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Teilweise geschwärzte Akte und Aktenversendungspauschale

Die Erhebung einer Aktenversendungspauschale ist nicht zulässig, wenn die Akten dem Betroffenen nur teilweise geschwärzt (hier: Schwärzung der Namen anderer Betroffener der derselben OWi) zur Verfügung gestellt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Leipzig, Beschl. v. 24.9.2021 – 220 OWi 2822/20

I. Sachverhalt

Gegen die Mandantin des Rechtsanwalts wurde bei der Zentralen Bußgeldstelle der Stadt Leipzig ein Verfahren wegen unzulässigen Lärms geführt. Der Verteidiger hat Akteneinsicht beantragt. Die Bußgeldstelle hat die Akte in teilweise geschwärzter Form an den Rechtsanwalt übersandt und „für die Versendung der Bußgeldakte … nach § 107 Abs. 5 OWiG eine Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 EUR erhoben.“ Geschwärzt waren die Personalien weiterer Betroffener.

Der Rechtsanwalt hat gegen die Auslagenfestsetzung gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG beantragt, wobei er insbesondere monierte, dass aufgrund der Schwärzungen in der Akte keine ausreichende Akteneinsicht gewährt worden sei. Die Zentrale Bußgeldstelle ist dem entgegen getreten und begründet dies hauptsächlich mit datenschutzrechtlichen Gründen hinsichtlich der weiteren Betroffenen. Der Antrag hatte beim AG keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des AG fehlt es derzeit an einer Grundlage für die Auslagenfestsetzung. Gemäß § 107 Abs. 5 Satz 1 OWiG könne von demjenigen, der die Versendung von Akten beantragt, je durchgeführter Sendung einschließlich der Rücksendung pauschal 12,00 EUR als Auslage erhoben werden.

Das Akteneinsichtsrecht beziehe sich zwar grundsätzlich nur auf das gegen den jeweils Betroffenen geführte Verfahren. Aktenbestandteile anderer Verfahren unterliegen dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht, wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt und später getrennt wurden. Deshalb habe es der BGH für zulässig erachtet, dem Verteidiger die Einsicht in die Verfahrensakten zu verweigern, die sich auf einen Mitbeschuldigten beziehen, gegen den das Verfahren vorher abgetrennt wurde. Jedenfalls wenn die Abtrennung nicht willkürlich erfolgt sei, dürfe die Einsicht nach § 147 Abs. 2 StPO verweigert werden, soweit durch eine Einsichtnahme der Untersuchungszweck gefährdet sei (BGHSt 50, 224 [228] = NJW 2005, 3507 = NStZ 2006, 237). Gleichwohl seien vorliegend die Personalien der anderen Betroffenen Bestandteil dieses Verfahrens, da dieses sowohl von der Polizei als auch von der Staatsanwaltschaft gemeinsam geführt wurde. Erst im Verwaltungsverfahrens sei eine Abtrennung der Verfahren erfolgt.

Auch liege ein legitimierendes Interesse für die Benennung der anderen Betroffenen vor. Denn alle seien Betroffene derselben Ordnungswidrigkeit, da den Personen, gegen die sich die Verfahren richten, die Beteiligung an derselben Veranstaltung vorgeworfen werde. Es lasse sich aufgrund dieser Verfahrenssituation nicht von vornherein ausschließen, dass sich in den später abgetrennten Verfahren gegen andere Betroffene bzw. Schwärzung deren Personalien für das streitgegenständliche Verfahren relevante Gesichtspunkte ergeben könnten. Für die Verteidigung der Betroffenen könnten sich hieraus weitere Beweismöglichkeiten ergeben.

Hier besteht nach Auffassung des G zudem noch eine weitere Besonderheit, die eine Gewährung der vollständigen Akteneinsicht erforderlich mache. Den Verfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Bußgeldstelle) lägen die Namen aller Betroffenen in ihrer Gesamtheit vor. Diese könnten damit weitergehende Informationen aus den Parallelverfahren auch im Verfahren gegen die Betroffene nutzen. Insoweit unterscheide sich diese Verfahrenskonstellation von den Fällen, in denen Akten von anderen Behörden oder Gerichten noch beigezogen werden müssen und ihr Inhalt sämtlichen Beteiligten erst durch Einsicht in die beigezogenen Verfahrensakten vermittelt werde. Hier seien die Namen der anderen Betroffenen jederzeit zugänglich. Bei einer solchen Fallkonstellation gebiete es der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK), der Verteidigung dasselbe Maß an Kenntnis des Akteninhalts einzuräumen wie den übrigen Verfahrensbeteiligten. Ob Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, unterliege allein ihrer Einschätzung. Um dies zu überprüfen, müsse sie durch Einsichtnahme von dem vollen Inhalt der Akten nehmen können.

Dies rechtfertige es, die datenschutzrechtlichen Belange der anderen Betroffenen dahinter anzustellen. Das leitende Interesse für die Akteneinsicht sei hier die Vorbereitung der Verteidigung in einem Bußgeldverfahren, nicht ein aus einer anderen Rechtsbeziehung folgendes Interesse. Auch könne der Rechtsanwalt nur so die von der Bußgeldstelle angeführte Verpflichtung lediglich einen Betroffenen im Bußgeldkomplex zu vertreten, um somit einen Interessenkonflikt zu vermeiden, hinreichend sicher überprüfen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Der Verteidiger hat einen Anspruch auf die gesamte Akte (so schon AG Bad Segeberg AGs 2014, 334 für nicht vollständig übersandte Originalakte). Dazu gehören auch die Namen anderer Betroffener/Beschuldigter, da deren Namen für seine Verteidigung von Bedeutung sein kann. Das gilt m.E. auch für andere Bußgeldverfahren (zu den Kosten der Akteneinsicht im Strafverfahren Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 424 ff. m.w.N.).

2. Das AG hat übrigens den durch den Verteidiger der Betroffenen gestellten Antrag als zulässig angesehen (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.2011 — IV ZR 232/08).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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