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Anrechnung einer polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins im Vollstreckungsverfahren

1. Die Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage angeordneten Sicherstellung des Führerscheins eines Betroffenen ist nicht auf ein später gegen diesen wegen der Tat, die den Anlass für die Sicherstellung gegeben hat, angeordnetes Fahrverbot anzurechnen.

2. Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG auf eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage kommt mangels vergleichbarer Interessenlage nicht in Betracht. (Leitsätze des Gerichts)

AG Landstuhl, Beschl. v. 5.9.20242 OWi 157/24

I. Sachverhalt

Führerschein polizeirechtlich sichergestellt

Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Bußgeldbescheid führte der Betroffene vorsätzlich ein Kfz, obwohl er unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24a StVG genannten berauschenden Mittels stand. Bei einer ihm am Tattag entnommenen Blutprobe wurde eine Konzentration von 6,8 ng/ml THC im Blutserum festgestellt. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet, das bislang noch nicht verbüßt worden ist. Am Tattag wurde der Führerschein des Betroffenen durch Anordnung einer Polizeibeamtin auf der Grundlage von § 22 Nr. 1 POG RP präventiv zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr“ „kurzzeitig sichergestellt“ und sodann in amtlichen Gewahrsam verbracht. Der Führerschein wurde von diesem erst nach dem 28.7.2023 wieder aus dem amtlichen Gewahrsam abgeholt, wo er sich seit der Sicherstellung am 25.5.2023 durchgängig befunden hatte. Der Betroffene hat gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, die Dauer, in der sich sein Führerschein infolge der vorbezeichneten Sicherstellungsanordnung in amtlichem Gewahrsam befand, auf das rechtskräftig gegen ihn verhängte Fahrverbot anzurechnen. Die Verwaltungsbehörde hat die beantragte Anrechnung abgelehnt. Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG als unbegründet verworfen

II. Entscheidung

Keine Anrechnung auf Fahrverbot nach § 25 Abs. 6 StVG

Gem. § 25 Abs. 6 Satz 1 StVG wird die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO auf das Fahrverbot angerechnet. Nach § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO gleich. Hieran fehle es vorliegend, weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nicht gem. § 111a StPO vorläufig entzogen oder sein Führerschein gem. § 94 StPO verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt worden. Rechtsgrundlage für die am Tattag erfolgte Sicherstellung sei vielmehr ausweislich des Sicherstellungsprotokolls ausschließlich § 22 Nr. 1 POG RP gewesen. Auf die Frage, ob eine Sicherstellung des Führerscheins nach polizeirechtlichen Vorschriften überhaupt rechtmäßig erfolgen kann, komme es nicht entscheidungserheblich an (ebenso offengelassen durch BGH, NJW 1969, 1308, 1310), denn einer Anrechnung seien ohnehin nur solche Maßnahmen zugänglich, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Andere Maßnahmen, wie etwa eine Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins alleine aus beweisrechtlichen Gründen (§ 94 Abs. 1 StPO), seien nach zutreffender Auffassung nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot anzurechnen (so für § 51 Abs. 5 Satz 2 StGB König, in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn 72). Für eine Differenzierung nach Maßnahmen, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen und anderen Maßnahmen spreche insbesondere der teleologische Zusammenhang von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG zu § 111a StPO und § 69 StGB. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO ende eine Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins in den dort bestimmten Fällen nur, wenn diese im Hinblick auf eine mögliche Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgt ist, die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage also ausschließlich in § 94 Abs. 3 i.V.m. § 94 Abs. 1 oder 2 StPO gefunden hat (Hauschild, in: MüKo-StPO, 2. Aufl.2023, § 111a Rn 40). Eine (auch) zu Beweiszwecken erfolgte Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 Abs. 1 oder 2 StPO) könne demnach nicht gem. § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO beendet werden; ebenso könne die gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderliche Bestätigung einer (auch) zu Beweiszwecken erfolgten Beschlagnahme nicht nach § 111a Abs. 4 StPO durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt werden. Ein nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbewehrtes Verbot des Führens von Kfz im öffentlichen Straßenverkehr folge indes lediglich aus solchen Maßnahmen nach § 94 StPO, die nach Lage der Dinge zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn 22; in diese Richtung auch BGH, NJW 1982, 182, 183). Das Führen eines Kfz während der Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung des Führerscheins sei nicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar, sondern lediglich nach § 75 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 FeV ahndbar (OLG Köln NJW 1968, 666; König, a.a.O., § 21 StVG Rn 22). Demnach könne auch eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage nicht von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG erfasst sein, weil diese alleine aus präventiven Gründen erfolgt.

Keine analoge Anwendung des § 25 Abs. 6 Satz 3StVG

Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG für den Fall einer Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage scheide aus, weil im Hinblick auf die Eingriffsintensität keine Vergleichbarkeit mit den von § 25 Abs. 6 Sätze 1 und 3 StVG erfassten Maßnahmen besteht. Denn wie bereits dargestellt, hätte sich der Betroffene nicht strafbar, sondern lediglich ahndbar gemacht, wenn er während der Dauer der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung seines Führerscheins ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Die lediglich zur Gefahrenabwehr erfolgte Sicherstellung des Führerscheins sei zudem im Vergleich zu Maßnahmen nach §§ 94, 111a StPO für den Betroffenen weit weniger belastend, weil sie nach Wegfall der Gefahrenlage aufgehoben wird und damit regelmäßig nur von kurzer Dauer ist. Soweit das OLG Frankfurt/Main eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG für möglich gehalten hat (Beschl. v. 16.7.2020 ‒ 1 Ss-OWi 309/20, Rn 8), sei der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn in jenem Verfahren sei dem Betroffenen anlässlich der dort verfahrensgegenständlichen Tat die Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde während des laufenden Bußgeldverfahrens ohne ausreichende Grundlage sofort vollziehbar entzogen worden. Die Entziehungsentscheidung sei erst knapp fünf Monate später vom VG aufgehoben worden und hätte wegen § 43 Abs. 2 VwVfG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zur Folge gehabt, dass sich der Betroffene gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht hätte, wenn er bis zur Aufhebung durch das VG ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Subjektive Sicht des Betroffenen irrelevant

Auf die Frage, ob der Betroffene subjektiv davon ausging, dass die Sicherstellung jedenfalls bis zum 28.7.2024 angedauert habe und ihm infolgedessen das Führen eines Kfz verboten gewesen sei, komme es nicht an. Ein Irrtum des Betroffenen über die Rechtswirkungen der erfolgten Sicherstellung hätte lediglich im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung finden können; eine Berücksichtigung im Vollstreckungsverfahren komme hingegen nicht mehr in Betracht (OLG Zweibrücken zfs 2016, 411; zur Berücksichtigungsfähigkeit im Erkenntnisverfahren auch OLG Koblenz DAR 2004, 109).

III. Bedeutung für die Praxis

Überzeugend

Juristisch sauber und überzeugend begründet das AG Landstuhl die Ablehnung der Anrechnung der polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins auf das Fahrverbot im Vollstreckungsverfahren. Tatsächlich hätte hier Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt werden müssen. Im Rahmen des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens hätte dann die Möglichkeit bestanden, mit Blick auf die überschießende Dauer der polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins ein Absehen vom Fahrverbot mangels Erforderlichkeit zu erreichen, sofern das Gericht davon überzeugt werden kann, dass der Betroffene die Dauer der Sicherstellung nicht zu vertreten hat und sich faktisch an das von ihm angenommene Verbot zum Führen von Kfz gehalten hat (OLG Koblenz und OLG Zweibrücken a.a.O.; Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, Rn 1387; zum Irrtum beim Betroffenen und Verwaltungsbehörde OLG Düsseldorf DAR 2017, 92 = VRR 6/2017, 18 [Burhoff]). Möglichweise hat der Betroffene hier aber durch das Ausreizen der Sicherstellung auch nur hoch und juristisch falsch gepokert. Ein Anwaltsfehler?

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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