre. Das gilt vor allem auch für die Frage der Bedeutung der Angelegenheit für den Angeklagten. Insoweit bleibt es nämlich das Geheimnis der Strafkammer, warum der Umstand, dass der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist, für eine unterdurchschnittliche Einordnung sprechen soll. Das Gegenteil ist der Fall. Und das Verfahren muss auch nicht überdurchschnittlich bedeutsam sei, sondern Durchschnitt reicht für die Mittelgebühr (vgl. zu den Rahmengebühren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1747 ff.).

Fazit

3. Alles in allem: Überdurchschnittlich unzutreffend.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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