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VRRKompakt 2023_05

Halterhaftung: Rollender Anhänger

Wird ein auf einer Straße abgestellter Anhänger durch eine Kollision in Bewegung gesetzt und beschädigt im Rollvorgang ein Gebäude, ist die Beschädigung des Gebäudes beim Betrieb des Anhängers entstanden.

BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 87/22

Ersatz von Sachverständigenkosten: Schadensschätzung

Hat der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben und mit dem Sachverständigen eine Preis- oder Honorarvereinbarung getroffen, ohne sich der daraus ergebenden Verpflichtung zugleich durch Abtretung eigener Ansprüche auf Ersatz der Sachverständigenkosten an Erfüllungs statt zu entledigen, bildet dies bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.

BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 137/22

Unfallmanipulation: Beweisanzeichen

Grundsätzlich trägt der Schädiger die Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann für die Überzeugungsbildung des Tatrichters genügen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Ausschlaggebend ist dabei eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des gegnerischen Haftpflichtversicherers begründen.

OLG Schleswig, Urt. v. 20.2.203 – 7 U 170/22

Hausanwalt: Pflicht zur Beauftragung

Verfügt ein bundesweit tätiger Versicherer über so genannte „Hausanwälte“ an verschiedenen Orten, welchen er im Wege des Outsourcing die weitere Bearbeitung von Leistungsfällen im Zusammenhang mit gerichtlichen Streitigkeiten überlässt, muss er diese organisatorischen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Kostenminderung in Ausrichtung an dem konkreten Streitfall sachorientiert und effizient nutzen. Dies bedingt die Mandatierung eines gerichtsansässigen „Hausanwaltes“, wenn die Erforderlichkeit einer besonderen Spezialisierung eines Rechtsanwaltes am dritten Ort nicht ersichtlich ist.

OLG Rostock, Beschl. v. 22.2.2023 – 7 W 7/23

Fahrzeugkaufvertrag: Darlehensvertrag

Bei einem mit einem im stationären Handel geschlossenen Fahrzeugkaufvertrag verbundenen und vom Darlehensnehmer widerrufenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag entfällt das Leistungsverweigerungsrecht des Darlehensgebers nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht dadurch, dass der Darlehensnehmer das Fahrzeug an einen – weder an dem Darlehensvertrag noch an dem damit verbundenen Kaufvertrag beteiligten – Dritten veräußert hat.

BGH, Urt. v. 14.2.2023 – XI ZR 152/22

Trunkenheitsfahrt: Feststellungen

Auch wenn es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnis über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemtests nicht möglich ist, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit nicht aus; eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit kann auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden. Erforderlich ist dazu die Feststellung einer – wenn auch nur geringen – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es hingegen nicht; die Verurteilung des Angeklagten nach § 316 StGB setzt nicht den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus.

BayObLG, Urt. v. 13.2.2023 – 203 StRR 455/22

Verstoß gegen das PflVG: Beifahrer

Auch der Beifahrer kann ein nicht haftpflichtversichertes Kfz im Sinne des § 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG gebrauchen (und nicht nur dessen Gebrauch nach § 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG gestatten), wenn er als Käufer und damit (im wirtschaftlichen und „materiellen“ Sinn) Halter des Pkw kraft Tatplanung und Kenntnis aller strafbarkeitsbegründenden Umstände die Tatherrschaft hat und die Fahrt der Verfolgung seiner persönlichen Ziele dient.

KG, Beschl. v. 27.2.2023 – 3 ORs 5/23 – 161 Ss 20/23

Anhalteanordnung einer Politesse: Widerstandsleistung

Widersetzt sich der Täter der von einer Angehörigen des Gemeindevollzugsdienstes getroffenen Anhalteanordnung („Stopp, Halt!“), welche diese in Erfüllung ihrer Aufgabe, das Abschleppen eines in einer Brandschutzzone verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme zu veranlassen und die Verantwortlichkeit für den dieser Maßnahme zugrundeliegenden Verkehrsverstoß vor Ort zu klären, in der Weise, dass er auf diese mit dem Pkw zufährt, so dass die Amtsträgerin entsprechend der Absicht des Täters zur Seite springen muss, um nicht vom Fahrzeug erfasst zu werden, leistet er bei der von dieser i.S.v. § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig getroffenen Anordnung unter Einsatz materieller Zwangsmittel Widerstand (§ 113 Abs. 1 StGB), wobei er mit dem Pkw – unter Berücksichtigung der konkreten Art dessen Verwendung – ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 113 Abs. 2 Ziff. 1 StGB mit sich führt; gleichzeitig (§ 52 StGB) greift er die Amtsträgerin i.S.v. § 114 Abs. 1 StGB tätlich an. Für die Beurteilung der Diensthandlung als rechtmäßig ist unerheblich, dass der Täter durch das Wegfahren mit dem verbotswidrig abgestellten Pkw den ordnungswidrigen Zustand selbst beseitigt.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 2.3.2023 – 1 ORs 35 Ss 57/23

Entziehung der Fahrerlaubnis: Zeitablauf

Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach Ablauf von 6 Monaten im Regelfall unverhältnismäßig.

LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 13.3.2023 – 5/2 Qs 8/23

Geldbuße: Auswirkungen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Maßnahme

Eine freiwillige verkehrspsychologische Maßnahme ist nicht schlechterdings ungeeignet, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung zu finden und gegebenenfalls zu einer Reduzierung der Regelgeldbuße zu führen.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 OWi 2 SsRs 64/22

Hinweispflicht: Verurteilung wegen Vorsatzes

Wird der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder er noch sein Verteidiger an dieser teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus.

BayObLG, Beschl. v. 1.2.2023 – 202 ObOWi 1580/22

Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung

Äußert sich der Verteidiger in der Hauptverhandlung zur Sache, darf das Gericht diese Angaben nicht ohne weiteres dem schweigenden Betroffenen zurechnen. Es ist nach der Rechtsprechung des BGH, die grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gelten, zu differenzieren: Äußert sich der Verteidiger in Form eines Schriftsatzes zur Sache, handelt es sich grundsätzlich um eine Prozesserklärung des Verteidigers, die dieser aus eigenem Recht und in eigenem Namen abgibt, und nicht um eine Sacheinlassung des Angeklagten. Gleiches gilt bei entsprechenden Erklärungen in der Hauptverhandlung bei Anwesenheit des Betroffenen. Schriftliche und mündliche Erklärungen des Verteidigers können ausnahmsweise als Einlassung des Angeklagten bzw. des Betroffenen entgegengenommen und verwertet werden, wenn ein gesetzlich vorgesehener Fall der Vertretung vorliegt (§§ 234, 329, 350, 387, 411 StPO bzw. § 73 Abs. 3 OWiG) oder wenn der Angeklagte bzw. der Betroffene ausdrücklich erklärt, sie als eigene gelten zu lassen. Eine solche Erklärung des anwesenden Betroffenen ist eine wesentliche Förmlichkeit und protokollierungspflichtig.

KG, Beschl. v. 5.12.2022 – 3 Ws (B) 310/22

Beschlussverfahren: Verletzung rechtlichen Gehörs

Gibt das Tatgericht dem Betroffenen unter Fristsetzung die Möglichkeit, rechtsfolgenmindernde Umstände nachzuweisen (hier: verkehrserzieherische Nachschulung), so stellt es eine Verletzung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 OWiG dar, wenn der nach § 72 OWiG ergehende Beschluss vor Fristablauf ergeht.

KG, Beschl. v. 31.1.2023 – 3 Orbs 23/23

Verringerung des Punktestands: Kenntniserlangung der Fahrerlaubnisbehörde

Die zuständige Fahrerlaubnisbehörde kann den für die Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG erforderlichen Kenntnisstand nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts, nicht aber durch Mitteilungen des Fahrerlaubnisinhabers, seines bevollmächtigten Rechtsanwalts oder anderer Privatpersonen erhalten.

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.3.2023 – 13 S 2370/22

Entziehung der Fahrerlaubnis: Behandlung mit Medizinal-Cannabis

Eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis führt nur dann nicht zum Verlust der Fahreignung, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. Eine Indikation zur Behandlung mit Betäubungsmitteln (hier: Medizinal-Cannabis) ist nur gegeben, wenn ihre Anwendung zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich (ultima ratio) ist. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie etwa eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben.

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.1.2023 – 13 S 330/22

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Einziehung des Führerscheinformulars

Die anwaltliche Vertretung eines Beschuldigten in einem Strafverfahren, in dessen Lauf die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, löst keinen Gebührenanspruch nach 4142 VVRVG aus. Das gilt auch für die Einziehung des Führerscheinformulars.

AG Frankfurt/Main, Beschl. 3.3.2023 – 993 Cs 443 Js 2095/20 (41/23)

Unterbevollmächtigter Terminsvertreter: Erstattungsfähigkeit der Kosten

Zu den zu erstattenden Kosten können auch die Kosten für einen Unterbevollmächtigten gerechnet werden, jedenfalls dann, wenn dies im Vorfeld mit dem Mandanten abgestimmt ist und dieser dadurch der Delegation der eigentlich höchstpersönlich vorzunehmenden Terminvertretung zugestimmt hat

AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.2.2023 – 30 C 731/22 (68)

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