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Anwaltsvertrag als Fernabsatzgeschäft

Anwaltsvertrag als Fernabsatzgeschäft

Rechtsanwälte, die einen Großteil ihrer Mandate über Fernkommunikationsmittel wie Telefon oder Internet abschließen, sollten das Fernabsatzrecht im Auge behalten und z.B. ihre Mandanten über ihr Widerrufsrecht belehren. Ansonsten riskieren sie, am Ende ohne Honorar gearbeitet zu haben. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, ZAP EN-Nr. 21/2021 [in dieser Ausgabe]).

Der Fall: Ein Student der Fernuniversität Hagen war mit einer Notenentscheidung nicht einverstanden und beauftragte eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln mit der Klage gegen den fraglichen Notenbescheid. Der Vertragsschluss erfolgte per Fernkommunikationsmittel, da der Mandant nicht in Köln ansässig war. Er zahlte einen Vorschuss i.H.v. rund 3.000 €. Nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens gegen die Uni präsentierte ihm die Kanzlei ihre Rechnung i.H.v. knapp 6.000 €. Der Student zahlte jedoch nicht, sondern widerrief vielmehr seine Vertragsannahme und forderte auch den Vorschuss zurück.

Mit Erfolg: Letztinstanzlich entschied der BGH, dass der Anwaltsvertrag wirksam widerrufen worden war. Dem Mandanten habe ein Widerrufsrecht nach §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zugestanden, weil der Anwaltsvertrag einen Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB darstelle. Denn die Parteien hätten für ihre Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet. Und der Anwalt habe nicht dargelegt, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt sei.

Dreh- und Angelpunkt des Rechtsstreits war also die Frage, ob bei den Anwälten ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorgelegen hatte. Dies war bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt, denn der BGH hatte bislang offengelassen, welche (Mindest-)Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind. Letztlich entschied der IX. Zivilsenat die Frage auch diesmal nicht, sondern berief sich darauf, dass der verklagte Anwalt nicht genügend vorgetragen habe, um die gesetzliche Vermutung des § 312c BGB zu entkräften.

Dafür hätte er in erster Linie darlegen und beweisen müssen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem konkreten Fall keinen Rückschluss darauf zuließen, dass seine Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet war, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen. Er hätte, so der Senat, auch darlegen und beweisen können, dass er kein solches System eingerichtet habe und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei Vertragsverhandlungen und -schluss nur zufällig erfolgt sei, etwa aus besonderen Gründen des Einzelfalls.

Im vorliegenden Fall hätten deshalb die Indizien den Ausschlag gegeben, die dafürsprachen, dass die Anwälte im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem eingerichtet hatten. Sie hätten sich auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert, seien in ganz Deutschland tätig und verträten Mandanten aus allen Bundesländern. Zudem unterhielten sie eine Homepage im Internet, wo sie unter dem Stichwort „Kontakt“ darauf hinwiesen, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch für interessierte Mandanten bereit stünden. Unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ erklären sie, dass der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung verliere, die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele.

Dies seien starke Indizien für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung eines Fernabsatzes, die der verklagte Anwalt nicht entkräftet habe. In dieser Situation hätte ihm nur noch der Ablauf der Frist für den Vertragswiderruf helfen können; dazu hätte er aber den Mandanten rechtzeitig und vollständig über dessen Widerrufsrecht belehren müssen, was nicht geschehen sei. Die Widerrufsfrist habe demnach nicht zu laufen begonnen.

Bleibt die Feststellung, dass der Kollege trotz seines Aufwands und seines Erfolgs finanziell am Ende leer ausging. Er verstand zwar viel vom Hochschul- und Prüfungsrecht, der Mandant jedoch noch mehr vom Fernabsatzrecht.

[Red.]

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