1. Die Rückforderung von Gebühren und Auslagen, die ein Pflichtverteidiger erhalten hat, ist mangels analoger Anwendbarkeit der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG auch nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres nicht ausgeschlossen.
2. Der Zahlungsempfänger kann sich gegen den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach Ablauf der dreijährigen Frist des § 195 BGB mit der Einrede der Verjährung verteidigen.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Pflichtverteidigerbestellung und Erstreckung
Der Rechtsanwalt wurde dem ehemaligen Angeklagten in einem wegen Bandendiebstahls geführten Verfahren V 1 am 7.2.2019 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Beschluss des LG wurde die Wirkung der Beiordnung nach Anklageerhebung auf hinzuverbundene Verfahren erstreckt. Durch Beschluss vom 4.3.2020 wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Angeklagten dann während der Hauptverhandlung abgetrennt und später im Hinblick auf ein ebenfalls beim LG geführtes Ks-Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt.
Rückforderung von Gebühren
Mit Schriftsatz vom 14.3.2020 hat der Rechtsanwalt die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 10.881,84 EUR beantragt. Darin enthalten sind auch die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG und die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG für insgesamt zehn Verfahren, die die Staatsanwaltschaft mit Abschlussverfügung vom 28.5.2019 zum Verfahren V 1 hinzuverbunden hat. Die Gebühren und Auslagen sind antragsgemäß festgesetzt und ausgezahlt worden. Mit Schriftsatz vom 19.11.2021 hat der Rechtsanwalt zudem beantragt, ihm eine Pauschgebühr gemäß § 51 RVG in Höhe von weiteren 2.000 EUR zu bewilligen. Im Rahmen des beim OLG anhängigen Pauschgebührenverfahrens hat der Bezirksrevisor beim LG dahingehend Stellung genommen, dass die Akten vor der Entscheidung über die Pauschgebühr zunächst der Bezirksrevisorin bei dem LG vorgelegt werden mögen. Die Bezirksrevisorin bei dem LG möge vorab prüfen, ob die Festsetzung mit der Erinnerung anzugreifen sei, da die gesetzlichen Gebühren und Auslagen unzutreffend festgesetzt worden seien. Gebühren und Auslagen für die hinzuverbundenen Verfahren könnten nicht verlangt werden, weil der Beschwerdeführer vor der Verbindung in jenen Verfahren gar keine Tätigkeit entfaltet habe. Der daraufhin mit Verfügung der Bezirksrevisorin beim LG angebrachten Erinnerung hat die Urkundsbeamtin des LG dann abgeholfen und durch Entscheidung vom 30.12.2022 wie beantragt einen Betrag von 4.438,70 EUR inklusive Umsatzsteuer zurückgefordert.
Erinnerung
Daraufhin hat der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 2.1.2023 im Pauschgebührverfahren zunächst beim OLG eine an den abgesetzten Betrag angepasste Pauschgebühr in Höhe von nunmehr weiteren 6.500 EUR (statt 2.000 EUR) gefordert. Außerdem hat er seinerseits Erinnerung gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin vom 30.12.2022 erhoben. Auf diese Erinnerung hat die Einzelrichterin des LG den Beschluss vom 30.12.2022 durch den angefochtenen Beschluss unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsbehelfs dahingehend abgeändert, dass der Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 28.7.2022 nur teilweise abgeholfen werde. Es seien lediglich Positionen aus dem Kostenantrag vom 14.3.2020 in Höhe von insgesamt 1.775,48 EUR inklusive Umsatzsteuer zurückzufordern. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Pflichtverteidigers. In dieser vertritt er die Auffassung, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 20 GKG verwirkt sei. Die Beschwerde, die wegen grundsätzlicher Bedeutung vom Einzelrichter auf den Senat übertragen worden ist, hatte in der Sache keinen Erfolg.
II. Entscheidung
Rückforderungsanspruch
Nach Auffassung des OLG hat das LG mit Recht festgestellt, dass der Pflichtverteidiger verpflichtet ist, insgesamt 1.775,48 EUR inklusive Umsatzsteuer zurückzuzahlen. Dieser Betrag entspreche der Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG und der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG für insgesamt vier hinzuverbundene Sachen. Das LG habe zutreffend dargelegt, dass der Rechtsanwalt keine konkrete gebührenauslösende Tätigkeit gemäß § 55 Abs. 5 S. 1 RVG, § 104 Abs. 2 S. 1 ZPO glaubhaft gemacht habe.
Streitstand zum Rückforderungsausschluss
Die Rückforderung sei auch nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen. Ob und in welcher Weise die Rückforderung einer überhöht festgesetzten und ausgezahlten Vergütung einer zeitlichen Begrenzung unterliege, sei streitig. Eine Auffassung ziehe die gesetzliche Wertung zur Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes (§§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG) heran und meine, dass die Rückforderung nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen sei (OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.9.2009 – 2 Ws 125/09; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.8.2019 – II-1 WF 128/19). Demgegenüber werde unter Hinweis auf die gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG unbefristete Erinnerungsbefugnis die Auffassung vertreten, dass die genannten Vorschriften nicht eingreifen und die Rückforderungsbefugnis der Staatskasse allenfalls im Rechtsinstitut der Verwirkung ihre Grenze findet. Es sei eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.3.2017 – I-10 W 35-37/17; LAG München, Beschl. v. 4.3.2014 – 1 Ta 416/12).
Auffassung des OLG
Das OLG hat sich der letztgenannten Auffassung angeschlossen und hält die analoge Anwendung der starren Fristen von § 20 Abs. 1 GKG, § 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG auf die Rückforderung von Gebühren und Auslagen von einem Pflichtverteidiger für verfehlt. Die Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes sei nicht mit der unzutreffenden Auszahlung von Gebühren und Auslagen eines Pflichtverteidigers vergleichbar. Hätte der Gesetzgeber die Rückforderung in solchen Fällen an eine konkrete Frist knüpfen wollen, hätte es ihm freigestanden, eine entsprechende Regelung zu treffen. Davon habe der Gesetzgeber abgesehen und sich vielmehr bewusst entschieden, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf a.a.O.; LAG München a.a.O.). Das LG habe im angefochtenen Beschluss zutreffend auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der Bundesregierung des Justizkommunikationsgesetzes vom 23.2.2005 (BT-Drucks 15/4952) hingewiesen, wonach die Neufassung von § 56 Abs. 2 S. 1 RVG klarstellen sollte, dass die Erinnerung gegen die Vergütung zeitlich nicht befristet ist (BT-Drucks 15/4952, S. 41 u. 51).
Gerade der vorliegende Fall, bei dem zugleich ein Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) gestellt sei, zeige, dass die kurze Frist der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG für den Rückforderungsanspruch nicht angemessen sei. Denn bei Festsetzung einer Pauschgebühr sei zu prüfen, ob die in den Teilen 4 bis 6 VV RVG bestimmten gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens unzumutbar niedrig seien (§ 51 Abs. 1 S. 1 RVG). Wäre die Rückforderung in analoger Anwendung der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen, könnte deren sich aus den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses ergebende Höhe trotz des Eingangs eines Antrags auf Bewilligung einer Pauschgebühr danach ggf. nicht mehr korrigiert werden. Denn beim Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr sei es dem Staat binnen drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das zugrunde liegende Verfahren rechtskräftig geworden ist, untersagt, die Einrede der an §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu bemessenden Verjährung zu erheben (KG, Beschl. v. 15.4.2015 – 1 ARs 22/14; OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.4. 2019 – 1 ARs 5/195). Der gemäß § 51 RVG zu treffenden Senatsentscheidung fehle somit der zutreffende Bezugspunkt.
Verjährung
Der Zahlungsempfänger sei trotz der Unanwendbarkeit der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG auch nicht unbegrenzt dem Erstattungsanspruch des Staates ausgesetzt. Vielmehr sei er unabhängig vom Rechtsinstitut der Verwirkung seinerseits durch die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB geschützt. Der Rückzahlungsanspruch sei als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch einzuordnen (KG, Beschl. v. 22.4.2008 – 1 Ws 47/07; Groß/Groß Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl., § 45 Rn 8; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 51 RVG Rn 89), sodass sich die einschlägige Verjährungsregelung nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage beurteilt (BVerwG, Urt. 15.3.2017 – 10 C 3/16, Rn 18; Beschl. v. 5.11.2021 – 2 B 15/21). Spreche schon allgemein viel dafür, der Sachnähe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zum Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) durch Anwendung des § 195 BGB Rechnung zu tragen (BVerwG, Urt. v. 15.3.2017 a.a.O.), trete bei der Pflichtverteidigervergütung noch hinzu, dass eine längere Verjährungsfrist auch deshalb unangemessen wäre, weil sich die Verjährungsfrist für den Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr, wie dargelegt, ebenfalls an § 195 BGB orientiere (KG, Beschl. v. 15.4.2015 – 1 ARs 22/14; OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.4.2019 – 1 ARs 5/19).
Verwirkung
Die Voraussetzungen einer Verwirkung lagen nach Auffassung des OLG ebenfalls nicht vor. Ein Recht sei verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht habe (Zeitmoment), der Verpflichtete sich darauf eingerichtet habe und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten zudem habe darauf einrichten dürfen, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Umstandsmoment; vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2017 – I ZR 49/15). Bei der Bestimmung der für die Annahme einer Verwirkung hinreichenden Zeitspanne seien auch die Verjährungsfristen in den Blick zu nehmen und eine Verwirkung scheide regelmäßig – so auch hier – aus, wenn der Anspruch gemäß § 195 BGB der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliege (BGH a.a.O.; OLG Celle, Beschl. v. 26.5.2016 – 1 Ws 245/16). Es fehle zudem an einem Verhalten der Staatskasse, dem der Pflichtverteidiger nach Auszahlung der Vergütung habe entnehmen können, dass der Rückforderungsanspruch nicht geltend gemacht werde.
III. Bedeutung für die Praxis
Klare Position des OLG wohl zutreffend
1. Das OLG bezieht in dem o.a. Streit klare Position und lehnt eine analoge Anwendung der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 S. 1 FamGKG ab. Dem kann man sich mit den vom OLG angeführten Argumenten anschließen, auch wenn das für die beteiligten Rechtsanwälte nachteilig ist. Denn, und das ist m.E. das entscheidende Argument: Der Gesetzgeber ist offenbar bei der Neufassung von § 56 Abs. 2 S. 1 RVG davon ausgegangen, dass die Erinnerung gegen die Vergütung zeitlich nicht befristet ist/sein sollte. Dann kann man nicht über eine Hintertür durch analoge Anwendung anderer Vorschriften eine zeitliche Befristung einführen. In dem Zusammenhang sind für mich allerdings die Ausführungen des OLG zur Pauschgebühr und zum nicht richtigen Bezugspunkt nicht nachvollziehbar. Denn wenn dem Pflichtverteidiger ggf. ihm an sich nicht zustehende gesetzliche Gebühren verbleiben würden, ist eben der Gebührenbetrag Bezugspunkt für die Frage der Angemessenheit.
Verjährungseinrede bleibt
2. Dem Rechtsanwalt bleibt nach der OLG-Entscheidung aber zumindest die Einrede der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist war hier aber noch nicht abgelaufen, sodass das OLG dazu mit Recht nicht weiter ausführt. Auch verwirkt war der Rückforderungsanspruch nicht, jedenfalls ergeben sich dafür nach dem mitgeteilten Sachverhalt keine Anhaltspunkte.