Halten in „zweiter Reihe“: Sorgfaltspflichten
Der in zweiter Reihe nicht verkehrsbedingt Haltende hat beim Wiederanfahren zwar die Anforderungen und gesteigerten Sorgfaltspflichten des § 10 S. 1 StVO nicht in unmittelbarer Anwendung der Norm einzuhalten. Deren Beachtung obliegt ihm wegen der vergleichbaren Sachlage jedoch in gleicher Weise im Rahmen der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVO. Das Halten auf einem Bussonderfahrstreifen ist (auch in zweiter Reihe) verboten. Der den Bussonderfahrstreifen an der dafür vorgesehenen Stelle Querende muss den unberechtigt den Bussonderfahrstreifen Nutzenden nicht nach § 9 Abs. 3 S. 2 StVO durchfahren lassen, sondern hat Vorrang.
KG, Urt. v. 27.3.2025 – 22 U 29/24
Vorfahrtsverletzung: Gelblicht an einer Ampelkreuzung
Aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt, folgt in der Regel die Alleinhaftung des Vorfahrtverletzers. Das Gelblicht einer Ampel stellt eine Allgemeinverfügung dar, die besagt, dass grundsätzlich „vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen gewartet werden soll“. Bei Gelblicht muss es dem Verkehrsteilnehmer jedoch möglich sein, ohne Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs noch bis zur Haltelinie anzuhalten. Zu einer Vollbremsung ist er nicht verpflichtet. Kann dem Verkehrsteilnehmer bei Beachtung dieser Grundsätze nicht gelingen, vor der Haltelinie bei Gelb anzuhalten, darf er über die Haltelinie hinweg in den Kreuzungsbereich einfahren.
OLG Schleswig, Beschl. v. 14.4.2025 – 7 U 10/25
BeA: Vorübergehende technische Unmöglichkeit
Für die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument nach § 130d S. 2, 3 ZPO bedarf es zunächst einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die dargelegten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.
BGH, Beschl. v. 25.2.2025 – VI ZB 19/24
Wiedereinsetzung. Wiedereinsetzung von Amts wegen
Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält.
BGH, Beschl. v. 8.5.2025 – V ZB 44/24
Fahrverbot: Berufliche Schwierigkeiten
Bei drohenden Schwierigkeiten im Hauptberuf durch unbezahlte Freistellung und drohende erhebliche wirtschaftliche Einbußen im Nebengewerbe kann bei einem nicht vorbelasteten Täter eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, der den Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt hat, unter angemessener Erhöhung der Regelgeldbuße von einer Fahrverbotsanordnung abgesehen werden.
AG Dortmund, Urt. v. 27.3.2025 – 729 OWi-268 Js 298/25-30/25
Messreihe: Falldatensätze der sog. „gesamten Messreihe
Eine (potenzielle) Relevanz der Falldatensätze der sog. „gesamten Messreihe“ sowie der Statistikdatei für die Verteidigung eines Betroffenen im Bußgeldverfahren besteht nach derzeitigem Erkenntnisstand weiterhin nicht (Abgrenzung zu VerfGH BW, Beschl. v. 27.1.2025 – 1 VG 173/21).
AG Landstuhl, Beschl. v. 9.4.2025 – 2 OWi 53/25
Besorgnis der Befangenheit: Geheimer Austausch mit dem StA
Hat der Vorsitzende des Gerichts sich in E-Mails mit dem Staatsanwalt über die rechtliche und tatsächliche Würdigung der in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse ausgetauscht, die Verteidigung hierüber aber in Unkenntnis gelassen, besteht die Besorgnis der Befangenheit.
BGH, Beschl. v. 1.4.2025 – 1 StR 434/24
Zustellung: Wirksamkeit
Der tatsächliche Zugang eines Schriftstücks ist ggf. dadurch belegt, dass der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid für den Betroffenen Einspruch eingelegt hat und darüber hinaus Akteneinsicht genommen hat, so dass dann jedenfalls im Zeitpunkt der Einsichtnahme in die Bußgeldakte die Heilung des Zustellungsmangels wirksam geworden und die Unterbrechung der Verjährung eingetreten ist. Es ist nicht erforderlich, dass der Zustellungsadressat und der tatsächliche Empfänger eines Schriftstücks identisch sind; vielmehr reicht es aus, wenn das Dokument nicht dem genannten Adressaten, sondern einer Person zugeht, an die die Zustellung ebenfalls hätte gerichtet werden können.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.3.2025 – 2 ORbs 40/25
Entbindungsantrag: Genügende Entschuldigung
Macht die Verteidigung zur Begründung eines Entbindungsantrags geltend, dass der Betroffene weiterhin in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert sei und er deshalb weder zu dem Hauptverhandlungstermin wirksam geladen worden sei, noch habe erscheinen können, gibt dieses offensichtlich nicht ungeeignete Entschuldigungsvorbringen Anlass für eine Erörterung in den Urteilsgründen geben.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.3.2025 – 2 ORbs 40/25
Besorgnis der Befangenheit: Vorbefassung im Zivilverfahren
Hat der erkennenden Richter eines Strafverfahrens in einem schriftlichen Zivilurteil deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er von einer Straftat des nun Angeschuldigten schon damals überzeugt war und hat er nach Urteilserlass die Zivilakte an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die nun Angeschuldigte weitergeleitet, besteht die Besorgnis der Befangenheit.
AG Amberg, Beschl. v. 19.5.2025 – 9 Cs 175 Js 7687/24
Fahrtenbuch: Feststellung des Fahrzeugführers
Zur Feststellung des Fahrzeugführers im Sinn von § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO hat die Behörde in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen. Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar.
BayVGH, Beschl. v. 23.4.2025 – 11 CS 25.283
Fahrerlaubnisentziehung: Cannabiskonsum
Durch die Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sollte die darin enthaltene Legaldefinition von Cannabismissbrauch an die gesetzliche Wirkungsgrenze von 3,5 ng/ml THC im Blutserum in § 24a Abs. 1a StVG angepasst werden. Eine Übertragung des Verhältnisses von 3,5 ng/ml THC auf eine mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille vergleichbare Beeinträchtigung mit der Folge, dass eine Hochrechnung der in Bezug auf den Alkoholmissbrauch gesetzten Grenze von 1,6 Promille erst ab einem Wert von 28 ng/ml THC im Blutserum zu der Annahme von Cannabismissbrauch führe, kommt nicht in Betracht.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.4.2025 – 16 B 1058/24
Sicherstellung eines Pkw: Parken auf E-Auto-Ladeparkplatz
Die Sicherstellung eines verbotswidrig auf einem Parkplatz für elektrisch betriebene Fahrzeuge während des Ladevorganges abgestellten Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor ist unverhältnismäßig, wenn offensichtlich ist, dass die zu dem Parkplatz gehörende Ladesäule längerfristig funktionsunfähig ist.
VG Hamburg, Urt. v. 18.3.2025 – 21 K 3886/24
Verfahrensgebühr in der Rechtsmittelinstanz, hier: Revision
Die Verfahrensgebühr für die Revision entsteht in einem Verfahren, in dem die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, erst dann, wenn feststeht, dass die Staatsanwaltschaft das von ihr eingelegte Rechtsmittel nach näherer Überprüfung der Erfolgsaussichten überhaupt weiterverfolgt und wenn anhand der Anträge und der Begründung (§ 344 StPO) das Ziel und der Umfang der Revisionsangriffe feststellbar sind. Erst dann ist eine sachgerechte und zweckdienliche Tätigkeit eines verständigen Verteidigers angezeigt.
LG Amberg, Beschl. v. 11.4.2025 – 11 KLs 170 Js 13218/22 Sich
Befriedungsgebühr: Mitwirkung des Verteidigers
Weiß die Verwaltungsbehörde nach einer Mitteilung des Verteidigers, dass sie einen Bußgeldbescheid nicht auf die widerspruchslose Einlassung des Betroffenen stützen kann, sondern sich darüber klar werden muss, ob die übrigen Beweismittel für eine Ahndung ausreichen und kommt sie zu dem Ergebnis, dass die übrigen Beweismittel nicht ausreichen und stellt sie deshalb das Verfahren ein, hat die Tätigkeit des Verteidigers die Verfahrenserledigung objektiv gefördert. Eine darüber hinausgehende, positive Förderung der Sachaufklärung setzt die Regelung in Nr. 5115 VV RVG nach ihrem Wortlaut nicht voraus.
AG Calw, Beschl. v. 8.4.2025 – 3 OWi 125/25