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Keine Verweisung auf Video und digitale Daten

1. Verhängt der Bußgeldrichter ein erhöhtes Bußgeld und sieht dabei von der Verhängung eines Fahrverbotes ab, verstößt dies zwar nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht gegen das Verschlechterungsverbot. Ist dieser Rechtsfolgenausspruch aber rechtsfehlerhaft, liegt hierin eine Beschwer des Betroffenen, weil die Erhöhung der Geldbuße innerhalb dieser Sanktionsform eine wirtschaftliche Belastung darstellt, so dass das Urteil zu seinem Nachteil auf diesem Rechtsfehler beruhen kann.

2. Das Rechtsbeschwerdegericht muss die tatrichterliche Entscheidung uneingeschränkt dahingehend prüfen können, ob die Erhöhung des Bußgeldes „angemessen“ im Sinne von § 4 Abs. 4 BKatV ist.

3. Der Bußgeldrichter darf sich im Rahmen der angemessenen Erhöhung des Bußgelds nicht auf floskelhafte Formulierungen wie „erfolgte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände“ beschränken, sondern hat hierzu tatsächliche Feststellungen zu treffen, die einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich sind. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Schleswig, Beschl. v. 19.6.2024I ORbs 60/24

I. Sachverhalt

Ungewollte „Kompensation“

Gegen den Betroffenen wurde wegen fahrlässigen Überschreitens der außerörtlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 32 km/h durch Bußgeldbescheid eine Geldbuße von 200 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Auf seinen Einspruch verurteilte das AG den wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen fünffach vorbelasteten Betroffenen zu einer Geldbuße von 600 EUR. Von der Verhängung des Regelfahrverbotes wurde abgesehen.

Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er macht geltend, das AG habe seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ermittelt, und er habe auch keine Härtegründe für ein Absehen vom Fahrverbot geltend gemacht.

II. Entscheidung

Unzulässige Verweisung

Das OLG beanstandete, die tatsächlichen Feststellungen trügen bereits den Schuldspruch einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht. Unzulässig sei der folgende Urteilspassus: „Der Sachverhalt unter II. beruht auf der Inaugenscheinnahme des Beweisvideos (vorgeheftet) und den Lichtbildern […]“. Dem Senat sei ein Rückgriff auf die Lichtbilder und den Videofilm verwehrt. Für die Lichtbilder hätte es hierzu einer wirksamen Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, § 46 OWiG bedurft, an der es hier fehle. Auch die Videoaufzeichnung sei nicht Bestandteil der Urteilsgründe geworden. Eine Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium sei von vornherein ausgeschlossen, weil sich § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Abbildungen beziehe, die selbst Aktenbestandteil geworden sind. Dies sei bei auf elektronischen Medien gespeicherten Bilddateien nicht der Fall.

Begründungsanforderungen beim Absehen vom Fahrverbot

Auch der Rechtsfolgenausspruch halte einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Liege, wie hier, der Regelfall eines Fahrverbots vor, müsse das Tatgericht prüfen, ob sich aus der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergeben, aufgrund derer es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbotes nicht bedürfe. Sehe es aufgrund entsprechender Erwägungen von der Verhängung eines Fahrverbotes ab, so erfordere dies in den Urteilsgründen eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung, die es dem Beschwerdegericht ermöglicht, die Voraussetzungen für die Annahme einer unbilligen Härte rechtlich nachzuprüfen. Hier lasse sich dem Urteil nicht einmal entnehmen, dass der Betroffene selbst mit seinem Einspruch ein Absehen vom Fahrverbot hätte erreichen wollen und diesbezüglich nachprüfbare Angaben gemacht hätte.

Verschlechterungsverbot

Zwar sei unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots eine (auch erhöhte) Geldbuße gegenüber einem Fahrverbot die mildere Sanktion, weshalb diese auch auf ein allein vom Betroffenen eingelegtes Rechtsmittel festgesetzt werden dürfe. Diese Betrachtung beruhe allerdings auf einer „abstrakten Differenzierung zwischen Geldbuße und Fahrverbot als unterschiedliche Sanktionen“. Dies sei zu unterscheiden „von der Frage, ob die rechtsfehlerhafte Anwendung dieser Sanktionsmöglichkeiten den Betroffenen dann konkret beschwert, wenn von der härteren Sanktion gegen Erhöhung der milderen Sanktion abgesehen wird“. Bliebe außer Betracht, dass die Geldbuße erhöht wurde, „wäre es dem Rechtsbeschwerdegericht stets verwehrt, den Rechtsfolgenausspruch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu überprüfen, wenn das Tatgericht von der härteren Sanktion des Fahrverbotes abgesehen hat“. Damit wäre auch die Nachprüfung ausgeschlossen, ob das Tatgericht die Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot erkannt und beachtet habe. Die Beschwer liege für den Betroffenen hier darin, dass die Geldbuße signifikant erhöht, nämlich verdreifacht worden sei.

Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse

Mangels Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen könne der Senat nicht überprüfen, ob die Erhöhung der Geldbuße um das Dreifache im Sinne von § 4 Abs. 4 BKatV angemessen sei und der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot hinreichend Rechnung getragen werde. Die Begründung des AG, die Verdreifachung der Regelgeldbuße sei „unter Berücksichtigung der Gesamtumstände“ erfolgt, stelle eine inhaltslose Floskel dar, weil sich das Urteil zu diesen Umständen gar nicht verhalte.

III. Bedeutung für die Praxis

Die forensische Wirklichkeit bringt wundersame Fälle hervor. Meist geht es den Betroffenen gerade darum, das Fahrverbot „wegzubekommen“. Eine Erhöhung der Geldbuße („Kompensation“) wird dann gerne in Kauf genommen. Hier aber ging es um die Frage, ob sich ein Betroffener gegen diese Rechtswohltat (?) der Kompensation überhaupt wehren kann. Die Generalstaatsanwaltschaft war der Meinung, dies sei ihm verwehrt, weil die Geldbuße die gegenüber dem Fahrverbot mildere Rechtsfolge sei, weshalb der Betroffene gar nicht beschwert sei. Daneben ging es noch um einen prozessualen Dauerbrenner; die Sache ist geklärt, taucht aber dennoch immer wieder auf: die Verweisung auf Filme. Beginnen wir damit.

Keine Verweisung auf Filme

1. Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 2.11.2011 (NJW 2012, 244) klargestellt, dass die Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf „statische Wiedergaben“ beschränkt ist. Kurz: gemeint sind Abbildungen (§ 11 Abs. 3 StGB), also Bilder, nicht Filme. Erst recht darf nicht auf digitale Filme verwiesen werden, weil diese schon nicht Aktenbestandteil seien. Akteninhalt kann demnach nur sein, was durch das menschliche Auge unmittelbar wahrnehmbar ist. Demzufolge kann nicht Eingang in die Akte finden, was erst durch Vermittlung eines Speichermediums und weiterer technischer Hilfsmittel wahrgenommen werden kann.

Das OLG befand, die tatsächlichen Feststellungen trügen den Schuldspruch einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht. Dies allerdings ist nicht recht verständlich. Das AG hatte geschrieben: „Der Sachverhalt (…) beruht auf der Inaugenscheinnahme des Beweisvideos (…) und den Lichtbildern.“ Das AG wollte das Video also offenbar nicht zur Ersetzung ausformulierter Urteilsfeststellungen in das Urteil aufnehmen (was allerdings grob fehlerhaft wäre), sondern im Rahmen der Beweiswürdigung. War letzteres der Fall, so wäre zu fragen gewesen, ob die Beweiswürdigung auch ohne den unzulässig in Bezug genommenen Film getragen hätte. Sollte das AG wirklich die Urteilsfeststellungen durch einen vorgehefteten Datenträger ersetzt haben wollen, so wäre dies tatsächlich: kurios.

Beschwer trotz milderer Sanktion

2. Bei der Frage, ob die Kompensation bei Verdreifachung der ursprünglichen Geldbuße den Betroffenen beschwert, waren sich der Senat und die Generalstaatsanwaltschaft uneinig. Letztere wollte die Bewertung zunächst abstrakt vornehmen, wonach die Geldbuße gegenüber dem Fahrverbot als mildere Sanktionsart erscheint. Dies glich die Anklagebehörde noch mit den über den Betroffenen bekannten Umständen ab: Als Versicherungsvertreter sei er ja wohl auf seinen Führerschein angewiesen. Der Senat aber entschied, der konkrete Einzelfall sei in den Blick zu nehmen: Die Verdreifachung der Geldbuße beschwere den Betroffenen – im Grundsatz – durchaus. Es bedürfe einer Gesamtschau aller Umstände. Die Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft, die Kompensation beschwere den Betroffenen nicht, sei vor diesem Hintergrund „hypothetisch“; sie finde keine Stütze in den Urteilsgründen.

Ergebnis?

3. Die Sache muss nun vom AG neu verhandelt werden. Der Senat geht selbst davon aus, dass im neuen Rechtsgang zwar noch eine Änderung des Schuldspruchs (Vorsatz statt Fahrlässigkeit) in Betracht kommt, wegen des Verschlechterungsverbots aber kein Fahrverbot mehr angeordnet werden kann. Ob dies folgerichtig ist, wenn die vorangegangene Kompensation durchaus als Verschlechterung angesehen worden ist? Ist es nicht vielmehr so, dass sich die „Aufhebung“ der Kompensation jedenfalls bei unveränderten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen keinesfalls als Verböserung darstellen kann, wenn bereits die Kompensation als solche bewertet worden ist?

RiKG U. Sandherr, Berlin

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