1. Die Eröffnung des Tatvorwurfs an den Beschuldigten setzt einen förmlichen Akt der Strafverfolgungsbehörden voraus, es genüg nicht, dass der Betroffene auf sonstige Art und Weise von einem Tatverdacht Kenntnis erhält. Regelmäßig wird der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft i.S.v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO durch die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens manifestiert.
2. Zur Frage, ob und wann in der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger die Eröffnung des Tatvorwurfs an den Beschuldigten zu sehen ist.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Sachverhalt
Ermittlungsverfahren wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls
Gegen den ehemaligen Beschuldigten und drei weitere Beschuldigte wurde ein Ermittlungsverfahren wegen eines versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls gem. §§ 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB geführt. Der ehemalige Beschuldigte, der von Beginn des Ermittlungsverfahrens an unbekannten Aufenthalts war, war in Verdacht geraten, weil im Fluchtfahrzeug eines Mitbeschuldigten der serbische Reisepass des ehemaligen Beschuldigten aufgefunden worden war. Eine im Rahmen eines Personenfeststellungsverfahrens durchgeführte SIENA-Anfrage vom 21.3.2023 ergab nach Ergebnismitteilung der serbischen Behörden eine Identifizierung eines serbischen Staatsangehörigen unter den genannten Personalien mit dem Geburtsnamen M, auf den der genannte Reisepass am 2.2.2023 ausgestellt worden war. Weiter wurde mitgeteilt, dass diese Person letztmalig am 7.1.2023 aus Kroatien in der EU nach Serbien eingereist und letztmals am 24.2.2023 von Serbien nach Rumänien in die EU ausgereist war. Im Übrigen war der ehemalige Beschuldigte durch das Ausländeramt Köln bereits seit dem 3.8.2020 wegen eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Eine am 29.3.2023 in Auftrag gegebene Untersuchung des aufgefundenen serbischen Reisepasses beim Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts Baden-Württemberg ergab nach einem Bericht vom 4.4.2023 eine Bewertung des Dokuments als echt. Einer Anregung auf Beantragung eines Haftbefehls gegen den ehemaligen Beschuldigten durch die Kriminalpolizei vom 27.3.2023 kam die Staatsanwaltschaft wegen eines nicht als vorliegend erachteten dringenden Tatverdachts nicht nach. Mit Abschlussverfügung bezüglich aller Beschuldigten vom 9.1.2024 stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Beschuldigten mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. In der Begründung wurde insbesondere aufgeführt, dass nicht hätte geklärt werden können, wie der Reisepass in das Fluchtfahrzeug gelangt sei. Auf den sichergestellten Werkzeugen hätten auch keine daktyloskopischen und/oder DNA-Spuren aufgefunden werden können, die zu einer Überführung des ehemaligen Beschuldigten hätten führen können.
Gezerre um Akteneinsicht
Der Rechtsanwalt hatte – erstmals – mit an die Staatsanwaltschaft gerichtetem Schriftsatz vom 28.3.2023 beantragt, ihn dem damaligen Beschuldigten als Pflichtverteidiger beizuordnen, wobei er darauf hinwies, dass ihm die Familie seines Mandanten ausgerichtet habe, dass dieser dies möchte, ihm Akteneinsicht zu gewähren und ihm eine Besuchserlaubnis zu erteilen; dies wiederholte er mit Schriftsatz vom 21.4.2023. Bereits zuvor hatten sich am 18., 19. und 20.3.2023 mehrfach Rechtsanwälte bzw. Rechtsanwältinnen beim Polizeirevier Schorndorf gemeldet und erkundigt, ob der damalige Beschuldigte am 17.3.2023 vorläufig festgenommen worden sei. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Rechtsanwalt mit Schreiben vom 26.4.2023 mit, es werde derzeit kein Anlass für einen Beiordnungsantrag gesehen und eine Besuchserlaubnis könne nicht erteilt werden, da der damalige Beschuldigte nicht in Haft sei; Akteneinsicht werde aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht gewährt, jedoch vorgemerkt. Mit Schriftsatz vom 5.5.2023 bestand der Rechtsanwalt auf der Gewährung von Akteneinsicht. Er teilte insoweit auch mit, dass der damalige Beschuldigte von den gegen ihn geführten Ermittlungen Kenntnis habe und auch davon ausgehe, dass ein Haftbefehl gegen ihn bestehe. Am 7.6.2023 beantragte der Rechtsanwalt erneut nunmehr beim AG namens und im Auftrag des damaligen Beschuldigten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger sowie die Gewährung von Akteneinsicht. Die Staatsanwaltschaft lehnte mit Verfügung vom 22.6.2023 die Gewährung von Akteneinsicht mit der Begründung einer möglichen Gefährdung des Untersuchungszwecks i.S.v. § 147 Abs. 2 S. 1 StPO weiterhin ab. Mit Beschluss vom 7.8.2023 lehnte das AG den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ab. Das AG begründete dies damit, dass zwar ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO vorliege, die Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 StPO jedoch nicht gegeben seien, da dem damaligen Beschuldigten der Tatvorwurf noch nicht eröffnet worden sei. Gegen diesen Beschluss legte der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 11.8.2023 sofortige Beschwerde ein, welche er damit begründete, dass der damalige Beschuldigte auf sonstige Art und Weise von dem Tatverdacht gegen ihn Kenntnis erlangt habe. Das LG verwarf durch Beschluss vom 21.8.2023 die sofortige Beschwerde als unbegründet und teilte dabei die Auffassung des AG.
Einstellung des Verfahrens
Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und Vorlage der vollständigen Akte an die Staatsanwaltschaft wurde dem Rechtsanwalt aufgrund von deren Verfügung vom 29.11.2023 am 7.12.2023 Akteneinsicht gewährt. Mit am 20.12.2023 eingegangenem Schriftsatz stellte der Rechtsanwalt sodann wiederum einen Antrag auf seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Er führte zur Begründung aus, dass er die Akte an seinen Mandanten weitergeleitet habe, sodass dieser nunmehr über den Vorwurf informiert sei, und deshalb lägen spätestens jetzt die Voraussetzungen für die Beiordnung vor. Nachfolgend erging am 9.1.2024 die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft bezüglich des damaligen Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts, worüber der Rechtsanwalt mit Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 10.1.2024 in Kenntnis gesetzt wurde. Gleichzeitig wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass aus ihrer Sicht dem damaligen Beschuldigten der Tatvorwurf nicht i.S.d. § 141 Abs. 1 StPO durch die Gewährung von Akteneinsicht eröffnet worden sei. Der Rechtsanwalt beantragte daraufhin mit am 23.1.2024 bei der Staatsanwaltschaft eingegangenem undatiertem Schriftsatz als Begehren seines Mandanten unter Beibehaltung seiner Auffassung und Berücksichtigung der erfolgten Einstellung nunmehr seine nachträgliche Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Verfügung vom 24.1.2024 legte die Staatsanwaltschaft die Akten dem AG zur Entscheidung vor und trat dem Antrag des Rechtsanwalts mit der weiteren Begründung entgegen, dass eine nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung im vorliegenden Fall nicht möglich sei.
Sofortige Beschwerde
Das AG hat den Antrag des Rechtsanwalts, rückwirkend als Pflichtverteidiger für den ehemaligen Beschuldigten bestellt zu werden, abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde vom 13.2.2024 hatte keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Rückwirkende Bestellung grundsätzlich zulässig …
Die Voraussetzungen für eine – rückwirkende – Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger für den ehemaligen Beschuldigten waren nach Auffassung des LG nicht gegeben. Zwar habe ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2 StPO und §§ 68 Nr. 5, 109 Abs. 1 JGG vorgelegen. Es komme grundsätzlich auch eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht. Insoweit schließt sich die Kammer der Rechtsprechung des OLG Stuttgart (OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2022 – 4 Ws 529/22, StraFo 2023, 234) im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Bamberg (OLG Bamberg, Beschl. v. 29.4.2021 – 1 Ws 260/21, NStZ-RR 2021, 315) und des OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.11.2020 – Ws 962/20, StV 2021, 153) an. Nicht ohne Grund habe der Gesetzgeber auch in § 141 Abs. 1 S. 1 StPO das Unverzüglichkeitsgebot geschaffen. In der Vorschrift komme der besondere Beschleunigungsbedarf zum Ausdruck, den der Gesetzgeber für eine Pflichtverteidigerbestellung sehe.
…. aber Tatvorwurf nicht eröffnet
Die Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO haben jedoch nach Auffassung des LG nicht vorgelegen, weil dem ehemaligen Beschuldigten der Tatvorwurf nicht eröffnet worden sei. Die Eröffnung des Tatvorwurfs setze einen förmlichen Akt der Strafverfolgungsbehörden voraus. Es genüge nicht, dass der Betroffene auf sonstige Art und Weise von einem Tatverdacht Kenntnis erhält. Die Neuregelung der Verteidigerbestellung erfordere auch unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien keine abweichende richtlinienkonforme Auslegung (zum Ganzen KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 141 Rn 3 m.w.N.; offen gelassen v. BGH, Beschl. v. 9.2.2023 – StB 3/23, NStZ 2023, 686 m.w.N.). Regelmäßig werde der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft i.S.v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO durch die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens manifestiert. Relevant sei, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Beschuldigten, darstelle (zum Ganzen Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 141 Rn 3 m.w.N.; BGH a.a.O. m.w.N.). Die Bestellung eines Pflichtverteidigers setze gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO voraus, dass die betreffende Person Beschuldigter in einem Strafverfahren sei und die Strafverfolgungsbehörde ihr durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise die Einleitung gegen sie gerichteter Ermittlungen zur Kenntnis gebracht habe. Vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie im Zeitraum noch nicht offen geführter Ermittlungen sei für eine Pflichtverteidigerbestellung kein Raum (zum Ganzen BGH, Beschl. v. 6.8.2024 – StB 45/24, m.w.N.). Anträge auf Pflichtverteidigerbestellung, die ohne vorangegangene förmliche Mitteilung lediglich aufgrund von Mutmaßungen über Ermittlungen gestellt werden, seien unzulässig (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 141 Rn 3 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 141 Rn 3 m.w.N.; BGH a.a.O.). In der Gewährung von Akteneinsicht an den Rechtsanwalt habe im vorliegenden Fall keine Eröffnung des Tatvorwurfs gegenüber dem ehemaligen Beschuldigten i.S.d. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO gelegen. Ein Verteidiger bzw. Beschuldigter habe gemäß § 147 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 StPO grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht. Dieses könne gemäß § 147 Abs. 2 S. 1 StPO vor Abschluss der Ermittlungen nur versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Die Staatsanwaltschaft haben dem Antrag des Rechtsanwalts auf Akteneinsicht unter Verweis hierauf zunächst nicht stattgegeben, habe diesem aber mitgeteilt, die Akteneinsicht werde vorgemerkt. Der Rechtsanwalt habe den Akteneinsichtsantrag in der Folge mehrfach mit zum Teil ausführlicher Begründung seines Rechts auf Akteneinsicht wiederholt. Nach Vorlage der Akte durch die Polizei nach Abschluss von deren Ermittlungen sei dem Rechtsanwalt dann durch die Staatsanwaltschaft Akteneinsicht gewährt worden. Hierdurch sei, wie sich aus dem geschilderten Verfahrensablauf ergebe, dessen Recht auf Akteneinsicht stattgegeben worden. Dagegen sei seitens der Staatsanwaltschaft vorliegend nicht beabsichtigt gewesen, dem ehemaligen Beschuldigten dadurch den Tatvorwurf zu eröffnen. Es sei mit der Gewährung von Akteneinsicht auch in der Wahrnehmung des ehemaligen Beschuldigten keine Manifestation eines Verfolgungswillens der Staatsanwaltschaft erfolgt. Die Staatsanwaltschaft habe den Rechtsanwalt hierauf – wenngleich nachträglich – ausdrücklich hingewiesen. Unabhängig hiervon ergebe sich dies ebenfalls aus dem Gang des Verfahrens. Die vorangegangenen polizeilichen Ermittlungen gegen den ehemaligen Beschuldigten hätten sich in Feststellungen zu dessen Person und der Untersuchung von dessen Reisepass auf Echtheit sowie einem augenscheinlichen Vergleich von Lichtbildern von seiner Person mit von einem Zeugen gefertigten Videoaufnahmen von den Tätern und Wahllichtbildvorlagen bei eventuellen Zeuginnen, die zu keinem Ergebnis geführt hatten, erschöpft. Einer polizeilichen Anregung auf Beantragung eines Haftbefehls gegen den ehemaligen Beschuldigten sei die Staatsanwaltschaft nicht nachgekommen. Kurze Zeit nach Erledigung des Akteneinsichtsgesuchs des Rechtsanwalts habe die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Beschuldigten ohne weitere Ermittlungen oder Erkenntnisse gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
III. Bedeutung für die Praxis
Positives vorab
1. Das Positive vorab: Es ist zu begrüßen, dass nun auch die 3. Strafkammer des LG Stuttgart grundsätzlich der Auffassung ist, dass die rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers zulässig ist, wenn vor Einstellung des Verfahrens die Bestellungsvoraussetzungen vorgelegen habe. Das dürfte inzwischen wohl die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung sein und wird vom LG Stuttgart schon seit längerem vertreten (vgl. den überzeugend begründeten Beschluss des LG Stuttgart v. 21.9.2021 – 9 Qs 62/21; s.a. Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 3831 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Im Übrigen falsch
2. Das war es dann aber auch schon mit den positiven Anmerkungen, denn mit ihren übrigen Ausführungen liegt die Strafkammer falsch. M.E. war hier nämlich dem ehemaligen Beschuldigten der Tatvorwurf i.S.d. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet und man fragt sich, warum das LG so viele Worte macht, um den Leser seines Beschlusses vom Gegenteil zu überzeugen, was aber nicht gelingt. Zutreffend ist der Ansatz, wonach regelmäßig der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörde durch die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens manifestiert wird (BGH, Beschl. v. 9.2.2023 – StB 3/23, NStZ 2023, 686). Aber das LG unterschlägt die davon abweichende Mehrzahl von Entscheidungen, die jegliche Kenntnisnahme genügen lassen (LG Hamburg, Beschl. v. 11.3.2022 – 613 Qs 7/22; LG Karlsruhe, Beschl. v. 16.9.2022 – 6 Qs 41/22, StV 2023, 159; LG Magdeburg, Beschl. v. 24.7.2020 – 25 Qs 65/20, StV 2021, 162; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.7.2021 – 23 Qs 86/21; s. vor allem auch AG Hagen, Beschl. v. 16.2.2021 – 67 Gs 115/21, das Kenntnis des Beschuldigten vom neuen Verfahren angenommen hat, weil dem Verteidiger insoweit Akteneinsicht gewährt wurde). Und diese abweichende Meinung ist zutreffend, denn es war gerade Absicht des Gesetzgebers bei der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidiger, den Beiordnungszeitpunkt ganz bewusst weg vom gerichtlichen Verfahren hin zum Ermittlungsverfahren vorzuverlagern. Dem und auch dem vom LG selbst angeführten Unverzüglichkeitsgebot würde es zuwiderlaufen, würde man den Beschuldigten, der Kenntnis von dem gegen ihn geführten Verfahren erlangt hat, darauf verweisen, in jedem Fall abzuwarten, bis die Ermittlungsbehörden förmlich an ihn herantreten. Überdies hätte es sonst die Staatsanwaltschaft in der Hand, Verteidigerbestellungen durch schlichte Untätigkeit zu verhindern, indem sie den Beschuldigten einfach nicht anhört. Der hier gegebene Verfahrensablauf ist dazu gerade ein Paradebeispiel. Zudem haben auch die der Reform des Rechts der Pflichtverteidigung zugrunde liegenden europäischen Richtlinien keine förmliche Mitteilung des Tatvorwurfs verlangt (so zutr. LG Magdeburg a.a.O. und Burhoff/Hillebrand, EV, Rn 3799). Daran ändert auch nichts, wenn die Staatsanwaltschaft – wie hier – den ehemaligen Beschuldigten – auch noch nachträglich – darauf hingewiesen hat, dass in der Gewährung von Akteneinsicht keine Manifestation eines Verfolgungswillens der Staatsanwaltschaft liege. Das wäre ja noch schöner, wenn die Staatsanwaltschaft es in der Hand hätte, die einmal geschaffenen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers wieder rückgängig zu machen. Unverständlich sind schließlich auch die Ausführungen des LG dazu, dass in der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger keine Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens/ Manifestation des Verfolgungswillens liege. Was soll es denn sonst sein, wenn der Verteidiger (sic!) Akteneinsicht erhält von einem Verfahren, in dem die Polizei ja sogar schon einen Haftbefehl angeregt hatte. Insgesamt kann man nur sagen: Gewogen und erheblich zu leicht befunden.
Warum braucht man ein Jahr?
3. Und dann noch: Die sofortige Beschwerde des Verteidigers datiert vom 13.2.2024. Man fragt sich, warum die Stuttgarter Strafverfolgungsbehörde fast ein Jahr gebraucht haben, um diese einfache Frage zu entscheiden. Einen nachvollziehbaren Grund sehe ich nicht.