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Zuständigkeit des OLG auch für verfristeten Besetzungseinwand

Das Oberlandesgericht ist auch dann nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO n.F. für die Entscheidung über einen Besetzungseinwand zuständig, wenn dieser nicht gemäß § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO innerhalb einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung geltend gemacht wurde. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Bamberg,Beschl.v.23.1.2020–1 Ws 14/20

I. Sachverhalt

Der Angeklagte hat am ersten Tag der Hauptverhandlung vor der Strafkammer, am 7.1.2020, eine Besetzungsrüge erhoben. Das LG hat die Rüge mit Beschluss vom gleichen Tage für nicht begründet erachtet und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. In den Gründen ist ausgeführt, dass die Besetzungsrüge unzulässig, weil verspätet erhoben sei. Innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 StPO sei kein Einwand der vorschriftsmäßigen Besetzung erhoben worden. Gründe für eine unverschuldete Fristversäumnis seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Das OLG hat den Einwand verworfen.

II. Entscheidung

Das OLG meint: Der Besetzungseinwand des Angeklagten sei gemäß § 222b Abs. 3 Satz 2 StPO in der Fassung vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121, 2122) zu verwerfen, weil er nicht innerhalb der nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO geltenden Frist von einer Woche angebracht wurde.

1. Die Zuständigkeit des OLG für die Entscheidung über den Besetzungseinwand ergibt sich für das OLG Bamberg aus § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO. Sie bestehe auch für den hier vorliegenden Fall, dass das LG den Besetzungseinwand der Sache nach für unzulässig, weil verfristet erhoben, erachtet hat. Nach der gesetzlichen Systematik habe ein Gericht, dessen Besetzung angegriffen werde, den Vorgang dem Rechtsmittelgericht vorzulegen, wenn es den Einwand vorschriftswidriger Besetzung nicht für begründet erachtet. Dies sei auch dann der Fall, wenn das Gericht bereits nicht in die Sachprüfung einsteige, weil nach seiner Ansicht die formalen Voraussetzungen der Rüge nicht eingehalten seien. Dieses Ergebnis entspreche dem Telos der gesetzlichen Regelung. Zweck des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens sei es, die Frage der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung einer zeitnahen Klärung zuzuführen, die für das spätere Revisionsverfahren verbindlich sei (vgl. BT-Drucks 19/14747, S. 35). Eine solche frühzeitige Klärung, die die Möglichkeit einer Besetzungsrüge im Revisionsverfahren ausschließt (vgl. § 338 Nr. 1 lit b StPO), sei jedoch nur dadurch zu erreichen, dass das Rechtsmittelgericht, dem der Einwand im Falle der Nichtabhilfe binnen drei Tagen vorzulegen sei, gemäß § 222b Abs. 3 StPO über diesen entscheidet.

Der Besetzungseinwand des Angeklagten dringe nicht durch, weil er ihn nicht innerhalb von einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung geltend gemacht habe (§ 222b Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Besetzungseinwand sei erst am 7.1.2020 erhoben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO abgelaufen gewesen. Ausweislich der Zustellungsurkunden sei den beiden Verteidigern des Angeklagten die Gerichtsbesetzung am 18.12.2019 bzw. 19.12.2019 zugestellt worden. Die Wochenfrist zur Erhebung eines Besetzungseinwands endete gemäß § 43 Abs. 2 StPO damit mit Ablauf des 27.12.2019. Die Zustellung der Besetzungsmitteilung sei auch wirksam gewesen, da sie mit Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 16.12.2019 angeordnet worden war. Dieser habe ausweislich seiner Verfügung angeordnet: „Gerichtsbesetzung gem. § 222a mitteilen an (vorab per Fax) Rechtsanwalt T. aus N.; Rechtsanwalt M. aus D.“ Damit sei ein Zustellungswille ausreichend dokumentiert, nachdem die in Bezug genommene Vorschrift des § 222a Abs. 1 Satz 2 StPO zwingend die Zustellung der Besetzungsmitteilung vorsehe.

Eine Kostenentscheidung sei, so das OLG, nicht zu treffen, da § 222b StPO eine solche nicht vorsehe und das Verfahren über die Entscheidung über einen Besetzungseinwand nicht als Rechtsmittelverfahren im Sinne des § 473 StPO ausgestaltet sei.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Nach dem Beschluss des OLG Celle vom 27.1.2020 (StRR 3/2020, 15 = StraFo 2020, 159) die zweite Entscheidung, die sich mit dem durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) geänderten Recht der Besetzungsrüge befasst. War es im vom OLG Celle entschiedenen Fall die Frage, was und wie inhaltlich zur Begründung der Besetzungsrüge (auch) nach neuem Recht vorgetragen werden muss, geht es hier um die fristgemäße Erhebung der Rüge. Diese war, insoweit ist dem OLG zu folgen, verfristet. Das legt das OLG zutreffend dar. Zutreffend ist es m.E. zudem, dass auch über eine verfristete Rüge das OLG entscheidet. Denn wer soll es sonst tun?

2. Nicht ganz klar ist m.E., ob das OLG davon ausgeht, dass die Frage der Besetzung nach neuem Recht dem Revisionsverfahren vollständig entzogen ist. Das wäre – wie § 338 Nr. 1 StPO zeigt – nicht der Fall. Von Bedeutung ist in dem hier entschiedenen Fall der (behaupteten) Verfristung der Besetzungsrüge § 338 Nr. 1b bb StPO. Danach ist der absolute Revisionsgrund des § 338 StPO gegeben, wenn „der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist“. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass mit der Revision geltend gemacht werden kann, dass die als verfristet zurückgewiesene Besetzungsrüge entgegen der Ansicht des OLG nicht verfristet, also rechtzeitig erhoben war, was der BGH dann zu prüfen hat.

3. Hinsichtlich der Frage, ob der den Besetzungseinwand zurückweisende Beschluss des OLG eine Kostenentscheidung enthalten muss, besteht ein Dissens zur Entscheidung des OLG Celle (a.a.O.). Das hatte nämlich dem Angeklagten gem. § 473 Abs. 1 StPO die Kosten auferlegt und dazu auf die BT-Drucks 19/14747, S. 32 hingewiesen. In der BT-Drucks 19/14747 heißt es an der Stelle: „Kein Regelungsbedarf besteht bei der Kostengrundentscheidung. Die Entscheidung über die durch die Besetzungsrüge entstehenden Kosten soll sich an den Vorschriften der §§ 464 ff. StPO orientieren.“ Diese Formulierung spricht m.E. eher für die Ansicht des OLG Celle. Ob allerdings nun § 473 Abs. 1 StPO einschlägig ist oder dessen Anwendung ausscheidet, weil das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b StPO kein „Rechtsmittel“ i.e.S. des § 473 Abs. 1 StPO ist, oder ob der Rechtsgedanke des § 465 StPO heranzuziehen ist, kann m.E. dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich um ein abschließend entschiedenes Zwischenverfahren, in dem nach allgemeiner Meinung grundsätzlich eine Kosten-/Auslagenentscheidung ergehen muss. Letztlich ist die Frage jedoch akademisch bzw. kann vernachlässigt werden. Denn das GKG sieht für das Vorabentscheidungsverfahren keine Gebührenziffer vor, nach der gegenüber dem ggf. später verurteilten Angeklagten Gerichtskosten geltend gemacht werden könnten. Und auch das RVG enthält keine Gebührenziffer, nach der die Tätigkeiten des Verteidigers gesondert abgerechnet werden könnten. Die sind vielmehr durch die gerichtliche Verfahrensgebühr mit abgegolten. Lediglich im Fall eines erfolgreichen Vorabentscheidungsverfahrens und der dann später erfolgenden Verurteilung des Angeklagten könnte sich ein gebührenrechtliches Problem ergeben, weil sich dann die Frage stellen könnte, ob nicht die Auslagen des Angeklagten für das erfolgreiche Vorabentscheidungsverfahren ggf. auszuscheiden und von der Staatskasse zu tragen wären (Stichwort: Differenztheorie). Abgesehen davon, dass sich das Problem beim Pflichtverteidiger wegen der diesem zustehenden gesetzlichen Festbetragsgebühr nicht stellen würde, ist es ein m.E. (auch beim Wahlverteidiger) zu vernachlässigendes Problem.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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