Mietreduzierungen wegen eines Corona-Lockdowns
Eine überaus wichtige und bisher sehr umstrittene Frage, die die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie betrifft, hat jetzt der Bundesgerichtshof beantwortet: Dürfen Mieter von Geschäftslokalen, die durch einen behördlich angeordneten sog. Lockdown ihre Geschäftstätigkeit vorübergehend einstellen mussten, ihre Miete mindern? Oder haben sie den daraus entstehenden wirtschaftlichen Schaden allein – ohne Beteiligung des Vermieters – zu schultern?
Der BGH hat sich in einem Fall, der eine Filiale des Textildiscounters „KiK“ in Sachsen betraf, nun dafür entschieden, eine Minderung zuzulassen und damit das wirtschaftliche Risiko eines Lockdowns zwischen Mieter und Vermieter zu verteilen (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21, ZAP EN-Nr. 84/2022 (Ls.), s.a. dazu Flohr, ZAP F. 6 S. 616 f. [in dieser Ausgabe] sowie Horst demnächst in ZAP 4/2022, F. 4). Der BGH möchte keine – leicht handhabbare – pauschale hälftige Teilung vornehmen, wie es eine Reihe von Instanzgerichten in der Vergangenheit getan hat, sondern verlangt stattdessen eine konkrete Prüfung im Einzelfall, welche Nachteile dem Mieter jeweils entstanden sind und welche Kompensationen er erhalten hat.
Der XII. Zivil Senat stellt klar, dass bei einem behördlich angeordneten Lockdown kein Mangel der Mietsache vorliegt, der nach § 536 BGB zur Minderung berechtigen würde. Denn dazu müsste die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stehen. Das ist nach Auffassung der Richter nicht der Fall, denn durch die betreffende behördliche Allgemeinverfügung wird weder dem Mieter die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume noch dem Vermieter tatsächlich oder rechtlich die Überlassung verboten.
Allerdings sieht der Senat in den behördlich angeordneten Geschäftsschließungen eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB. Durch die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben sei die sog. große Geschäftsgrundlage betroffen, also die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde.
Um eine „Überkompensation“ für den Mieter von Geschäftsräumen zu vermeiden, bedürfe es einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Neben den Nachteilen, die der Mieter durch die Geschäftsschließung erlitten habe, seien auch Kompensationen durch staatliche Leistungen oder etwaige Betriebsversicherungen in die Betrachtung miteinzubeziehen, nicht aber darlehensweise gewährte Unterstützungsleistungen, denn diese böten keine endgültige Kompensation. Der Fall wurde an das OLG Dresden zurückverwiesen, das zuvor noch auf hälftige Teilung erkannt hatte.
In ersten Anmerkungen zu der BGH-Entscheidung wurde sowohl Zustimmung als auch Kritik laut. So lobte der – überwiegend die Mieterseite vertretende – Handelsverband Textil, dass es „nur fair“ sei, wenn die Lasten verteilt würden. Der überwiegend die Vermieterseite vertretende Immobilienverband Deutschland äußerte zumindest Verständnis für die Entscheidung und wies darauf hin, dass es der beste Weg sei, künftig gerichtliche Streitigkeiten zu vermeiden. Verhaltene Kritik äußerte die Bundesrechtsanwaltskammer: Wer sich eine eindeutige oder gar pauschal für alle Fälle handhabbare Grundsatzentscheidung in Sachen Gewerbemieten erhofft habe, sei enttäuscht worden sei, kommentierte sie Mitte Januar. Einige Mietrechtsexperten erwarten, dass es einer weiteren höchstrichterlichen Entscheidung bedarf, um den Rechtsanwendern eine praktikable Handhabung der Lastenverteilung zu ermöglichen.
[Red.]