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Zusätzliche Verfahrensgebühr nach Rücknahme der Revision

1. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 4141 VV RVG ist es erforderlich, dass eine Revisionshauptverhandlung anberaumt wurde oder konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, wenn nicht die Revision zurückgenommen worden wäre (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Senats, siehe Beschl. v. 19.7.2005 – 2 Ws 151/05).

2. Ob eine Hauptverhandlung zu erwarten ist, lässt sich in der Regel erst beurteilen, wenn die Akten dem Revisionsgericht vorgelegt wurden.

3. Die Anknüpfung der Gebühr an die bloße Revisionsrücknahme oder das Vorliegen einer Revisionsbegründung widerspricht der gesetzgeberischen Intention, wonach eine Hauptverhandlung vermieden und eine Honorierung intensiver und zeitaufwändiger Tätigkeiten des Verteidigers erfolgen soll. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle,Beschl.v.20.5.2019–2 Ws 141/19

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Er hat gegen das seinen Mandanten verurteilende landgerichtliche Urteil Revision eingelegt, die mit der allgemeinen Sachrüge begründet wurde. Die Revision hat er später dann zurückgenommen. Der Rechtsanwalt hat die Festsetzung der Nr. 4141 VV RVG beantragt. Das LG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Unter welchen Voraussetzungen die Nr. 4141 VV RVG bei der Rücknahme einer Revision entsteht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 71 ff.):

Eine Auffassung macht das Entstehen der Gebühr nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig (aus der Literatur Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 23. Aufl., VV 4141 Rn 39; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, Nr. 4141 VV Rn 37; AnwK-RVG/N. Schneider, RVG, 8. Aufl. 2017, VV 4141 Rn 136 ff., insbes. Rn 137). Bereits der Wortlaut der detaillierten Regelung sei insoweit eindeutig (AnwK-RVG/N. Schneider, Rn 137). Zudem habe nach vorheriger Rechtslage § 84 Abs. 2 BRAGO mangels Verweisung in § 86 BRAGO nicht für das Revisionsverfahren gegolten. Soweit eine analoge Anwendung befürwortet wurde, wurde verlangt, dass ausnahmsweise eine Hauptverhandlung anberaumt worden war (eine entsprechende Anwendung ablehnend: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.1.2004 – 1 Ws 559/03 und OLG Saarbrücken AGS 2004, 154 mit entsprechenden Nachweisen der Gegenmeinung). Weil der Gesetzgeber jedoch in Kenntnis dieses früheren Streits das Entstehen der Verfahrensgebühr nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft habe, sei auch keine weitere ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zu fordern (vgl. LG Verden StraFo 2005, 439; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.; a.A. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.5.2005 – 1 Ws 164/05). Andernfalls würde der Verteidiger bestraft werden, der dem Gericht Mehrarbeit erspare, indem er etwa erst gar keine Revisionsbegründung einreiche, sondern die Revision nach Prüfung der Sach- und Rechtslage nach Beratung mit dem Mandanten zurücknehme (Hartung/Schons/Enders, VV Nr. 4141, Rn 37). Zudem müsse das Gericht die Revision auch ohne Hauptverhandlung prüfen und über sie entscheiden. Dieser Mehraufwand werde durch die Rücknahme gerade vermieden (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4141, Rn 138).

Eine weitere Auffassung verlangt für das Entstehen der Gebühr mindestens die Begründung der Revision (u.a. OLG Hamm StraFo 2006, 433). Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit im Revisionsverfahren regelmäßig die Begründung der Revision sei (KG RVGreport 2005, 352) und dass mit der Begründung wenigstens schon die theoretische Möglichkeit der Anberaumung eines Verhandlungstermins nach § 350 StPO bestehe (OLG Braunschweig RVGreport 2006, 228).

Die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung folgert demgegenüber aus dem Normzweck, dass für das Entstehen der Gebühr erforderlich sei, dass Revisionshauptverhandlungstermin anberaumt ist bzw. konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, wenn nicht die Revision zurückgenommen worden wäre (vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 Rn 72; so auchMayer/Kroiß, RVG, Nr. 4141–4147 VV Rn 11,Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, VV 4141 Rn 22 undHartmann, KostG, 48. Aufl. 2018, VV 4141 Rn 6; offenlassend:Bischof/Jungbaueru.a., Nrn. 4100–4304 VV Rn 116). Denn aufgrund einer (zulässigen) Revision finde in aller Regel eine Hauptverhandlung nicht statt, vielmehr werde – von wenigen Ausnahmen abgesehen – im Beschlusswege nach § 349 Abs. 2 oder § 349 Abs. 4 StPO entschieden (OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 96). Ob eine Hauptverhandlung zu erwarten ist, lasse sich in der Regel jedenfalls nicht beurteilen, solange die Revision nicht dem Revisionsgericht vorgelegt worden sei (u.a. OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 96;Mayer/Kroiß, RVG, RVG Nr. 4141–4147 VV Rn 11).

Das OLG hat sich der herrschenden Auffassung angeschlossen. Dies begründet es mit einer historischen und teleologischen Auslegung der Norm. Der Wortlaut von Nr. 4141 VV RVG sei zudem keineswegs eindeutig, wie die erstgenannte Auffassung meine: Nach dem einleitenden Satz soll durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich werden. Zwar könne diese Auffassung für sich in Anspruch nehmen, dass (jedenfalls) durch die Revisionsrücknahme eine (etwaige) Hauptverhandlung entfällt. Sie berücksichtige aber nicht ausreichend, dass der Gesetzgeber explizit an das Erfordernis einer Hauptverhandlung anknüpft und nicht an das einer verfahrensabschließenden Entscheidung des Gerichts, etwa eines – in der gerichtlichen Praxis weit überwiegend vorkommenden – Beschlusses. Die Systematik von Nr. 4141 VV RVG lasse die Bedeutung des Erfordernisses der Vermeidung einer Hauptverhandlung ebenfalls erkennen: So werde auch in Abs. 3 darauf abgestellt, dass sich die Höhe der Gebühr nach dem Rechtszug bestimmt, in dem die Hauptverhandlung vermieden wurde.

III. Bedeutung für die Praxis

Eine weitere Stimme im Chor derer, die die Nr. 4141 VV RVG – aus m.E. fiskalischen Erwägungen – restriktiv auslegen (vgl. wegen weiterer Nachweise die Zusammenstellung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 Rn 71 ff.). Ich habe dazu bereits häufiger angemerkt, dass diese Auffassung unzutreffend ist. Daran halte ich fest. Die Begründung des OLG überzeugt ebenso wenig wie die anderer OLG. Der Wortlaut der Nr. 4141 VV RVG sieht weitere Kriterien für das Entstehen der Gebühr in diesen Fällen nicht vor. Die Auffassung führt zudem dazu, dass die Nr. 4141 VV RVG bei Rücknahme der Revision in der Praxis kaum anfällt. Das ist aber von den OLG im Zweifel auch gewollt.

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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