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Zur Vortragslast bei Vorschäden

1. Die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf Art und Ausmaß eines Vorschadens und zu Umfang und Güte einer Vorschadensreparatur dürfen nicht überspannt werden und die Vorlage von Rechnungen nebst Zeugenbeweis ist in diesem Fall ausreichend.

2. Hinweise auf eine fehlende Substantiierung müssen hinreichend frühzeitig erfolgen und hinreichend konkret sein; erfolgen sie erst in der mündlichen Verhandlung, ist im Einzelfall von Amts wegen Schriftsatznachlass zu gewähren. (Leitsätze des Verfassers)

OLG Hamm, Urt. v. 14.5.20247 U 7/24

I. Sachverhalt

Trotz neuer Ansicht des Gerichts keine Schriftsatzfrist gewährt

Der Kläger begehrte Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, bei dem sowohl die Haftung dem Grunde als auch der Höhe nach streitig gewesen ist. Vor einem Richterwechsel hatte das erkennende Gericht noch den Hinweis erteilt, dass der Vortrag des Klägers auch unter Berücksichtigung von aufgetretenen Vorschäden hinreichend schlüssig und ein Eintritt in die Beweisaufnahme erforderlich wäre. Sodann fand ein Richterwechsel statt und in der mündlichen Verhandlung wies der neue Richter darauf hin, dass er den Vortrag der Klägerseite zur Vorschadenproblematik nicht für ausreichend erachten würde. Eine gewährte Schriftsatzfrist wurde abgelehnt.

II. Entscheidung

Ausreichend konkreter Vortrag zur Reparatur des Vorschadens

Die Entscheidung des Landgerichts Essen hat der 7. Zivilsenat des OLG Hamm aufgehoben und den Fall zu weiterer Sachverhaltsaufklärung an das Landgericht zurückverwiesen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach dem erteilten Hinweis in der ersten Instanz nunmehr in der Berufungsbegründung substanziiert zur behaupteten Beseitigung der Vorschäden vorgetragen wurde: Insbesondere wurden neben Lichtbildern auch einzelne Reparaturrechnungen vorgelegt und darüber hinaus Beweis durch Zeugenvernehmungen ein Sachverständigengutachten angeboten. Diese Ausführungen hat das OLG Hamm für ausreichend erachtet, damit in die Beweisaufnahme eingetreten werden kann und zugleich darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht die Anforderungen an den Nachweis eines Vorschadens für wieder durchgeführte Reparaturen nicht überspannt werden dürften.

Antrag auf Schriftsatzfrist ist bei geänderter Rechtsansicht des Gerichts stattzugeben

Der Fall ist insbesondere deshalb an das Landgericht zurückverwiesen worden, da nach einem Richterwechsel der neue Richter vor der mündlichen Verhandlung nicht frühzeitig auf seine geänderte Rechtsauffassung hingewiesen hatte. Gerade, weil vorher eine andere Auffassung vertreten worden wäre und insbesondere auch ein Eintritt in die Beweisaufnahme angekündigt wurde, wäre die geänderte Auffassung des Gerichtes vollkommen überraschend und erkennbar, hätte die Prozessbevollmächtigte Klägerseite in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend reagieren können. Ihrem Antrag auf Einräumen einer Schriftsatzfrist hätte daher stattgegeben werden müssen und insoweit war die erstinstanzliche Entscheidung Verfahrensfehlerhaft und aufzuheben.

III. Bedeutung für die Praxis

Rechtliches Gehör ist zu gewähren

Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass den beteiligten Parteien und dem Prozessbevollmächtigten gerade bei einer geänderten Auffassung des Gerichtes rechtliches Gehör zu gewähren ist. Vorzugswürdig ist es natürlich, wenn derartige Hinweise rechtzeitig vor einem Termin erfolgen und eine entsprechende substanziierte Stellungnahme noch im schriftlichen Verfahren ermöglichen. Ansonsten ist eine ausreichende Schriftsatzfrist zu gewähren.

Im Übrigen zeigt auch diese Entscheidung, dass bei einem ausreichenden Sachvortrag zur sogenannten „Vorschadenproblematik“ sehr wohl in die Beweisaufnahme einzutreten ist und die Anforderungen insoweit nicht überspannt werden dürften. Zu beachten ist diesbezüglich, dass der Tatrichter nach § 287 ZPO eine entsprechende Ermessensentscheidung bei der Überprüfung der Schadenshöhe vorzunehmen hat und für den Nachweis des behaupteten Schadens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. zu dieser Thematik auch Nugel VRR 9/2022, 4 ff.). Erfolgt überhaupt kein konkreter Tatsachenvortrag dazu, wie ein Vorschaden tatsächlich beseitigt worden ist, läuft ein Eintritt in die Beweisaufnahme i.d.R. auf eine unzulässige Ausforschung hinaus. Wenn allerdings wie hier sogar Reparaturrechnungen vorgelegt und diese nebst Lichtbildern und weiteren Beweisangeboten ergänzt werden ist jedenfalls ein ausreichender Tatsachenvortrag erfolgt, damit das Gericht diesbezüglich in die Beweisaufnahme eintritt und notfalls eine Abgrenzung von unreparierten Altschäden zu neu eingetretenen Schäden, notfalls auch mit einem „Mindestschaden“ vornehmen kann (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 6.6.2023 – VI ZR 197/21). Es bedarf also immer einer genauen Prüfung des Einzelfalls, ob hierzu ausreichend vorgetragen wird.

RA Dr. Michael Nugel, FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Essen

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