1. Wie viel Zeit dem Erklärungsempfänger zur Zurückweisung eines Geschäfts wegen fehlender Vollmacht zusteht, hängt vom konkreten Einzelfall ab. In der Regel gilt eine Woche unter normalen Bedingungen als ausreichend, um eine Entscheidung über die Zurückweisung zu treffen.
2. Ein Aufhebungsvertrag kann nicht wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung angefochten werden, wenn es keine konkreten Hinweise auf eine solche Täuschung oder Drohung gibt und die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht unzulässig beeinflusst wurde.
3. Das Gebot fairen Verhandelns schützt nicht den Vertragsinhalt selbst, sondern den fairen Ablauf der Vertragsverhandlungen. Es greift nur in der Phase vor dem Vertragsschluss und ist daher von der Inhaltskontrolle nach § 138 BGB zu unterscheiden.
[Redaktionelle Leitsätze]
I. Der Fall
Streitgegenstand
Die Parteien streiten über die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages. Der Arbeitnehmer und spätere Kläger war bei der Arbeitgeberin seit dem 8.10.1990 zuletzt im Hochregallager beschäftigt.
Initiative des Arbeitnehmers
Nach fast 32 Jahren Beschäftigungszugehörigkeit übergab der Kläger im Oktober/November 2022 der Personalabteilung einen Zettel mit dem Inhalt: „Altersteilzeit! Oder Abfindung oder Vorruhestand A. 25.10.2022“ und „ich möchte Kündigen Euer A.G“. Im Anschluss hieran erkrankte der Arbeitnehmer beginnend ab dem 24.11.2022.
Angebot Aufhebungsvertrag
Nach Ende der Arbeitsunfähigkeit des Klägers, bot die Beklagte dem Kläger einen Aufhebungsvertrag an. Dieser enthielt unter anderem unterschiedliche Hinweise. So enthielt der Aufhebungsvertrag den Hinweis, dass bei Abschluss des Aufhebungsvertrages eine Sperre hinsichtlich der Arbeitslosenunterstützung eintreten kann. Auch wies § 8 des Aufhebungsvertrages darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis nur endet, sofern der Mitarbeiter, d.h. der Kläger, den Vertrag unterschreibt, wozu er nicht verpflichtet ist. Darüber hinaus lautete § 9 des Aufhebungsvertrages – wie folgt –: „Der Mitarbeiter bestätigt ausdrücklich, den vorliegenden Vertragstext sorgfältig gelesen, verstanden und nach reiflicher Überlegung unterschrieben zu haben, und erklärt, dass Widerrufs- und Anfechtungsrechte nicht bestehen.“
Abschluss Aufhebungsvertrag
Am 1.12.2022 fand ein Gespräch mit dem Kläger statt. Neben dem Kläger nahm am Gespräch unter anderem auch die Betriebsratsvorsitzende des Betriebs am Gespräch sowie Frau H und Frau I statt. Nach Beendigung des Gesprächs nahm der Kläger den Aufhebungsvertrag zur Prüfung mit. Am 13.12.2022 fand erneut ein Gespräch statt. Auch an diesem Gespräch nahm neben dem Kläger die Betriebsratsvorsitzende und Frau I teil. Der Kläger unterzeichnete am 13.12.2022 den Aufhebungsvertrag. Dieser sah vor, dass das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 28.2.2023 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 10.000 EUR beendet wird.
Anfechtung
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schreiben vom 2.3.2023 die Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Die Anfechtungserklärung ging der Arbeitgeberin am 8.3.2023 zu. Die Beklagte wies die Anfechtungserklärung am 15.3.2023 mangels Vorlage einer Vollmacht zurück.
Vortrag des Klägers
Der Kläger trug im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens vor, dass seine Arbeit schwer und gesundheitsschädlich gewesen sei und er insbesondere im Herbst 2022 körperlich „am Ende“ gewesen sei. Auch habe er sich nach dem ersten Gesprächstermin am 1.12.2022 unter Druck gesetzt gefühlt. So habe Frau I täglich bei ihm angerufen. Auch seien keine Person zugegen gewesen, die seine Interessen geschützt hätten. Er habe keine Vertrauensperson mitnehmen dürfen. Darüber hinaus sei er nicht über die Rechtsfolgen des Aufhebungsvertrags informiert worden. Daneben stünde die gezahlte Abfindung in keinem Verhältnis zur langjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers. Weiterhin sei die Kündigungsfrist nicht eingehalten worden. Dementsprechend läge ein Anfechtungsgrund vor und es sei festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht zum 28.2.2023 endet und der geschlossene Aufhebungsvertrag unwirksam sei.
Verfahrensgang
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen (ArbG Bayreuth, Urt. v. 11.1.2024 – 1 Ca 295/23). Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter.
II. Die Entscheidung
Berufung ist unbegründet
Die Berufung ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag wirksam zum 28.2.2023 beendet worden ist. Die Anfechtung des Aufhebungsvertrages sei nicht wirksam. Es läge auch kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns oder ein Verstoß gegen die guten Sitten vor.
Unwirksamkeit der Anfechtungserklärung
Das LAG Nürnberg stellte im Rahmen der Entscheidungsgründe fest, dass die Anfechtung bereits deshalb nicht greife, da die für die Anfechtung erforderliche Anfechtungserklärung, nach § 174 S. 1 BGB unwirksam sei, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers keine Vollmachtsurkunde der Anfechtungserklärung beigelegt hat und die Beklagte die Anfechtungserklärung unverzüglich zurückgewiesen hat. Dabei stellte das LAG Nürnberg nochmals in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes fest, dass eine Zurückweisung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgt, wenn die Zurückweisung innerhalb von sieben Tage erfolgt. Denn dem Erklärungsempfänger sei ausreichend Zeit zur Überlegung und auch zur Einholung eines rechtlichen Rates einzuräumen.
kein Anfechtungsgrund
Zusätzlich führte das LAG aus, dass nach dem Vortrag des Klägers ein zur Anfechtung berechtigender Grund nicht vorläge, der Kläger jedenfalls einen solchen „in keiner Weise hinreichend dargelegt hat“. Für eine arglistige Täuschung fehle es an einem arglistigen Verschweigen der Beklagten bekannter Umstände, welche zu einer Täuschung führten. Dabei wies das Gericht darauf hin, dass die Beklagte den Kläger gerade ausreichend über die sozialen Nachteile des Aufhebungsvertrages informiert habe, nachdem die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages sogar vom Kläger ausging. Weiterhin sei im Aufhebungsvertrag darauf hingewiesen worden, dass der Abschluss des Aufhebungsvertrages freiwillig sei. Auch der Anfechtungsgrund der widerrechtlichen Drohung läge nicht vor. Insoweit der Kläger darauf verweist, dass Frau I ihn mehrfach angerufen habe, so habe der Kläger bereits nicht substantiiert genug vorgetragen. Er habe nicht dargelegt, welches empfindliche Übel ihm in welchen Telefonaten konkret in Aussicht gestellt wurde. Dass der Kläger im Rahmen der Gespräche „alleine“ gewesen sei, d.h. das Vorliegen einer 3 zu 1 Situation“ sei nicht ausreichend.
Gebot fairen Verhandelns
Ebenfalls läge ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns nicht vor. Dieses folge zwar grundsätzlich aus § 241 Abs. 2 BGB und werde missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages sei dies insbesondere der Fall, wenn eine Verhandlungssituation herbeigeführt oder ausgenutzt wird, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Beim Gebot fairen Verhandelns ginge es jedoch nicht um das Erfordernis der Schaffung einer angenehmen Vertragssituation, sondern nur darum, dass das Mindestmaß an Fairness eingehalten wird. Demnach zwingt das Gebot fairen Verhandelns nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern nur zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite. Anders als die Sittenwidrigkeitskontrolle schütze das Gebot fairen Verhandelns den Weg zum Vertragsschluss und nicht den Inhalt des Vertrages. Dass die Beklagte auf die Entscheidungsfreiheit des Klägers in zu missbilligender Weise eingewirkt habe, hat der Kläger nicht vorgetragen. Es sei vielmehr sogar so gewesen, dass die Beklagte dem Kläger den Aufhebungsvertrag für einen erheblichen Zeitpunkt zur Prüfung überlassen hat.
keine Sittenwidrigkeit
Auch die vereinbarte Abfindungszahlung in Höhe von 10.000 EUR bei einer Betriebszugehörigkeit von fast 32 Jahren führe nicht zu einer Sittenwidrigkeit des Aufhebungsvertrages. Zwar könne ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung auch bei einer außergerichtlichen Abfindungsvereinbarung zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen. Gründe, die für eine Sittenwidrigkeit sprächen, lägen hier jedoch nicht vor. Insbesondere sei unstreitig die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages vom Kläger ausgegangen, da dieser den Zettel an die Personalabteilung übergab.
III. Der Praxistipp
Wichtigkeit der Vorlage einer Vollmachtsurkunde
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter – bspw. ein Rechtsanwalt – einem anderen gegenüber vornimmt, ist nach § 174 S. 1 BGB unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht nochmals, dass bei Abgabe von Erklärungen für Mandanten stets eine Vollmachtsurkunde beizulegen ist, da andernfalls die Gefahr besteht, dass das entsprechende Rechtsgeschäft unwirksam ist.
Aufhebungsverträge
Die Entscheidung stärkt darüber hinaus die Positionen von Arbeitgebern bei Verhandlungen von Aufhebungsverträgen, denn sie verdeutlicht, dass ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns nicht bereits dann vorliegt, wenn eine für den Arbeitnehmer unangenehme Verhandlungssituation geschaffen wird. Darüber hinaus leidet ein Aufhebungsvertrag nicht schon dann an einem Sittenverstoß, wenn die getroffene Vereinbarung für den Arbeitnehmer wirtschaftlich unvorteilhaft ist (Verkürzung Kündigungsfrist, in der Praxis eher geringe Abfindungszahlung bei sehr langer Betriebszugehörigkeit).





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